Becks neues Album "Morning Phase": Ozeanische Gefühle
Eine Wirbelsäulenverletzung, sechs Jahre Pause - auf „Morning Phase“ verarbeitet Beck den Schmerz der letzten Jahre mit getragenen Balladen und einer aus Zärtlichkeit geborenen Intenstität.
Schaltet man frühmorgens das Radio ein, bricht fast unvermeidlich ein Schwall guter Laune über einen herein. Moderatoren wie auf Speed, aufpeitschende Musik, lustige Jingles, alles einem Imperativ untergeordnet: Raus aus den Federn, der Tag ist dein Freund! Ein Konzeptalbum zum Thema „Morgen“ sollte also eine lebensbejahende Angelegenheit sein, von der Grundstimmung her ähnlich wie „Wake Up Boo!“, jener 90er-Jahre-Hit der britischen Band Boo Radleys mit dem penetrant wiederholten Refrain „Wake up, it’s a beautiful morning“.
„Morning Phase“ heißt die neue Platte von Beck, es ist die erste seit „Modern Guilt“, seiner Zusammenarbeit mit dem Produzentengenie Danger Mouse vor sechs Jahren – eine halbe Ewigkeit für einen rastlosen Geist wie Beck. Offenbar hatte ihn, wie er erst vor kurzem in Interviews enthüllte, eine Wirbelsäulenverletzung jahrelang stark beeinträchtigt. In den 13 Songs scheint er aus dieser Zeit der Schmerzen, des Zurückgeworfenwerdens auf die eigene zerbrechliche Körperlichkeit langsam wieder aufzutauchen. Die Lieder kreisen um den Übergang von Dunkelheit zu Dämmerung, um die Unschuld des anbrechenden Tages, um zaghafte Hoffnungen im ersten Morgenlicht. Und keines klingt dabei auch nur ansatzweise wie „Wake Up Boo!“.
Ein gedämpftes Schlagzeug, ein andächtig gezupfter Bass, ein Gitarrensolo aus wenigen Noten
Stattdessen hört man getragene, unaufgeregte, fast schon lethargische Balladen, die mit der Gemächlichkeit ozeanischer Gezeiten an die Gestade des erwachenden Bewusstseins schwappen. Samtene Streicherkaskaden umhüllen das Plinkern von Becks akustischer Gitarre, ab und zu wagt sich ein gedämpftes Schlagzeug, ein andächtig gezupfter Bass, ein aus wenigen Noten bestehendes E-Gitarrensolo ins Klangbild. Ganz selten wird das Tempo minimal flotter: ein grooviger Singalong bei „Blue Moon“, ein verhaltener Walzertakt bei „Blackbird Chain“, eine Andeutung von Triphop zu zerbeulten Pianoakkorden bei „Unforgiven“, das an die zweite Platte der französischen Electropopper Air erinnert – auf der Beck 2001 einen Gastauftritt hatte.
Über den mit wenigen Strichen, aber größter Sorgfalt skizzierten Klanglandschaften schwebt Becks Gesang: ein Wispern, ein Flüstern, ein Säuseln, oft in Hall gebadet oder von verwehten Chören umschmeichelt. Beck ist ja kein technisch beeindruckender Sänger, seiner Stimme scheint jedes körperliche Volumen zu fehlen. Aber gerade dieses oft mit letzter Kraft sich zu Worten formende Hauchen verleiht den Stücken eine aus Zärtlichkeit geborene Intensität.
So erhabene Streichersätze hat man in der Popmusik sehr lange nicht gehört
So leidenschaftlich gegen böse Erinnerungen hat Beck schon einmal angesungen, vor 12 Jahren. Damals verarbeitete er auf „Sea Change“ die Trennung von seiner langjährigen Verlobten und entblößte sich mit erzmelancholischen Balladen, die ihm kaum jemand zugetraut hatte. Bis dahin galt Beck als Wunderknabe, der in den 90ern mit dem Slacker-Hit „Loser“ und eklektischen Alben wie „Odelay“ zum Posterboy des Alternative Rock geworden war. Nur als ernst zu nehmenden Songwriter hatte ihn niemand auf dem Schirm. „Sea Change“ rehabilitierte Beck bei allen, die ihn zuvor nur als Pop-Chamäleon im Ironiemodus gesehen hatten.
Obwohl Beck „Morning Phase“ nicht als Sequel verstanden wissen will, klingt die Platte bisweilen wie ein nochmals verfeinertes Update der subtilen Popsinfonie „Sea Change“. Was unter anderem daran liegen könnte, dass Beck die ausgebufften L.A.-Studiomusiker von damals erneut angeheuert hat. Vor allem aber hat er wieder mit seinem Vater David Campbell zusammengearbeitet. Der schrieb schon in den 70ern die Streicherpartituren für bahnbrechende Platten von Stars wie Jackson Browne und Carole King. Fast möchte man sagen, „Morning Phase“ wäre sein Meisterwerk, denn so erhabene Streichersätze hat man in der Popmusik sehr lange nicht gehört – vielleicht sogar seit Claus Ogermans Arrangements für Antonio Carlos Jobims Bossa-Nova-Meilenstein „Wave“ (1967) nicht mehr.
„Wave“ heißt denn auch – zufällig? – eines der schönsten Stücke von „Morning Phase“: untermalt von gezeitenartig an- und abschwellenden Streichern findet Beck eine schlüssige Metapher für die Geworfenheit des Daseins: „And if I surrender / and I don’t fight this wave / I won’t go under / I’ll only get carried away“.
Mit 43 könnte Beck Hansen ganz klassisch in der Midlife Crisis stecken. Eine Lebensphase, die schon in früheren Jahrzehnten bei welkenden kalifornischen Pophelden wie Dennis Wilson (Beach Boys) oder Gene Clark (Byrds) große, sehr traurige Kunst hervorgebracht hat. Beck aber, der schon ein weiteres Album für 2014 angekündigt hat, bleibt sich selbst treu und überwindet Lebenskrisen mit Arbeit. Und das zu jeder Tageszeit.
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