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Spiegelkabinett. Der Lichthof des Gropius-Baus ist in einen gigantischen Kristall verwandelt.
© dpa

Ausstellungseröffnung: Olafur Eliasson: Tanz im Licht

„Innen Stadt Außen“: Olafur Eliasson macht den Betrachter in seiner Ausstellung im Martin-Gropius-Bau zum Akteur. Seine Werke bieten ein Erlebnis, ja eine Selbsterfahrung, doch nie als solipsistischen Moment, sondern in Gemeinschaft.

Olafur Eliasson ist ein Künstler der Gegensätze: Licht und Dunkel, massive Materialität und zarte Durchlässigkeit wechseln sich bei ihm ab. Für ihn gehören beide Seite zu einer Medaille, in der Kunst wie in der Dramaturgie einer Ausstellung. Der Besucher der Ausstellung „Innen Stadt Außen“ im Martin-Gropius-Bau kann sich im doppelten Entree entscheiden: Wendet er sich nach links, tritt er in einen fast völlig leeren Raum, auf dessen Boden über 100 Jahre alte Granitplatten einen „Berliner Bürgersteig“ bilden, der sich durch zwei weitere Säle fortsetzt. Von der Decke hängt lediglich ein Pendulum, das als „Reality compass“ gen Norden, genauer: auf den Freiraum zwischen Abgeordnetenhaus und Finanzministerium weist.

Plötzlich dringt die äußere Wirklichkeit, Berliner Politik, Staatsverschuldung, Sonnenschein durch das Fenster in die Ausstellung ein, Alltag und Vergangenheit steigen vom steinernen Boden auf. Auch wenn jede Kunst in einem Ausstellungsraum aufs Neue für sich behauptet, die erste und einzige am Ort zu sein, den „White Cube“ gibt es nicht, die neutrale Leere bleibt ein Konstrukt, das Eliasson auseinandernimmt. Bei ihm steht massiv im Raum, was das Museum per definitionem sonst außen vor lässt: die Stadt, das Leben.

Nimmt der Besucher jedoch den rechten Eingang, macht er die exakt gegenteilige Erfahrung: Er befindet sich mitten im dichten Nebel, der mit jedem vorsichtigen Schritt seine Farbigkeit verändert. Aus Rot wird Blau, Grün und wieder Rot, als Mischung legt sich Gelb dazwischen. Man verliert die Orientierung, sieht fast die Hand vor Augen nicht und tastet sich durch die drei Räume an anderen Besuchern vorbei, die man erst dann wahrnimmt, wenn sie unmittelbar vor einem stehen.

Selten ist man so allein und doch so dicht beim anderen. Das Glück, durch reines Licht zu gehen, Farbe regelrecht zu spüren, wird zum kollektiven Erlebnis, dessen schönste Augenblicke jedoch in der völligen Abschottung vom anderen bestehen. Theaternebel, dieses Nichts aus Undurchdringbarkeit, kombiniert mit farbigen Neonröhren, die in einer heruntergezogenen Decke montiert sind, schenkt dem Besucher eine ungeahnte physische Präsenz. Fast ist es wie ein Gang durchs Purgatorium, jedoch der angenehmen Art. Der Mensch ist bei Eliasson nicht nur das Augentier, der intellektuelle Kopf, sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut, unmittelbarer Angst und Lust.

Dafür sind Olafur Eliassons Werke berühmt: Sie bieten ein Erlebnis, ja eine Selbsterfahrung, doch nie als solipsistischen Moment, sondern in Gemeinschaft. Bei ihm besitzt Kunst im besten Sinne demokratische Qualität. Das macht ihn auch zum Künstler der Superlative. Über zwei Millionen Besucher sahen 2003 in der Londoner Tate Modern seinen „Weather Report“, Heerscharen feierten die Neonröhren-Sonne am Horizont der gigantischen Turbinenhalle als ein alle Generationen und kulturelle Grenzen überschreitendes Happening. Wie viel Menschen fünf Jahre später zu seinen 40 Meter hohen künstlichen Wasserfällen in Manhattan pilgerten, ist nicht verbucht. Wahrscheinlich waren es noch mehr.

Welch ein Erwartungsdruck für Berlin, die Stadt, die seit Mitte der neunziger Jahre der Lebens- und Arbeitsmittelpunkt dieses Lieblings des Kunstbetriebs ist. Doch den hatte der dänische Künstler isländischer Herkunft schon vor Beginn seiner Soloschau unterlaufen. „Innen Stadt Außen“ baut kurzerhand ganz Berlin als Spielort ein. Nicht erst zur Eröffnung am morgigen Mittwoch, sondern schon seit Wochen, in denen das Team um Olafur Eliasson Treibholz aus der isländischen Heimat des Künstlers und Fahrräder mit Spiegeln statt Reifen in den urbanen Raum implantierte (Tsp. vom 18. 4.). Plötzlich wird die City zum Museum, alles darin könnte Kunst sein. Umgekehrt öffnet sich das 1881 als Kunstgewerbemuseum erbaute Haus hin zur ganzen Stadt.

Eliassons Material: Neonröhren, Spiegel, Theaternebel

Gereon Sievernich, Intendant des Martin-Gropius-Baus, erklärte die Eliasson-Schau prompt zur besten Ausstellung, seit das Haus 2001 von den Berliner Festspielen betreut wird. Zweifellos ist keine andere so durchdacht, klug instrumentiert und eingerichtet wie „Innen Stadt Außen“. Niemals zuvor wurde die Funktion des größten Ausstellungsgebäudes Berlins, dessen inhärentes Programm bis heute kein klares Profil besitzt, so luzide analysiert und zugleich die Bedeutung des Museums für den Menschen untersucht.

Wer bisher in dem 43-Jährigen einen Spezialisten für künstlich erzeugte Naturphänomene, Lichtreflexe, Spiegelungen, Wasserspiele sah, wird nun in ihm den Soziologen entdecken, der die Kunst auf ihre gesellschaftliche Relevanz, auf die Wahrnehmung des Betrachters und seiner Umgebung hin befragt. Damit hat sich Olafur Eliasson gerade noch rechtzeitig von der EventKunst für die Massen losgesagt. Gleichwohl gibt es im Gropius-Bau genug zu erleben, zu staunen.

Die beiden Entrees gehören allerdings zu den stärksten Räumen, alles Folgende erscheint dagegen wie technische, wenn auch meisterliche Spielerei, welche die einmal gewonnene Erkenntnis variiert. Selbst der Höhepunkt der Schau, die spektakuläre Spiegelung der Lichtdecke im Innenhof des Martin-Gropius-Baus, besitzt nicht dieselbe mitreißende Kraft wie der „Berliner Bürgersteig“ und der Nebelraum „Your blind movement“.

Im Lichthof fährt Eliasson groß auf wie in London und New York. Hier hat er mithilfe eines ganzen Waldes aus Baugerüsten einen 20 Meter hohen Spiegelkubus errichten lassen, der die Lichtdecke wie in einer sechseckigen Röhre, einem Kaleidoskop bricht und in die Unendlichkeit fortführt. Nur mit Mühe gelingt es dem Besucher, sich darin zu orten, die Spiegelung reißt ihn mit, wirft ihn auf sich selbst zurück. Eliasson nennt die gigantomanische Installation „Mikroskop“. Das Publikum ist beides: Forscher und Objekt.

Wie nah ihm jeder Einzelne geht, zeigt die Spiegelinstallation „The curious museum“. Vor das Fenster eines Saales ist von außen mit einem Meter Abstand ein riesiger Spiegel montiert, so dass sich sowohl die Fassade als auch der Besucher beim Nähertreten darin reflektiert. Verwundert entdeckt sich der Betrachter im Bild, nimmt nach und nach die Außenwand aus Backstein und den Fassadenschmuck wahr. Zu sehen sind Handwerker, die im einstigen Kunstgewerbemuseum ihre Meisterstücke präsentierten. Plötzlich ist der Blick sensibilisiert auch für den Innenraum, die noch vom Krieg rußgeschwärzte Stuckdecke, die erhalten gebliebenen Tapetenreste an der Fensterwand. Reflektion und Reflexion geht Hand in Hand.

Olafur Eliassons Werk steht für die große Geste, die perfekte Konstruktion, den poetischen Effekt, etwa wenn er einen von der Decke hängenden Schlauch, der im Dunkeln tanzend Wasser verspritzt, mit Stroboskoplicht erhellt und dadurch jeden Tropfen einzeln glitzern lässt. Diese technischen Wunderwerke ermöglicht ihm ein Team, ein Atelier mit dreißig Angestellten, das er im Pfefferberg in Prenzlauer Berg unterhält. Sein „Model room“ kommt einer Hommage an diesen Trupp gleich: Auf einem riesigen Tisch sind sämtliche Modelle der letzten Jahre, mehrere hundert Exemplare aus Papier, Holz und Metall vereint. Und wieder stellt sich das Bild einer Stadt ein, diesmal mit Gebäuden aus Ellipsoiden und Spiralen. Zu den wichtigsten Helfern Eliassons gehört der futuristische Architekt Einar Thorsteinn, ein Urgestein der sechziger Jahre, der als Einziger namentlich genannt wird.

Der „Model room“ birgt eine weitere Würdigung, einen kleinen projizierten Film, in dem sich ein Schiff durch Meereswellen pflügt. Er stammt von Eliassons Vater, der als Seemann, Koch und Künstler arbeitete. Plötzlich ist ein sich drehender Löffel zu sehen, dann ein scharfes Messer mit einem pochenden Stück Fleisch. Ein Herz? Eliasson bezeichnet den Betrachter als „Ko-Produzenten“. Selten waren bei einer Ausstellung so viele Menschen am Werk. Am Ende ist es eine ganze Stadt.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, erster Ausstellungstag am 28.4., Eintritt frei, 10–24 Uhr. Bis 9.8.; täglich 10–20 Uhr. Gallery Weekend, 29.4.–1.5., 10–24 Uhr. Katalog 29 €, im Buchhandel 48 €.

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