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"Evidence" heißt die Ausstellung des 56-jährigen Künstlers. In China ist er zahlreichen Schikanen ausgesetzt, war im Gefängnis, wird streng überwacht, weil er unentwegt auf Missstände im Land aufmerksam macht.
© epd

Ai Weiwei: Ausstellung in Berlin: Parallelwelten

Kunst und Politik oder Die andere Hälfte der Wirklichkeit: Warum Ai Weiwei es den Museumsbesuchern mit seinen Werken nicht leicht macht.

Erst wird der blühende Handel mit China gefeiert, dann Ai Weiwei. Erst das Fressen, dann die Moral. Es ist die alte Geschichte, und es wäre naiv, ja selbstgefällig, sich darüber zu empören. Aber ein Unbehagen beschleicht einen doch, am Mittwochabend bei der Eröffnung der Ai-Weiwei-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau. Tout Berlin steht rund um den Lichthof mit Ais 6000Stühle-Skulptur, und jedesmal, wenn die Kulturstaatsministerin, der Museumschef oder der Akademiepräsident Reisefreiheit für Ai Weiwei fordern, brandet Applaus auf. Brav steht man Schlange, um sich ein paar Minuten in der Gefängniszellen-Kopie des chinesisches Künstlers und Bürgerrechtlers aufzuhalten und dabei von vier Kameras überwachen zu lassen. Wohl dem, der sich aus dem Gruselkabinett gleich wieder hinaus ins Freie begeben kann.

Die Politik und die Kunst, deren Untrennbarkeit Ai Weiweis Werke so lautstark beschwören – am Ende bleiben es streng separierte Sphären, hier, im demokratischen Westen. Zwei Parallelwelten, die sich auch dann nicht berühren, wenn Bundespräsident Joachim Gauck die Menschenrechtsfrage erwähnt, am Rande des Staatsbesuchs von Präsident Xi Jiping vergangene Woche. „Am Rande“, wo sonst – eine treffliche Sprachregelung. Oder wenn Kulturstaatsministerin Monika Grütters bei ihrer Rede im Gropius-Bau die Kunst fast trotzig zum Mitstreiter des „Wandels durch Annäherung“ erklärt. Bigott sind sie alle, der Politik- und der Kulturbetrieb, die Wirtschaftsbosse und die Konsumenten. Weil sie die jeweilige andere Hälfte der Wirklichkeit ignorieren, der Einfachheit halber.

Wer bitte kauft sich hierzulande keine Hosen, T-Shirts, Handtaschen, made in China, unter den Bedingungen von Ausbeutung und Billigproduktion? Während man auf politischer Ebene eine noch engere Zusammenarbeit vereinbart und das vorzügliche Verhältnis der Länder auf Grundlage der 5000 Jahre alten chinesischen „Friedenskultur“ (Xi) beschwört, solidarisiert man sich auf kultureller Ebene mit den Opfern eben jenes Friedens. Mit Blumen für Ai Weiwei und anderen symbolischen Aktionen.

Vielleicht ist „Evidence“ deshalb eine derart explizit politische Ausstellung geworden, weil sie dem Westen den Spiegel vorhält. Ihr wollt es gern dissidentisch, um euch in der eigenen Freiheitsliebe sonnen zu können? Bitte sehr – und Ai Weiwei tritt mit Aplomb sperrangelweit offene Marmortüren ein.

Es ist das Dilemma jedes Künstlers, der zum Staatsfeind erklärt und zensiert wird. Er macht es einem schwer, ein rein ästhetisches Urteil zu fällen, er provoziert böse Gedanken. Ist der abwesende Künstler der bessere Künstler? Was ist die stärkere Konzeptkunst: Marcel Duchamps Ready- mades oder die an Gefängnis, Leid und den Erdbebentod der Kinder aus Sichuan gemahnenden Werke? Auch darin steckt die Provokation Ai Weiweis.

Mehr über die Ausstellung im Gropius-Bau und den Künstler Ai Weiwei finden Sie auf unsrer Themenseite.

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