Im Kino: Flüchtlings-Melodram „Die andere Seite der Hoffnung“: Ode an die Heimatlosen
Kommt ein Flüchtling nach Helsinki: Aki Kaurismäkis Europa-Blues „Die andere Seite der Hoffnung“ erzählt mit entwaffnender Tragik und bösem Witz die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft.
Er hat es wieder getan. Hat wieder gesagt, dies sei sein letzter Film, bei der Berlinale im Februar. Aki Kaurismäki macht Schluss, hieß es bald überall, wie traurig, der Chef-Melancholiker des europäischen Kinos hört auf. Wir brauchen sie doch alle paar Jahre, Melodramen von dem großen Finnen, in dessen Filmen die Welt etwas menschlicher aussieht, allen Kriegen, Katastrophen und Kapitalisten zum Trotz. Keiner kann aus der Verzweiflung über die Gegenwart so schöne Funken schlagen wie er.
Aber soll man es auch glauben? Nein, „Die andere Seite der Hoffnung“ dürfte kaum der wirklich letzte Kaurismäki-Film gewesen sein. Das erste Mal, dass diese Zeitung ihn mit dem Satz vom Aufhören zitierte, datiert auf den Februar 1994, da lief auf der Berlinale sein zweiter „Leningrad Cowboys“-Film. Seitdem sind sechs weitere Lang- und etliche Kurzfilme entstanden, seitdem hat er oft seinen Abschied verkündet. Nicht, dass er es nicht ernst meint in seiner Angst, die Leute würden sein jüngstes Werk nicht mögen, seinen Pessimismus, den er mit Alkohol dämpft, wenn eine Premiere ansteht. Kaurismäkis Depression ist keine Pose, sondern der Stoff, aus dem er seine Filmkunst gewinnt. So war es, als er noch in Helsinki drehte, so ist es, seitdem er mit Frau und Hund in Portugal lebt und gelegentlich in den Norden zurückkehrt, um wieder einen finnischen Leinwand-Tango zu tanzen.
Und er hat noch etwas wieder getan: Nach „Le Havre“ (2011) ist dies Kaurismäkis zweiter Film über Flüchtlinge, sein zweites Europa-Märchen. Über Heimatlose und Menschen, die jenen helfen, die von Abschiebung und Ausländerfeinden bedroht sind. An der Straßenecke steht der alte Tuomari Nurmio, der finnische Tom Waits, und steuert mit seiner viereckigen E-Gitarre den Sound zu diesem zerrissenen Europa bei. Seit jeher bevölkern die Musiker und die Heimatlosen Kaurismäkis Filme. Jene, die etwas verloren haben, ihre Heimat, ihre Arbeit, ihr Gedächtnis. Und jene, die das Verlorene im Gesang vor dem Vergessen bewahren
Vielleicht ist das der ganze, schlichte Trick von „Die andere Seite der Hoffnung“: dass es zwei heimatlose Helden gibt, einen Syrer und einen Finnen. Ihre erste Begegnung („Das ist mein Schlafplatz!“ – „Das ist mein Müllplatz!“) ist ein böser Witz, ein politischer Slapstick, der eine Freundschaft begründet. Da ist Khaled Ali aus Aleppo (Sherwan Haji), der am Anfang aus einem Frachtschiff klettert und sich sein kohlschwarzes Gesicht wäscht, um auf der Polizeistation um Asyl zu bitten. Und da ist der Trikotagenvertreter Waldemar Wikström (Kaurismäki-Veteran Sakari Kuosmanen), der seiner Frau, einer verhärmten Trinkerin, Schlüssel und Ehering hinlegt und geht.
Entwaffnende Tragik und offene Komik
Der eine fängt unfreiwillig ein neues Leben an, der andere freiwillig. Worte sind kostbar, deshalb fällt kein Wort zu viel. Wie immer bei Kaurismäki geht es spröde zu, minimalistisch. Roter Teppich, blaue Wände, ein Vintage-Auto (ein Checker, wie die alten Taxis in New York, nur schwarz), dazu der geduldige, wache Blick von Timo Salminens Kamera und ein Kurzauftritt von Kaurismäkis langjähriger Lieblingsschauspielerin Kati Outinen: Hier ist Kaurismäki-Land, hier fühlt man sich gleich ein bisschen zuhause.
Nur dass es noch weniger Licht und mehr Nacht gibt und die Kontraste schärfer ausfallen als zuletzt in „Le Havre“ mit dem afrikanischen Flüchtlingsjungen im Hafen Europa. Hier die Nazis, die Khaled verprügeln und mit dem Messer zustechen, da die Truppe in Wikströms Restaurant, die sich als unverbrüchliche Solidargemeinschaft erweist. Das Restaurant hat Wikström nach einer typisch kaurismäkisch durchschwiegenen Zockernacht erworben, er will sich ja beruflich verändern. Und weil sich der Regisseur, der nächste Woche seinen 60. Geburtstag feiert, neben entwaffnender Tragik auch mehr offene Komik leistet, wird der heruntergerockte Schuppen zum Hauptschauplatz für Kaurismäkis lakonische Pointen.
An den Asyl-Behörden lässt Kaurismäki kein gutes Haar
Als das Ordnungsamt kommt und Khaled sich mit dem Küchenhund verstecken muss (kein Kaurismäki-Film ohne Hund!), meint der Syrer danach: Kluger Hund! Hab’ ihm Arabisch beigebracht, ist er gleich zum Islam konvertiert. Buddhismus fand er langweilig. Oder das Restaurant. Der Laden läuft nicht gut, also probiert Wikström ständig Geschäftsideen aus, verwandelt den „Goldenen Krug“ in ein Imperial Sushi (Wasabi an Salzhering tut’s notfalls auch), in ein Tanzlokal, eine Indian Cuisine, einen Gourmettempel.
Kaurismäki mag Listen, sind sie doch von Natur aus lakonisch. Khaleds Flucht, die Odyssee eines Kriegsopfers, wird als Länder-Liste skizziert. Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn Österreich, Deutschland, später Polen. Überall erlebte Khaled Gewalt und Gefängnis, sein Asylantrag wird trotzdem abgelehnt. An den Behörden lässt Kaurismäki kein gutes Haar. Die Details entstammen Wort vor Wort einem realen Verfahren, nur die Herkunftsstadt ist geändert, sagte er in Berlin.
Abgesehen davon, dass sich heutzutage weltweit kein anderer traut, einen Oberhemden-Handelsvertreter zum Leinwandhelden zu küren, und dass kein anderer ein tragisches Ende so märchenhaft inszenieren kann wie Kaurismäki: Die sogenannte Flüchtlingskrise mitten in einer der reichsten Weltregionen ist absurd. Noch absurder wäre es, das andere Europa jenseits der Ordnungsämter und Ausländerparagrafen verloren zu geben. Solange Europas Chef-Melancholiker traurigschöne Filme darüber dreht, gibt es keinen Grund zur Resignation.
In 14 Berliner Kinos. OmU: Babylon Kreuzberg, Eiszeit, Hackesche Höfe. Odeon. OmenglU: Rollberg