Kultur: Ofelia in der Unterwelt
Fabel über den Faschismus: „Pans Labyrinth“, ein bildmächtiger Geniestreich von Guillermo del Toro
Unseren Märchen liegen uralte, verborgene Ängste zugrunde. Sie locken uns in die dunkelsten Winkel kindlicher Traumbilder, gerade so wie es das Kino oft tut. Nun lädt Guillermo de Toro in seinem herrlichen, anspruchsvollen, erschütternden „Pans Labyrinth“ zu solcher Reise ein – und wirft seine Zuschauer zugleich mit voller Wucht auf die Realität zurück.
„Pans Labyrinth“ ist die thematische Fortspinnung von „The Devil’s Backbone“; damals schon setzte del Toro sich mit dem spanischen Bürgerkrieg auseinander. In dem vor sieben Jahren gedrehten Film verschlug es einen Jungen in ein Waisenhaus in der Wüste, das zum Funktionsbild des Faschismus wurde. In „Pans Labyrinth“ zieht die elfjährige Ofelia (Ivana Baquero) zu ihrem Stiefvater Vidal (Sergi López) in eine alte Mühle: der Kapitän der Franco-Armee will das abgelegene Wald- und Berggebiet von Rebellen säubern.
Beide Filme stellen den Bürgerkrieg in Mikrokosmen dar – als häusliche Gewalt zwischen Mitmenschen, die Bett und Tisch teilen und sich doch an die Gurgel gehen; und sie verwandeln Waisenhaus und Mühle in bedeutungsvoll verwunschene Orte voller Geister und Gestalten, in denen sich das Kind an der Schwelle zum Erwachsenenalter bewähren muss. „Gott hat sich um ihre Seelen schon gekümmert“, sagt ein Priester beim Abendessen zu Vidal. „Was aus ihren Körpern wird, dürfte ihn kaum interessieren.“ Es ist ein verbürgtes Zitat aus dem Krieg: Die wahren Monster, das ist die Botschaft auch in del Toros Hollywoodfilmen („Hellboy“, „Blade II“), sind unter den Menschen.
Selten hat man die Essenz des Faschismus so verkörpert gesehen wie in der Figur des Vidal: unbarmherzig und äußerst brutal nicht nur aus Lust an der Qual, sondern weil er an den Faschismus glaubt wie Ofelia an ihre Märchen. „Warum haben Sie mir nicht gehorcht?“, sagt er einmal, und es ist keine Drohung, sondern eine Frage. Dann wird ihm die linke Wange aufgeschlitzt, und er näht sie sich vor dem Rasierspiegel selbst wieder zu. Das ist der Stoff, aus dem Albträume gemacht sind.
Ofelia, auf sich alleine gestellt, entdeckt ein verwittertes Steinlabyrinth und darin den Faun Pan: Sie sei die verschollene Prinzessin eines geheimen Königreiches, sagt er, müsse aber in drei Prüfungen erst beweisen, dass sie keine Sterbliche sei. Ofelia findet sich in einer fantastischen Gegenwelt von dunkler und gefährlicher Schönheit wieder: Aufgeblähte Riesenkröten sind darin und sich krümmende, in Milch und Blut badende Wurzeln, Kinderfresser mit hängender Haut und Augen in ihren Handflächen – und der hochgewachsene Faun, ein undurchschaubares Erdgeschöpf mit massiven, gelockten Hörnern, leuchtenden Katzenaugen und knarzenden Gelenken.
Neben Alejandro González Iñárritu („Babel“) und Alfonso Cuarón („Children of Men“) ist Guillermo del Toro der dritte mexikanische Regisseur, dessen Film in diesem Jahr für mehrere Oscars nominiert ist – unter anderem den Oscar für den besten nichtenglischsprachigen Film, wo er mit „Das Leben der Anderen“ aus Deutschland konkurriert. Mit „Pans Labyrinth“ ist ihm etwas Außergewöhnliches gelungen: ein Film von atemberaubender Leuchtkraft, der seinen Bedeutungsreichtum fast ausschließlich über die Bilder vermittelt. Überall sind Doppel-, Kontrast- und Spiegelstrukturen zu entdecken, bis in die Farbpaletten von Waldeskälte und uteriner Fantasiewelt hinein. Vielfältige Resonanzen von Bildern, Handlungen und Motiven ergeben eine traurige Allegorie über die Freiheit der Entscheidung, den Tod und den Glauben, über das Ende der Kindheit und die Unschuld. Die Welt Ofelias steht jener des Faschismus gegenüber, dessen pervertierte Vorstellung von Reinheit das Gegenstück zur natürlichen Unschuld eines Kindes ist. Auch Pan verlangt Gehorsam. Doch Ofelia gehorcht zweimal nicht – eine Entscheidung mit Folgen für beide Welten.
Aber gibt es sie wirklich, diese andere Welt? Oder flieht Ofelia vor der Wirklichkeit in den eigenen Kopf? Der Film gibt keine Antwort. Wer aber genau hinsieht, wird Hinweise entdecken, wie del Toro selbst darüber denkt. Hoffen wir, dass er recht hat.
In 14 Berliner Kinos; OmU im Cinestar Sony-Center und in den Hackeschen Höfen
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