Kultur: Orte für Gemüt und Geschichte
Ein Berliner Baumeister aus der Schweiz: Max Dudler zeigt in Heidelberg und Hambach seine Liebe zum Stein.
Heidelberg zählt zu den Orten, an denen sich das deutsche Gemüt labte; ein lieu de mémoire, ein Gedächtnisort, wie ihn die französische Geschichtsschreibung in die Wissenschaft eingeführt hat. Heidelberg verblasst, sogar in den Augen ausländischer Touristen, die hier einst die ideale Verbindung von universitärer Gelehrsamkeit und romantischer Alltagsstimmung suchten. „Als moderne Universitäts- und Touristenstadt hat Heidelberg nach 1945 dem überlieferten Bild nichts entscheidend Neues mehr hinzugefügt“, heißt es kaltherzig in dem von Etienne François und Hagen Schulze herausgegebenen Sammelband „Deutsche Erinnerungsorte“ über die Stadt am Neckar.
Gewiss, das Heidelberger Schloss, um dessen Wiederaufbau vor mehr als einem Jahrhundert erbittert gestritten wurde, bis die Denkmalpflege ihr Dogma „Konservieren, nicht restaurieren“ durchsetzte, ist heutzutage kaum mehr ein Symbol, sondern Touristenziel. Es taugt nur mehr fürs Gemüt. Und heutige Besucher wollen empfangen werden, informiert und beköstigt. Das gilt ebenso für einen zweiten lieu de mémoire, der es weit mehr verdient hat, ins kollektive Gedächtnis eingesenkt zu werden: das Hambacher Schloss, die „Wiege der deutschen Demokratie“. Was seit dem 19. Jahrhundert als Hambacher Schloss bezeichnet wird, ist im Kern eine mittelalterliche Burganlage in der Pfalz nahe Neustadt/Weinstraße.
Zu historischer Bedeutung kam die Burgruine 1832, als sich dreißigtausend Menschen aus der 1816 bayerisch gewordenen Pfalz auf dem Burgberg versammelten, um Freiheitsrechte einzufordern. Das Hambacher Fest von 1832 markiert einen der Erinnerungsorte der deutschen Republik. Hier ist zum allerersten Mal eine Fahne in den Farben Schwarz-Rot- Gold getragen worden, die sich die Republikaner zu eigen machen sollten, 1848, 1918 und nochmals 1949.
Dieses Hambacher Schloss, im 19. Jahrhundert auf Wunsch des Königs von Bayern – zu dem die Pfalz damals zählte – umgebaut, aber halb fertig liegen geblieben, wird seit einigen Jahren renoviert. Der in Berlin lebende Schweizer Architekt Max Dudler erhielt den Auftrag zum Umbau für die historische Ausstellung wie auch zur Erweiterung um einen Restaurant-Trakt. In Heidelberg war ein „Besucherzentrum“ in das Renaissance-Ensemble zu integrieren. Es wird am Donnerstag durch die Landesregierung Baden-Württemberg festlich eröffnet.
Dudler, wie auch Mies van der Rohe Sohn eines Steinmetzen, hat ein inniges Verhältnis zum Stein. In Heidelberg wie in Hambach konnte er massiven Sandstein verwenden. Die Festigkeit der Mauern teilt sich dem Besucher mit, er sieht und fühlt den behauenen Stein. Wer in Hambach zwischen dem Neubautrakt und der Außenmauer wandelt, spürt eine gewachsene und bewahrte Tradition.
Das ist alles andere als Historismus. Die asymmetrisch gestaffelten Baukörper des Heidelberger Besucherzentrums machen deutlich, dass hier keinerlei Anbiederung versucht wird. Es geht bei beiden Bauaufgaben vielmehr um den Respekt vor dem Bestand, dem schließlich das Interesse der Besucher gilt, und dem sich die Neubauten in dienender Funktion hinzugesellen. Und es geht um den Respekt vor dem Geschichtsort.
Heidelberg galt einmal als Urbild „deutscher Burschenherrlichkeit“. Die Burschenschaften, ursprünglich Vorreiter eines bürgerlich-republikanischen Fortschritts, versanken in Nationalismus und, schlimmer noch, völkischer Ideologie. Damit ist es zum Glück vorbei, doch bleibt es Teil der Geschichte, die von diesen beiden Orten nicht abzulösen ist.
Das bedeutet im Verständnis des Architekten jedoch nicht, irgendeinen „Bruch“ zu inszenieren, wie es allerorten gedankenlose Mode ist. Denn in Hambach gibt es keinen Bruch, der uns von den damaligen Ereignissen trennen müsste, sondern nur Vergessen. In Heidelberg handelt es sich um das Verlöschen einer romantischen Tradition, die sich schlichtweg überlebt hat. Der gebürtige Ostschweizer des Jahrgangs 1949 Max Dudler, seit vielen Jahren in Berlin-Kreuzberg ansässig, sieht seine eigene Tradition anderswo: Sein Büro unterhält er am Oranienplatz im ehemaligen „Konsum“-Haus von Max Taut, einem Rasterbau des „Neuen Bauens“, das Dudler in eigenen Entwürfen immer wieder anklingen lässt (s. Max Dudler: Kontinuität/Continuity. Sieben Bände in Kassette. Verlag Niggli, Zürich, 124 €).
So auch in der Rasterfassade der Bibliothek der Humboldt-Universität, die tagtäglich von lesehungrigen Studenten überlaufen wird. Dass die Architektur der Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum getauften Bibliothek zu ihrer Beliebtheit beiträgt, steht außer Frage. Vielleicht ist es die Atmosphäre geistiger Freiheit; Milan Bulaty jedenfalls, zwanzig Jahre lang Direktor der HU-Bibliothek und an der Planung des Neubaus aufs Engste beteiligt, gab zur Eröffnung 2009 ein Buch heraus, das genau diesen Aspekt herausstellt und im Übrigen betont, „dass beim Bau einer Bibliothek Dauerhaftigkeit eine wesentliche Rolle spielt“. Genauso sagt es Dudler selbst: „Künftigen Generationen sind wir nicht nur schöne und nützliche Häuser schuldig, sondern auch solche von Dauerhaftigkeit.“
Anfangs hatte es Dudler stärker noch mit dem Raster, da schimmerten die Lehrjahre im Büro des Rationalisten Oswald Mathias Ungers durch. 1986 machte sich Dudler selbständig. In Berlin entwarf er ein Umspannwerk am Lützowplatz. Nach der Wende ging’s richtig los: Die Gesamtschule in Hohenschönhausen, ein eindrucksvoller, breit gelagerter Bau in grünem Steinkleid, brachte Baukunst in ein eintöniges Plattenviertel – und knüpft im Gestus an die Schulbauten der Zwanziger an, wofür wiederum der Name Taut steht, allerdings der des Bruders Bruno Taut. Für das Bau- und Verkehrsministerium entwarf er die beiden Erweiterungsbauten hinter dem restaurierten Altbau an der Invalidenstraße, granitverkleidet, weder anbiedernd noch wegduckend.
An den Schlössern in Heidelberg und Hambach zeigt der Schweizberliner Dudler, dass er sich die Vergangenheit anverwandelt, um sie als zeitlose, als nicht-zeitabhängige neu zu schaffen. So ergänzt und betont Architektur den Charakter des Gedächtnisortes, in Heidelberg wie in dem aus dem kollektiven Bewusstsein gefallenen Hambach. Und in der Berliner Bibliothek als Ort geistiger Freiheit ebenso, einem künftigen lieu de mémoire, weil sich in ihr die geistige Tradition der Berliner Universität verdichtet. Bibliothekschef Bulaty schreibt übrigens, „dass bei unseren Entscheidungen über die Gestaltung einer Bibliothek im Zweifel die Schönheit der Funktionalität vorzuziehen ist.“ Warum denn? Max Dudler erschafft beides. Denn es gibt deutsche Erinnerungsorte, die nicht schmerzen müssen, sondern Zuversicht stiften.
Bernhard Schulz
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