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Nominiert für den Buchpreis. Thomas Hettche, 46, lebt in Frankfurt/Main. Foto: dpa
© picture-alliance / dpa

Hettche-Roman "Die Liebe der Väter": Papi ist geduldig

Jenseits des Sorgerechts: Thomas Hettche beschwört in seinem heute erscheinenden Roman die „Liebe der Väter“

Als vor über vier Monaten die ersten Leseexemplare von Thomas Hettches Roman „Die Liebe der Väter“ an Rezensenten und Buchhändler verschickt wurden, geschah das zusammen mit einer begeistert-vollmundigen Ankündigung des Verlegers, dieser Roman werde für sehr viel Aufsehen sorgen, werde gar eines der meistdiskutierten Bücher des Herbstes sein. Das nahm man als betriebstypische Werbung zur Kenntnis, als zusätzlichen Einsatz eines Verlegers für seinen Autor. Aber es bekam eine völlig neue Wendung, als das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vor zwei Wochen entschied, ledigen Vätern ein Sorgerecht für ihre Kinder auf Antrag auch dann zuzugestehen, wenn sich die jeweiligen Mütter dagegen sträuben.

Der Held von Hettches Roman ist ein lediger Vater, Peter, ein Verlagsvertreter um die vierzig, der mit seiner knapp 14-jährigen Tochter Annika ein paar Tage auf Sylt verbringt, um hier bei Freunden Silvester zu feiern. Bei ihnen beklagt er sich über die „reine Willkür“ des Staates in Sachen Sorgerecht: „Das Gesetz, erkläre ich, erkennt das Sorgerecht eines nicht ehelichen Kindes grundsätzlich der Mutter zu. Der Vater kann es gegen ihren Willen nicht bekommen, das hat das Bundesverfassungsgericht 2003 noch einmal bestätigt. Damit aber wird ein Machtverhältnis zwischen den Eltern geschaffen. Du kannst dir die Hilflosigkeit der Väter nicht vorstellen.“

War Thomas Hettche schon Wochen vor der Veröffentlichung seines Romans dafür gefeiert worden, dass er sich eines brisanten gesellschaftlichen Themas (Patchworkfamilien!) annehme, dass er mit seinem Buch die Literatur wieder an die Lebenswirklichkeit anschließe, so die „FAZ“ wirklichkeitsbesoffen und um die nicht ehelichen Kinder und ihre Eltern besorgt, so bekam er jetzt von anderer Seite eine gehörige Abreibung. Sein Buch sei nach dem Urteil des Verfassungsgerichts „bei Erscheinen bereits Makulatur“, stellte die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer Besprechung fest.

Hettches Roman sorgt also tatsächlich für Aufsehen, vermutlich jedoch anders als von Thomas Hettche und seinem Verlag gedacht, ziele er doch vermeintlich direkt auf die „Lebenswirklichkeit“ und wird dann von dieser, ätschibätsch, auch schon wieder überholt. Das Problem dieser Lesarten ist nur, dass der „Liebe der Väter“ damit jegliche Literarizität abgesprochen wird. So als hätte Thomas Hettche überhaupt keine ästhetischen Anstrengungen unternommen, als würde seine Literatur sich nicht in ihr eigenes Recht setzen können. Und als würde Hettche hier allein das Thema Sorgerecht bearbeiten, sonst aber nichts. Dem ist nicht so. Denn die Liebe der Väter beschränkt sich ja nicht nur auf ledige Väter, die kein Sorgerecht haben (und das jetzt beantragen können), sondern sie ist etwas Universelles, und das scheint bei Thomas Hettche durchaus mit durch. Wenn sein Held zum Beispiel sagt: „Ich glaube, die Liebe der Väter entsteht, wenn sie zum ersten Mal in ihnen diese ganz voraussetzungslose Fülle spüren, die wir alle in uns tragen.“ Oder wenn dieser Peter die Veränderungen an seiner Tochter beobachtet, die deren Erwachsenwerden mit sich bringen, die Fremdheit, die dadurch entsteht. Oder sich Sorgen macht, die ihrem Alter nicht mehr angemessen scheinen.

Zumal ein Sorgerechtsurteil wie das aktuelle aus Karlsruhe aus Trennungskindern nicht plötzlich Glückskinder macht und Väter (wie auch Mütter) nicht befreit von Schuldgefühlen ihren Kindern gegenüber: „Man wird die Schuld nicht los, soviel man davon auch auf sich nimmt“, sagt Hettches Held und Ich-Erzähler einmal. Und am Ende gesteht er ihr: „Du warst mir irgendwann nicht so wichtig wie ich mir selbst. Das ist die Schuld, Annika, die ich seitdem mit mir herumtrage. Aber ich weiß nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Ich weiß nur: Ich hab dich immer geliebt.“

Die Liebe der Väter, die Schuld, die sie mit sich herumtragen, weil sie bei aller voraussetzungslosen Liebesfülle immer noch Egoisten sein können, Egoisten, die durch ihre Kinder immer auch die gescheiterte Beziehung schimmern sehen. All das behandelt dieser Roman, in dem folglich vor dem Hintergrund des verweigerten Sorgerechts die Perspektive auf die Mutter Annikas, Ines, eine sehr beschränkte ist. Ines wird tendenziell als böse und fahrlässig geschildert, als Rabenmutter, und Peter sieht sich nur zu gern als Opfer, von Ines, der bis dato geltenden Gesetzsprechung, später auch noch der Zeitläufte. Wer aber nur einmal einen Rosenkrieg verfolgt hat, weiß, wie schwarz-weiß es dabei zugeht, wie wenig Verständnis füreinander übrig bleibt.

Warum sollte Thomas Hettche auch noch die Perspektive der alleinerziehenden Mutter einnehmen? So viel Mutter- und Frauenverstehertum muss nicht sein. Also darf Peter der Kindsmutter, die er einen kurzen Augenblick mal geliebt hat, seinerseits Egoismus vorwerfen, weil sie dieses Kind bekommen hat, „nicht nur gegen den Willen des Vaters, sondern gegen alle Vernunft“. Um dann anzufügen: „Um Annika nicht zu verletzen, behandle ich ihre Mutter nicht so, wie ich wollte, und aus demselben Grund behandle ich natürlich auch die Vergangenheit so, dass es Annika möglichst wenig wehtut.“

Manchmal haben die Dialoge, die Hettche seine Protagonisten führen lässt, etwas Gestelztes, gerade wenn sie sich um das Sorgerecht drehen, um den Hass und das Unglück der Väter. Man fühlt sich dann eher ungut an Dialoge aus der „Lindenstraße“ oder dem „Tatort“ erinnert, mit denen die Figuren Politisches zu erklären versuchen. Viel besser versteht es Hettche, die Atmosphäre auf Sylt zu beschreiben, die jeden Tag wechselnden Wetterlagen, das Treiben in den Sylter Ortschaften gerade zu Silvester, seine Baugeschichte, seine Sagengeschichte. Und auch die atmosphärischen Schwingungen, die zwischen seinen Figuren herrschen, gelingen ihm gut, zum Beispiel zwischen Peter und seiner alten Jugendliebe Susanne, die mit ihrem Mann Anton und den beiden Kindern Tim und Kekke scheinbar eine Bilderbuchehe führt. Oder zwischen Peter und der Börsianerin und alleinerziehenden Mutter Helen Salentin, deren Sohn Julian mit Annika anbandelt.

Als Peter schließlich die Hand ausrutscht und er seine Tochter am Silvesterabend ohrfeigt, weil sie ihm erzählt, dass sie auf Geheiß der Mutter die Schule wechselt, ist es mit seiner Opferrolle vorbei. An dieser Stelle wird er nicht nur zu einem Ritter von der sehr traurigen Gestalt, für den man als Leser kaum noch Empathie aufbringt, sondern er wird endgültig zu einer komplexen Persönlichkeit; und an dieser Stelle bekommt dieser Roman im Verein mit den Silvesterfeierlichkeiten, einem Sturm auf Sylt und dem sich ankündigenden Börsencrash 2009 seinen dramatischen Höhepunkt, der ihn bis zum Ende trägt.

Dass Hettche seinen Helden des Öfteren über vergangene, verlorene Zeiten räsonieren lässt, ist ein bisschen viel des Guten. Das wirkt angemessen, auch angemessen poetisch, wenn Peter sich der vielen Sommerferien erinnert, die er mit seiner Mutter auf Sylt verbracht hat. Das bekommt jedoch etwas unangenehm Raunendes, wenn Peter, der Verlagsvertreter alter Schule, das Ende der Buchkultur, wie wir sie kennen, beklagt (und gleichzeitig feststellt, dass sich die Kinder seiner Freunde gar nicht lösen können von „Tintenherz“ und „Fünf Freunde“.)

Am Ende verlassen Vater und Tochter trotz der Ohrfeige gemeinsam die Ferieninsel. Beide sehen einer Zukunft entgegen, die Peter durch das Sorgerechtsurteil des Bundesverfassungsgericht zwar mehr Mitspracherecht bescheren dürfte. Das Gefühlsleben zwischen Vater und Tochter aber tangiert ein Urteil wie dieses nur am Rand. Und vor allem davon erzählt Hettches umsichtiger, sensibler Roman.

Thomas Hettche: Die Liebe der Väter. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 224 Seiten, 16, 95 €.

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