Die Mumins als Helden der Popkultur: Onkelschrompel und die Kleine Mü
Vor hundert Jahren wurde ihre Erfinderin geboren, die Malerin Tove Jansson. Jetzt erobern die Mumins von Helsinki aus die Welt. Ein Besuch im Hauptquartier der Trolle.
Als Tove Jansson in den späten sechziger Jahren an ihrem Buch „Herbst im Mumintal“ schrieb, sollte dieses definitiv ihr letztes Mumins-Buch werden. Von einem Aufbruch ist darin gleich zu Beginn die Rede, „ein Aufbruch, das ist so etwas wie ein Sprung!“, wie hier der Schnupferich sagt. Aufbrüche sind zunächst einmal mumintypisch, verlassen die Bewohner des Mumintals doch in vielen von Tove Janssons neun Mumin-Büchern ihre Welt: gezwungenermaßen, weil es Stürme oder Kometen gibt. Aber auch freiwillig: aus Abenteuerlust, einem unbestimmten Freiheitsdrang folgend, weil sie es womöglich zu gut haben, wie die Muminmutter im Band „Mumins wundersame Inselabenteuer“ mutmaßt, und sie deshalb weiter müssen.
Doch wird Janssons 1970 veröffentliche letzte Mumins-Buch auch von einer kräftigen, geradezu lauten Melancholie durchzogen. Was daran liegt, dass die eigentlichen Hauptfiguren, nämlich der Muminvater, die Muminmutter, Mumin und die Kleine Mü das Mumintal verlassen haben, wie es scheint endgültig, für ebenjene Insel, „die allerletzte Insel, weiter draußen wohnt niemand mehr“. Aber die Freunde und Bekannten der Mumins-Kernfamilie haben ihrerseits eine große Sehnsucht nach dem Mumintal, und sie pilgern allesamt dorthin, um es sich im Muminhaus gemütlich zu machen und auf eine mögliche Rückkehr der Mumins zu warten: die Filifjonka und die Mymla, der Onkelschrompel, der Hemul und Homsa Toft.
Und auch der Schnupferich, der zu Beginn so voller Tatendrang aufgebrochen war und sich auf seine „köstliche Einsamkeit“ gefreut hatte, kehrt vorzeitig zurück und stellt fest, wie sehr er die Muminfamilie vermisst: „Die waren zwar auch anstrengend. Sie wollten sich unterhalten, sie waren überall. Aber mit ihnen konnte man allein sein. Wie machten sie das eigentlich, überlegte der Schnupferich erstaunt. Wie ist es möglich, dass ich all die langen Sommer mit ihnen verbracht habe, ohne jemals zu merken, dass sie mich allein ließen?“
Auch Tove Jansson dürfte sich diese Frage immer drängender gestellt haben. Seit den späten dreißiger Jahren und ihrer ersten Buchveröffentlichung „Willkommen im Mumintal“ 1945 war sie viel mit ihren Figuren allein, waren die immer da. Das Schreiben von „Herbst im Mumintal“ war dann, bei aller Melancholie und Traurigkeit, gleichfalls eine Erleichterung. Denn mit den freundlich-drolligen, großköpfig-weichen, vage an Nilpferde erinnernden Mumims ist Jansson zwar weltberühmt geworden – sie ließen ihr jedoch wenig Zeit für ihre erste, eigentliche Liebe: die Malerei. Die Mumins überdeckten durch ihren Weltruhm, dass Jansson vielfältig kreativ war, nicht nur als Illustratorin und Comiczeichnerin, sondern auch als Malerin, nicht nur als Mumins-Schöpferin und -Geschichtenerzählerin, sondern auch als Verfasserin von Kurzgeschichten und Non-Mumins-Büchern.
Auf diese vielen Leben und Karrieren der 2001 im Alter von 87 Jahren verstorbenen Jansson zielt gerade eine große, gelungene Ausstellung, die das Atenäum Kunstmuseum in Helsinki aus Anlass ihres 100. Geburtstags zeigt. Die Schau ist vornehmlich biografisch ausgerichtet, vermittelt, wie schillernd-emanzipiert dieses Künstlerinnenleben war, und inszeniert Jansson, zumindest bis zu den Mumins-Räumen, als eine von den jeweiligen Kunstepochen ihrer Zeit beeinflusste Malerin. Es beginnt mit Porträts der Eltern von Jansson, die beide der schwedischsprachigen Minderheit des Landes angehörten: der Bildhauer Viktor Jansson und die Illustratorin Signe Hammarsten-Jansson, sowie von ihren Brüdern Lars und Per Olov.
Auffallend ist im Verlauf der Ausstellung, wie viele Selbstporträts Jansson gemalt hat – angefangen mit einem Bild, das sie im Familienkreis zeigt, dann gibt es zahlreiche Bilder, die sie in jungen Jahren zumeist mit Zigarette im Mund oder in der Hand abbilden, und schließlich eines ihrer letzten Ölgemälde aus dem Jahr 1975, auf dem die Künstlerin ziemlich offenherzig mit den Spuren ihres Alters umgeht.
Tove Jansson verstand sich "hundertprozentig" als Künstlerin
Tove Jansson, das beweisen diese Bilder, war durchaus exzentrisch und selbstverliebt, aber genauso mutig und aufrührerisch, so wie ihr Schnupferich, der in dem Buch „Sturm im Mumintal“ in einem Park alle Verbotsschilder herunterreißt und eine große Schar Kinder aus der beengenden Obhut der Parkwächter befreit. Sie wuchs in den zwanziger Jahren in den Boheme-Kreisen der schwedischsprachigen Minderheit Helsinkis auf und fühlte sich spätestens mit Ende zwanzig, Anfang dreißig zu beiderlei Geschlechtern hingezogen. Das war eine Art öffentliches Geheimnis, zu einer Zeit, da Homosexualität in Finnland unter Strafe stand (bis ins Jahr 1971 noch!). Ihre Mutter zum Beispiel wusste es, schwieg sich aber darüber aus: „Ich fand das richtig und elegant so, es machte mich aber auch sehr einsam“, sagte Jansson ihrer Biografin Boel Westin.
Nach ihrem Kunststudium in Helsinki, Stockholm und Paris machte Jansson sich mit Zeichnungen und insbesondere Hitler-Karikaturen für die Satirezeitschrift „Garm“ einen Namen. Dabei tauchte am unteren rechten Bildrand oftmals schon ein Muminprototyp auf, als ihre Signatur, als frühes Trademark gewissermaßen. Diese Figur hatte sie, so will es die Legende, erstmals in den dreißiger Jahren auf der Plumpsklowand des elterlichen Sommerhauses skizziert – aus Wut über einen Streit mit ihren Brüdern über Kant. Sie malte dann neben ihrer Arbeit für „Garm“ surrealistisch angehauchte Landschaften (das Mumintal bekommt hier seine ersten, gut erkennbaren Formen), bekam nach dem Krieg Aufträge von der Stadt Helsinki für öffentliche Gebäude (auch auf denen taucht hie und da ein Mumintroll auf) und versuchte sich schließlich in den sechziger und frühen siebziger Jahren, eher erfolglos, weil doch gegenständlich orientiert, in abstrakter Malerei.
Schon in den fünfziger Jahren, als die Mumins als Cartoons und Comicfiguren die Welt eroberten (Tove und ab 1957 ihr Bruder Lars zeichneten bis in die siebziger Jahre für die Londoner „Evening News“ Mumin-Strips, die Mumins hatten Gastrollen in der „Augsburger Puppenkiste“) und sie mit Preisen überhäuft wurde, sehnte sich Tove Jansson nach Auszeiten von ihren Fabelwesen – und übertrug damals das Copyright und das immer größer werdende Mumins-Business ihrem jüngeren Bruder, dessen Tochter Sophia heute die Firma Moomins Characters leitet.
Tatsächlich kommt man sich wie im Mumins-Tal vor, betritt man die Büros von Moomins Characters im alten Hafenviertel von Helsinki. Schillernd bunt ist es hier. Überall stehen Mumins-Stofftiere und -Accessoires in Regalen, und natürlich wird beim Gespräch mit Sophia Jansson der Kaffee in Mumins-Tassen und die Plätzchen auf Mumins-Tellern serviert. Jansson, die seit 1997 Geschäftsführerin ist, erzählt dann ausführlich die Erfolgsgeschichte von Moomins Characters, wobei auch sie nicht vergisst zu erwähnen, dass ihre Tante „zu 100 Prozent Künstlerin“ gewesen sei und schon früh Kunst und Geschäft zu trennen versuchte.
Jansson weist auf den Vorteil hin, nur Lizenzen zu vergeben und nichts produzieren zu müssen. Über 450 habe man inzwischen verkauft, insbesondere in Japan, Hongkong, Taiwan und Südkorea sowie in den meisten europäischen Ländern seien die Mumins ein Renner. So zieren die Mumins-Figuren Bettwäsche genauso wie Taschen, es gibt Shampoos, Kinderspielzeug, Süßigkeiten und vieles andere mehr, und natürlich laufen die Mumins auch im Fernsehen und in sozialen Medien wie Twitter, Instagram und Facebook.
Die Mumins, ein popkulturelles Phänomen.
Die Mumins sind einerseits ein globales popkulturelles Phänomen und als ein solches den üblichen kapitalistischen Verwertungszusammenhängen ausgesetzt – eine Marke wie Hello Kitty, Miffy oder manche Walt-Disney-Figuren. Sophia Jansson weist aber alle Vorwürfe zurück, Tove Janssons eigentliches Werk auszuverkaufen. Schließlich würden die Mumins-Bücher weiterhin gelesen und auch universitär behandelt. Mit Mazedonien sei kürzlich auf der Kinderbuchmesse in Bologna das 50. Land dazugekommen, das die Mumins in seine Sprache übersetzen werde. Und tatsächlich ist da der unverwüstliche, ewige Kern dieses Universums: die neun Bücher von Tove Jansson.
Sie sprechen alle Altersgruppen an. Ja, sie sind wegen ihrer Doppelbödigkeit und manchmal dunklen Rätselhaftigkeit, ihrer irgendwie geheimnisvollen Paradoxien bisweilen mehr noch etwas für Erwachsene als für Kinder. Wenn es zum Beispiel heißt: „Alles ist sehr unsicher, und gerade das beruhigt mich“. Oder wenn die vielleicht unheimlichste Jansson-Figur, die Morra, als ein Wesen beschrieben wird, „dessen Zeit unendlich, langsam und undeutlich war“. Oder der Onkelschrompel Bauchweh davon bekommt, sich immer wieder an etwas erinnern zu müssen: „Vergessen, das ist was Feines.“ Im Fall der Mumins jedoch, ist man einmal mit ihnen in Kontakt gekommen, ist Vergessen unmöglich.
Die Tove-Jansson-Ausstellung im Atenäum in Helsinki läuft bis zum 7. September. Die Mumins-Bücher gibt es alle in der Übersetzung von Birgitta Kicherer im Arena Verlag für jeweils 4,99 €, die Mumins-Comics erscheinen im Berliner Reprodukt Verlag. Bislang sind sieben Bände zum Preis zwischen 10 und 24 € herausgekommen.
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