Dix-Ausstellung in Stuttgart: Otto tanzt den Shimmy
Dandy oder Bürgerschreck? Die Werke des Realisten, Klassizisten und Malers Otto Dix werden in einer Stuttgarter Ausstellung präsentiert. Dix gilt als Hauptfigur der Neuen Sachlichkeit. Doch was ist das eigentlich?
Der Ausstellungsbetrieb ist ein gefräßiges Wesen. Permanent braucht es Frischfleisch, junges Gemüse. Alternativ stehen Klassiker auf dem Speiseplan. Damit auch die bewährten Größen als Novität erscheinen, werden sie immer wieder auf neue Aspekte konsultiert – bis hin zur Hinterfragung ihres eigentlich gefestigten Status. Das Kunstmuseum Stuttgart wagt dieses Experiment mit seinem Hausheiligen Otto Dix. Im gläsernen Ausstellungskubus mitten im Zentrum der Stadt wird die weltweit bedeutendste Sammlung des Malers gehütet, einer Hauptfigur der Neuen Sachlichkeit. Womit die Problematisierung auch schon beginnt.
Was heißt hier eigentlich Neue Sachlichkeit? Der Direktor der Mannheimer Kunsthalle erfand den Begriff 1925, als er für seine Zusammenschau nachexpressionistischer Kunst eine übergeordnete Bezeichnung suchte. Fast vierzig Jahre später erklärte Otto Dix in einem Interview mit größtem Selbstbewusstsein: „Die neue Sachlichkeit, das habe ich erfunden.“ Zweifel waren schon damals an der kühnen Behauptung angebracht. Nun aber wird Dix selbst einer neuerlichen Prüfung unterzogen. War er wirklich der kritische Chronist der Weimarer Republik, als der er bis heute gilt?
Innerhalb kürzester Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wandelt sich der Maler vom Expressionisten zum Realisten. Nur ein Jahr nach dem flammenden, kubistisch gebrochenen Männerkopf von 1919 entsteht das veristische Bildnis eines trostlosen Arbeiterjungen mit hängenden Schultern und Schiebermütze. Dazwischen legt Dix eine Dada-Episode ein und porträtiert ätzend das Treiben auf der Prager Straße in Dresden. Der Sohn eines Eisenformers und einer Näherin aus Gera weilt zum Kunststudium in der Stadt. Die Schaufenster der berühmten Promenade sind mit Prothesen dekoriert, auf dem Bürgersteig tummeln sich Krüppel. Der Ausriss eines Flugblattes mit der Aufschrift „Juden raus!“ ist als Collage eingefügt. Dix besitzt ein untrügliches Gespür für die Gemeinheiten seiner Zeit.
Mit seinem Berliner „Großstadt“-Triptychon von 1927/28, einem Hauptwerk der Stuttgarter Sammlung, erreicht Dix den Höhepunkt seiner brillanten Kunst, die gleichzeitig messerscharf reportiert und opulent übertreibt. Während sich im Mittelteil des Großformats die Glücksritter der Goldenen Zwanziger amüsieren, bevölkern die Randgestalten der Gesellschaft die Seitenteile: Kriegsinvaliden und Huren.
Gnadenlos bildet Dix die Extreme ab, doch nicht um sich darüber zu erheben oder anzuklagen. Dafür tanzt er selbst viel zu gern den Shimmy und genießt das Leben in den Lotterlokalen. Das Selbstbildnis „An die Schönheit“ (1922) zeigt ihn als smarten Dandy mit pomadisiertem Haar, der von affektierten Schönheiten und einem temperamentvollen schwarzen Schlagzeuger gerahmt wird. Dix versteht sich als Dokumentarist an der Staffelei.
„Der Maler ist das Auge der Welt“, sagt er. „Der Maler lehrt die Menschen sehen, das Wesentliche sehen, auch das, was hinter den Dingen ist.“
Dix faszinierte die Gewalttätigkeit des Krieges
Eine neusachliche Bewegung, einen einheitlichen Stil aber hat es nie gegeben. Schon Gustav Friedrich Hartlaub, der Mannheimer Direktor, konstatiert bei der ersten programmatischen Ausstellung einen Zerfall in zwei Richtungen: in Veristen und Klassizisten. Die Veristen malen die Härte des Großstadtlebens, die Klassizisten das romantische Land, die stillen Porträts. Heute weiß man längst, dass sich eine solche klare Unterscheidung nicht aufrechterhalten lässt, schon gar nicht die Trennung in kritische linke und verharmlosende rechte Gesinnung, wie es jahrzehntelang für die Kunstgeschichtsschreibung galt.
Gerne wurde Dix wegen seiner brutal direkten Kriegsdarstellungen als Aufklärer, als Pazifist reklamiert. Doch davon kann nun nicht mehr die Rede sein. Aus seinen Bildern spricht keineswegs Emphase, sondern fasziniertes Interesse an den Gewalttätigkeiten des Krieges. Der nun in Stuttgart gewagte entideologisierte, analytische Blick auch auf Dix’ eigene Arbeiten hilft einer präziseren Einordnung. Der Maler ist Verist und Klassizist zugleich. Sein Landser, der in dem Gemälde „Grabenkrieg“ (1932) mit modrig braunem Überwurf und geschultertem Gewehr durch eine geborstene Landschaft zieht, wirkt wie ein römischer Held der Gegenwart, ein moderner Gladiator. Der „Wirklichkeitsmensch“ Dix, wie er sich selbst nennt, will nicht die Welt verbessern wie Grosz oder Heartfield, sondern das Leben zeigen, wie es ist.
Doch schon das geht dem Staatsanwalt zu weit. 1923 wird Dix wegen seiner drastischen Dirnenporträts der Pornografie angeklagt – für den Künstler eine willkommene Gelegenheit, um seinen Ruf als Bürgerschreck weiter zu etablieren. Der Rechtsanwalt Hugo Simons paukt ihn raus, indem er die Gemälde als Warnung vor solch liederlichem Lebenswandel erklärt. Als ein Auftraggeber das allzu realistisch geratene Bildnis seiner Tochter nicht bezahlen will, zitiert Simons die künstlerische Freiheit herbei, erstmals in der Rechtsgeschichte. Der Künstler dankt es ihm 1925 mit einem Bildnis, das den Juristen fein gestikulierend zeigt. Der Anwalt nahm es mit in die Emigration nach Kanada. Nun ist es erstmals wieder in Deutschland zu sehen, inmitten einer Galerie gepflegter Society-Porträts, mit denen Dix sich sein Geld verdiente.
Dix ist nicht nur ein Maler allein, sondern er verkörpert viele, ist Realist und Klassizist zugleich, Skandalon und Gesellschaftsmaler, der auch im Dritten Reich noch sein Auskommen hat. Zwar vertreiben ihn die Nazis aus der Dresdner Akademie und belegen ihn mit Ausstellungsverbot, aber in seiner neuen Heimat am Bodensee malt er weiter, nun brave Landschaften wie „Randegg im Schnee mit Raben“. Bislang wurden die Vögel als Unglücksboten interpretiert, als versteckte Kritik.
Das hat sich nun geändert. Womöglich hat der Künstler als „Auge der Welt“ sie wirklich so gesehen.
Kunstmuseum Stuttgart, bis 7. 4.
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