Snoop Dogg: Peace und Love, Leute
Snoop Dogg heißt jetzt Snoop Lion: Der Gangsta-Rapper reist nach Jamaika wird zum Rastafari und veröffentlicht ein Reggae-Album sowie einen Film mit dem Titel „Reincarnated“. Die musikalische Kreativität der Insel bleibt allerdings außen vor - prodziert hat die Platte der weiße US-Amerikaner Diplo.
Die Stimme klingt leicht verhangen, der Sprecher macht zwischen den Sätzen lange Pausen. Es wirkt, als legte jemand eine Beichte ab: „Wir verlieren so viele großartige Musiker, und wir lieben sie nicht, während sie noch unter uns sind. Ich will geliebt werden, solange ich noch hier bin. Und der einzige Weg, Liebe zu bekommen, ist Liebe zu geben.“
Die Stimme gehört Calvin Cordozar Broadus Jr. alias Snoop Dogg. Er ist einer der erfolgreichsten Rapper der Popgeschichte, gehörte in den Neunzigern zu den Protagonisten des Gangsta-Rap und hat immer wieder Standards gesetzt, an denen sich jüngere Rapper messen mussten. Die Sätze stammen aus dem Film „Reincarnated“, sie leiten Snoops neues Album ein, das den gleichen Titel trägt. Seit er letztes Jahr nach Jamaika reiste, nennt sich der Mann aus Los Angeles Snoop Lion. Der Gangster ist in Jamaika gestorben, wiedergeboren wurde Snoop als Rasta. Das jedenfalls erzählt der Film des britischen Dokumentaristen Andy Capper. Einen Monat begleitet er den Rapper, der in Jamaika den Geist des wahren Reggae finden will. Diesem gehe es darum, so Snoop, die Botschaft von Liebe und Frieden unter den Menschen zu verbreiten. Und Bob Marley sei der Prophet dieser Lehre.
Viel mehr als Bob Marley, dem Snoop sich verwandt fühlt, kennt er allerdings nicht. Marley ist nun aber schon eine ganze Weile tot, wie auch seine Musik auf der von Armut und horrender Gewaltkriminalität geschlagenen Karibikinsel, keine Rolle mehr spielt.
Der Sound Jamaikas ist seit Jahrzehnten bestimmt von knallhartem Dancehall: im lokalen Patois vorgetragene knallige und grelle Reportagen aus den harschen Ghettos der Hauptstadt Kingston, kaum tauglich für den Weltmarkt. Es sei denn, weiße Jungs wie Major Lazer verbinden die Ghetto-Hysterie mit den Klischees der Electronic Dance Music (EDM). Das funktioniert so gut, dass der Kopf von Major Lazer, der US-Amerikaner Thomas Wesley Pentz alias Diplo, in den letzten Jahren zu einem der gefragtesten Produzenten auf dem überhitzten EDM-Markt wurde.
Ausgerechnet ihn trifft Snoop in Kingston zu Beginn des Filmes im legendären, von Bob Marleys erbauten Tuff Gong Studio. Statt eines lokalen Produzententalentes gibt ein weißer Ami die Beats vor. Was weniger von Ignoranz des bekennenden Dauerkiffers Snoop, sondern vielmehr von seinem, trotz aller Joints, ungetrübten Geschäftssinn zeugt.
Es mag sein, dass der Rapper, so behauptet er es immer wieder, die Nase voll hat von seinem Gangster-Image, von seiner Vergangenheit als Pimp und Propagandist einer von Gewalt, Geld, Drogen und Frauenverachtung durchdrungenen Kultur. Dass er nicht länger Freunde und Weggefährten begraben will, dass er sich künstlerisch nicht wiederholen, sondern entwickeln will. Aber nicht um jeden Preis. Snoop Dogg lässt sich zwar wirkungsvoll vor den Kameras in eine Rasta-Sekte aufnehmen, wo er von einem Priester auch seinen neuen Namen „Lion“ erhält, weil Snoop kein Dogg (also Hund), sondern ein Löwe sei. Aber das große Risiko scheut er. So wird nicht länger im klapprigen Tuff Gong Studio gearbeitet. Man zieht ins mondäne Geejam Studio in die Provinz Portland, das zu den modernsten Studios der Welt zählt. Angeschlossen ist ein Luxus-Resort, in dem eine Suite pro Woche 10 000 Dollar kostet. Vom wahren Leben Jamaikas spürt der Musiktourist dort nichts.
Auch musikalisch bleibt die Kreativität der Insel außen vor. Aus den Laptops Diplos und seiner Assistenten rollen die vorgefertigten Stücke, auf die der frisch geborene Löwe, extrem professionell und voller Witz seine Reime rappt und singt. Auf dem fertigen, schließlich doch erstaunlich gelungenen Album sind neben Tochter Cori zwar jamaikanische Gäste wie Mr. Vegas und Mavado zu hören. Doch deren Stimmen wurden offenbar extra aufgenommen. Vielleicht ist es die Begegnung mit Bunny Wailer, die den Sinnsucher dazu bringt, doch noch hinauszugehen und sich anzuschauen, woher diese Musik, die er so liebt, eigentlich kommt und wer sie heute macht. Bunny Wailer, das letzte lebende Mitglied der legendären Wailers, ermahnt Snoop, dass er nicht einfach nach Jamaika kommen und sich dieser musikalischen und spirituellen Kultur bemächtigen könne. Gemeinsam rauchen sie eine große Portion Marihuana.
Und Snoop Lion geht nach Kingston, dorthin, wo es wehtut: nach Trenchtown, wo in den sechziger Jahren die Grundlagen für Ska, Rocksteady und Reggae gelegt wurden, wo Bob Marley, Peter Tosh und unzählige andere Größen dieser Musik lebten. Er besucht Tivoli Gardens, eines der härtesten Ghettos der Stadt, um sich mit den Menschen zu unterhalten und sich von ihnen feiern zu lassen. Es ist schwer zu sagen, wie ernst es diesem Mann, der wie jeder harte Rapper auf seinen Platten sehr viel erzählt, aber wenig von sich preisgibt, mit dem neuen Leben ist. Einige Rastas seines Ordens warfen ihm vor, nicht nach den Regeln ihrer Religion zu leben. Der Dancehall-Star Sizzla beschuldigt den Konvertiten im Song „Burn Out Smithsonians“, die Rasta-Community zu benutzen, um Geld zu verdienen. Snoop sagte dazu: „Beim Rasta-Glauben geht es nicht um Leute, sondern um den Geist. Ich sage: Peace and Love, Sizzla. Ich hoffe, er hat mal die Gelegenheit, mich zu treffen. Dann können wir das von Mann zu Mann klären.“
Längst hat der Löwe erklärt, dass er bei seinen Shows auch die alten Hits spielen wird. Sein Publikum verlange das schließlich. Sicher wird der Neu-Rasta Snoop Lion, der 2009 bereits der Nation Of Islam beigetreten war, weitere Inkarnationen durchlaufen. Auf die Frage, welches Tier denn noch in ihm stecke, antwortete er jüngst: „Ein Hai!“
Das Album „Reincarnated“ ist bei Sony erschienen. DVD ab 26.4. bei Vice Films.
Andreas Müller
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