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Jud Süß
© Tom Trambow

"Jud Süß – Film ohne Gewissen": Oskar Roehlers Werk macht einen Mittäter zum Opfer

"Jud Süß – Film ohne Gewissen" ist keine spannende Geschichtsstunde, wie sie von Oskar Roehler, dem gerne psychologisch und visuell grell zuspitzenden Regisseur, zu erwarten gewesen wäre. Sondern ein Stück (Film-)Geschichtsfälschung.

Wenn im Vorspann eines Films behauptet wird, er beruhe auf einer wahren Geschichte, ist stets erhöhte Aufmerksamkeit angebracht. Nicht dafür, dass im Spielfilm Tatsachen dargestellt werden, sondern wie dies geschieht. Nicht auf die Übereinstimmung mit den zugrunde liegenden Fakten, sondern darauf, wie von ihnen abgewichen wird und warum.

Veit Harlans „Jud Süß“ (1939/40), Lieblingsprojekt des Nazipropagandaministers Joseph Goebbels, trägt vorneweg die Zeile: „Die im Film geschilderten Ereignisse beruhen auf geschichtlichen Tatsachen.“ Tatsächlich beschäftigte der württembergische Herzog Karl Alexander in den Dreißigerjahren des 18. Jahrhunderts einen jüdischen Kaufmann namens Joseph Süß Oppenheimer, der als „Finanzsenat“ am Hof zu seinem engsten politischen Berater aufstieg. Nach dem Tod des Herzogs wurde er 1738 gehenkt.

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Veit Harlan machte aus dem historischen Stoff keinen subtil manipulativen antisemitischen Propagandafilm, sondern ein Hetzwerk mit unmissverständlicher Aufforderung zur ultimativen Vertreibung und Auslöschung der Juden. Millionen Deutsche verstanden den Film damals sicher richtig – ebenso die SS-Wachmannschaften in den KZs, denen der Film zur Aufrechterhaltung der Moral der Truppe vorgeführt wurde.

Oskar Roehlers „Jud Süß – Film ohne Gewissen“, der die Entstehungsbedingungen und Folgen des perfidesten Nazifilms auf seine Weise untersucht, braucht das Insert im Vorspann nicht: Die historische Tatsache des Films „Jud Süß“ ist bekannt. Einige Szenen sind unmittelbar dem bis heute nicht frei verkäuflichen und bei Vorführungen nur mit wissenschaftlicher Einordnung begleiteten Film entnommen, in andere sind die Köpfe der Roehler-Schauspieler digital einkopiert, dritte wiederum sind insgesamt sorgfältig nachgestellt.

Doch eine spannende Geschichtsstunde, wie sie von dem gerne psychologisch und visuell grell zuspitzenden Oskar Roehler zu erwarten gewesen wäre, ist sein nachempfundenes „Jud Süß“-Making-of nicht. Sondern ein Stück (Film-)Geschichtsfälschung. Unter Roehler wandelt sich der österreichische „Jud Süß“-Hauptdarsteller Ferdinand Marian vom Mittäter der nationalsozialistischen Propagandaindustrie zu deren Opfer.

Bereits im Vorfeld hatte der Medienwissenschaftler Friedrich Knilli, Verfasser der Biografie „Ich war Jud Süß. Die Geschichte des Filmstars Ferdinand Marian“ (das 2000 erschienene Buch wurde soeben bei Henschel neu aufgelegt), auf mehrere Unkorrektheiten hingewiesen, darunter eine entscheidende: Marians Ehefrau war keine Halbjüdin, sondern Katholikin. Wer den Film nicht kennt, mag dieses Detail für eine lässliche Abweichung von der tatsächlichen Marian-Biografie halten. Tatsächlich aber beruht die gesamte Story ganz wesentlich darauf.

Der historische Ferdinand Marian, zunächst durchaus zögernd, die Rolle anzunehmen (wie fünf Kollegen, die sie bereits abgelehnt hatten), hat sich – halb zog man ihn, halb riss es ihn hin – einfach breitschlagen lassen. Mit einem jüdischen Hintergrund erpressbar, wie von Roehler behauptet, war er nicht. Damit entfällt das zentrale Motiv für die Identifikation des Zuschauers – wie hätte ich an Marians Stelle gehandelt? – oder zumindest Empathie.

Schade ist der Befund nur insofern, als der Film, der wie schon Roehlers immer noch grandiose „Unberührbare“ (2000), in einer sorgfältig arrangierten, nahezu entfärbten Welt spielt, inszeniert mit unerhörter Liebe zum Detail, eifrigem Schauspielereinsatz und überhaupt kolossalem Aufwand. Tobias Moretti ist ein verblüffend überzeugendes Alter Ego Marians, Martina Gedeck gibt die flirrend- verwirrte Ehefrau famos. Armin Rohde (als Heinrich George, der im Nazifilm den Herzog spielte), Milan Peschel (als Werner Krauss) und auch Robert Stadlober glänzen in kleineren bis kleinsten Rollen. Und Moritz Bleibtreu, der es als Goebbels in allerjüngster Filmvergangenheit mit Ulrich Matthes („Der Untergang“) und Sylvester Groth („Mein Führer“, „Inglourious Basterds“) aufnehmen muss, fügt der lauernd furchterregenden Leutseligkeit seiner Figur noch eine Prise Bruno-Ganz-Führergebrüll dazu.

Hilft nichts. Roehlers „Film ohne Gewissen“ reiht sich nahtlos in jenes neuere deutschen Exkulpationskino ein, das die durchaus aktiven Mitmacher deutsch-diktatorischer Systeme letztlich als arme Schweine darstellt: Das geht vom einsamen Feldherrn im „Untergang“ bis zum unglücklichen Stasi-Offizier in „Das Leben der Anderen“. Bei Roehler wiederum darf sich Marian auch aus Verzweiflung darüber, dass seine Frau vergast worden ist, zu Tode saufen. Ob eine Figur wie er demnächst noch zum Widerstandshelden à la Stauffenberg taugt?

Tatsächlich hat Ferdinand Marian, was Roehler auslässt, nach „Jud Süß“ unter den Nazis noch ordentlich Karriere gemacht. Elf Filme drehte er bis 1945, bevor er 1946 bei einem Autounfall starb. Sein Entnazifizierungsverfahren war damals auf dem allerbesten Wege.

Heute 12 und 18 Uhr (Friedrichstadtpalast) und 22.30 Uhr (Urania),  21.2., 23 Uhr (Friedrichstadtpalast) 

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