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Lucrecia Martels „La Ciénaga“: Ode an die Fäulnis

Argentinisches Sommer-Koma und das plötzliche Aufflackern der Lust: „La Ciénaga“, das faszinierende Debüt von Lucrecia Martel

Von Kerstin Decker

Dänemark gibt es, weil es das dänische Kino gibt. Und, nun gut, Hamlet. Aber Argentinien? Kennen wir argentinisches Kino?

Das argentinische Kino hatte man schon fast vergessen – da tauchte vor einem Jahr diese junge argentinische Regisseurin, von der noch niemand gehört hatte, bei der Berlinale auf und hatte ihren Film ganz am Anfang des Wettbewerbs in der Pressefrühmorgensvorstellung nach der Eröffnungsparty, eigentlich die schlechtestmögliche Platzierung auf dem Festival, weil die Journalisten da alle noch ein bisschen müde sind, jedenfalls die, die am Abend schon mal etwas länger gefeiert hatten, und plötzlich war das argentinische Kino wieder da.

Und wie bei Dänemark denkt man fortan bei Argentinien zuerst an Film. Genauer: an „La Ciénaga“ (das heißt: Morast). Noch genauer: an diesen Swimmingpool aus „La Cienaga". Hatte jemals ein Film einen solchen Swimmingpool? Schmutzig grün, die Blätter vom Vorjahr darin. Ein gefliester Tümpel. Unmöglich, ihm auf den Grund zu sehen. In diesem Pool badet keiner mehr. Und will man es nicht gerade deshalb?

„La Ciénaga“ ist kein Film für Hygieniker. Oder anders: „La Cienaga“ zwingt uns, den Hygieniker in uns zu vergessen. Es ist eine Ode an die Fäulnis und ihre Bloßstellung zugleich. Die Fäulnis existiert auf mehreren Ebenen. Auf der klimatischen Ebene, der sexuellen und der sonstig zwischenmenschlichen. Vielleicht bemerkt man die Fäulnis gar nicht sofort; ihr erstes Anzeichen ist immer Trägheit. Sie kriecht über die Körper, sie breitet sich in ihnen aus, und man versteht auch den Zustand des Pools: sogar das Wasser ist in diesem schwülen argentinischen Februar-Sommer zu träge, um abzufließen. Den Fließen wäre ja schon eine Tätigkeit. Allenfalls eine Rotweinflasche lässt sich noch öffnen, und das Innen und Außen bilden nun endgültig einen großen, schweren, unendlich trägen Blutkreislauf.

So lagert Mechas Familie am Pool. Nordwestargentinisches Sommer-Koma. Nur manchmal wacht man für Augenblicke auf, und in einem solchen unbarmherzigen Moment der Klarheit muss Mecha begonnen haben, die leeren und halbleeren Rotwein-Gläser ringsum einzusammeln. Ein Impuls zumindest, dies zu tun, bemächtigt sich der Fünfzigjährigen. Aber das Gesetz der Trägheit, das über diesem Sommer liegt, ist stärker als Mecha: Sie fällt, und die Scherben der Gläser schneiden in ihre Brust.

Niemand scheint es zu bemerken, schon gar nicht ihr Mann, der müde Mann mit den gefärbten Haaren. Es sind die Kinder dann, die ihre Mutter ins Krankenhaus bringen.

Lucrecia Martel zeigt die Auflösung als den eigentlich poetischen Zustand. Und alle Handlung wird Fiktion. Denn das Handeln ist eine Illusion der frostigen Länder. Handeln kann man eigentlich nur im Winter, bei klar bestimmbaren Selbst-Außengrenzen. In diesem Sommer-Koma aber gibt es nur Aufladungen und Entladungen. Und Wiederholungen, vor allem Wiederholungen.

Das Gewitter nistet fest im ewig verhangenen, ewig dampfenden Himmel zwischen den Bergen. Die Jungen der Umgebung kehren immer wieder zurück an die Stelle, wo das Rind halb im Sumpf versank und schießen auf das tote Tier.

Sie verscheuchen die Indio-Kinder , denn „die Indios ficken die Hunde“. „Die Indios können nicht ans Telefon gehen“, wiederholt auch Mecha, die Hausherrin. Sicher hat sie schon in all den Sommern vorher nichts anderes gesagt. Wirklich neu ist einzig Mechas Brustwunde. Und zwischen all dem die halben Erregungen der Jungen, ein plötzliches Aufflackern der Lust in den Augen, bevor sie an sich selber stirbt - eine besonders sublime Erscheinungsform der Trägheit.

Utopie? Doch, es gibt sie auch hier. Wie eine gleißende Verheißung von Tätigkeit steht der Plan von Mechas Cousine Tali am Horizont: Man solle nach Bolivien fahren, meint sie, um Schulsachen zu kaufen, schließlich seien Schulsachen nirgends so billig wie in Bolivien. Und so geht das und auch nicht, bis auch die bolivianische Hoffnung verdampft im argentinischen Sommer.

Im fsk am Oranienplatz (Originalfassung

mit Untertiteln)

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