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Patrick Modiano.
© dpa
Update

Literaturnobelpreis 2014: Patrick Modiano kann es nicht fassen

Der französische Schriftsteller war gerade in Paris unterwegs, als ihn die Nachricht erreichte: Er gewinnt den Nobelpreis für Literatur 2014. Die Themen seiner Werke: Erinnerung und Vergessen, Identität und Schuld. Viele seiner Geschichten spielen im Zweiten Weltkrieg.

Der Literaturnobelpreisträger Patrick Modiano (69) gilt als extrem öffentlichkeitsscheu. Das Komitee für den Literaturnobelpreis 2014 hatte ihn bis zur Preisbekanntgabe am Donnerstagmittag nicht in Paris erreichen können und erwischte ihn dann auf der Straße, in der Nähe des Jardin du Luxembourg. Am Nachmittag sagte er seinem französischen Verleger Antoine Gallimard am Telefon, er sei sehr glücklich, wie Gallimard dem "Nouvel Observateur" erzählte. Modiano könne die Nachricht gar nicht fassen, sie habe in dessen Augen auch etwas Seltsames.

Für die literarische Welt war das Votum der Jury eine überraschende Wahl, denn mit in Paris lebenden Schriftsteller hatten wenige gerechnet. In den letzten Tagen waren vor allem der Kenianer Ngugi ma Thiong’o, die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch und der Japaner Haruki Murakami als Favoriten im Gespräch. Auch Modianos Landsmann Jean-Marie Gustave Le Clézio, der 2008 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, war damals ein Überraschungssieger.

François Hollande nennt den Preis eine Anerkennung für die gesamte französische Literatur

Frankreichs Staatspräsident François Hollande sieht in der Preisverleihung Patrick Modiano auch eine Anerkennung der französischen Literatur insgesamt. „Patrick Modiano ist der 15. Franzose, der diese höchste Auszeichnung erhält, was die große Ausstrahlung unserer Literatur bestätigt“, ließ Hollande mitteilen. Die Republik sei stolz darauf, dass mit dem Nobelpreis einer der größten Schriftsteller des Landes weltweit anerkannt werde. Modianos Werk sei anschaulich und subtil. Es erforsche, was an der Erinnerung untergründig und an der Identität kompliziert sei. Und er versuche zu verstehen, „wie das, was geschieht, die Individuen dazu bringt, sich zu verirren oder sich zu offenbaren“.

In einer ersten Reaktion hatte sich der Literaturkritiker Denis Scheck begeistert von der Wahl gezeigt. „Der Preis geht an einen Autor, der in seinem Werk scheinbar Unvereinbares miteinander verbindet, der ein gleichermaßen souveräner Artist und besessener Archivist ist.“ Der britische "Guardian" hingegen zeigte sich empört darüber, dass der Preis schon wieder nicht an den US-Autor Philip Roth ging, er sprachen von "Skandal".

Patrick Modianos Thema ist die Erinnerung

Patrick Modianos Thema ist die Erinnerung, viele seiner Bücher spielen in Paris während der deutschen Besatzung. Die Jury begründete ihre Entscheidung in diesem Sinne. Modiano erhalte den umgerechnet mit 880.000 Euro dotierten Preis „für die Kunst der Erinnerung, mit der er die ungreifbarsten menschlichen Schicksale und die Lebenswelt der Besetzung hervorgerufen hat“. In seinem Werk gehe es auch um „Vergessen, Identität und Schuld“.

Auf Deutsch erschien im Hanser-Verlag zuletzt Modianos Roman „Der Horizont“ (2013) über einen Mann, der sich auf die Suche nach einer vor 40 Jahre verflossenen Liebe macht. Über das Buch schrieb Andreas Schäfer im Tagesspiegel: „Patrick Modiano bildet mehr den Prozess der Erinnerung ab, als dass er eine Geschichte entwickeln würde. Seine Kunst besteht darin, Zusammenhänge wie Wolkenformationen zusammenwachsen zu lassen, um sie, sobald sich eine klare Gestalt ergibt, wieder zu verwischen, indem er innerhalb eines Satzes Zeit und Bezugsorte ändert oder von der Handlungsebene auf die selbstreflexive Ebene des ,Ich-weiß-auch-nicht-weiter’ springt. So bleibt das Geschehen tatsächlich in der Schwebe und die Figuren erscheinen trotz ihrer plastischen Beschreibungen ungreifbar, im rätselhaften Licht einer diffusen Bedrohung. Ganz leicht inszeniert Modiano den Zustand einer süßen Verlorenheit, in dem die Freude über das Ankommen und die Trauer über den Abschied ununterscheidbar verschmolzen sind.“

Hanser zeigt sich nicht ganz so überrascht: Modiano sei ein heißer Kandidat gewesen

Das gilt auch für zahlreiche andere Werke aus Modianos Oeuvre wie seine Erzählung "Im Café der verlorenen Jugend", „Place de l’Étoile“, „Aus tiefstem Vergessen“ oder die von Peter Handke ins Deutsche übertragenen Bände „Eine Jugend“ oder „Die kleine Bijou“. Auf Deutsch sind seine Werke zuletzt bei Hanser erschienen. Verleger Jo Lendle hatte nicht mit der Wahl gerechnet, auch wenn, wie er sagte, Modiano in den vergangenen zwei Wochen ein heißer Kandidat gewesen. Lendle kündigte am Donnerstag auf der Frankfurter Buchmesse zugleich an, dass Modianos neuer Roman "Gräser der Nacht" vorgezogen und nicht wie geplant im Frühjahr 2015, sondern bereits in den kommenden Tagen ausgeliefert werde.

In Deutschland sei Modianos Werk zwar präsent, „aber es hat noch nicht die notwendigen Leser“, sagte Denis Scheck währenddessen in Frankfurt. „Doch das wird sich jetzt ändern.“

Patrick Modiano hat neben zahlreichen belletristischen Werken auch das Drehbuch für Louis Malles Spielfilm „Lacombe Lucien“ aus dem Jahr 1974 verfasst. Es ist die Geschichte eines Bauernjungen, der im Zweiten Weltkrieg für die Gestapo arbeitet und ein jüdisches Mädchen liebt.

Die letzten Literaturnobelpreisträger waren Alice Munro, Mo Yan und Tomas Tranströmer, die letzte deutsche Gewinnerin Herta Müller im Jahr 2009. Patrick Modiano gilt eher als literarisches Leichtgewicht. Insofern verteidigte Peter Englund die Entscheidung, indem er bei der Bekanntgabe in Stockholm sagte: „Es sind sehr elegante Bücher, aber sie sind nicht schwierig zu lesen.“   Die Nobelpreise werden am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, in Stockholm überreicht. (Tsp)

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