Comic: Nützlicher Idiot statt biblischer Schurke
Tom Gaulds Nacherzählung der Legende von David und Goliath aus der Sicht des Riesen ist eine großartige Idee. Eine Idee, aus der der Autor mehr hätte machen können.
Eigentlich ist es erstaunlich, dass die Bibel nicht viel öfter zum Gegenstand von Comics wird: Ihre Geschichten sind nach wie vor lebendig und an Action und Dramatik mangelt es ihnen auch nicht. Ihr Reiz besteht aber vor allem in den möglichen Umdeutungen, die man ihnen aus heutiger Perspektive angedeihen lassen kann: Jesus als historische Person, Propheten als Superhelden, Gott als Sexist, usw. … Der gebürtige Schotte Tom Gauld, der in London als Comicstrip-Zeichner für den „Guardian“ sowie als Illustrator und Autor arbeitet, hat sich mit „Goliath“ einer der berühmtesten Geschichten des Alten Testaments angenommen: In seiner ersten langen Comicerzählung – übersetzt von Nicolas Mahler - stellt der 36-Jährige die altbekannte Geschichte auf den Kopf, indem er sie nicht aus der Sicht des Schafhirten David erzählt, sondern aus der Perspektive des Riesen Goliath.
Der Hüne als tragischer Held
Der ist Soldat in der Armee der Philister, welche sich im Krieg mit den Israeliten befindet. Beide Armeen belagern sich seit Monaten, zwischen ihnen liegt ein Tal, die gegnerischen Lager liegen sich in den angrenzenden Bergen gegenüber. Um die Pattsituation zu beenden, will ein Offizier der Philister einen seiner Soldaten zum nützlichen Idioten instrumentalisieren: Goliath aus Gat, ein Hüne von schlichtem aber friedlichem Gemüt, der am liebsten als Schreiber arbeitet und sich um die Verwaltung kümmert. Obwohl er einer der schlechtesten Kämpfer der Kompanie ist, soll seine schiere Größe die Israeliten einschüchtern. Wochenlang kampiert er bei einem Felsen im Tal, um den Gegnern zuzurufen, dass die Philister sich geschlagen geben würden, wenn ein Israelit ihn besiegen würde. Sollte Goliath jedoch den Herausforderer töten, müssen sich die Israeliten ergeben.
Ein Mensch der Moderne in einer archaischen Welt
Gauld erzählt seinen Comic trocken und unaufgeregt, ein Großteil der Zeit verbringt Goliath mit dem immer sinnloser erscheinenden Warten auf einen Herausforderer, vor dem er selbst Bange hat. Der sympathische, stark stilisierte Zeichenstil ahmt die Frühzeitigkeit des biblischen Szenarios in Braun- und Beigetönen nach, ohne dabei statisch zu wirken. Die asketischen Bilder bekommen so in manchen Momenten etwas beinahe Meditatives. Gauld konzentriert sich ganz auf die schlichte Absurdität der Situation, in die sein tragischer Antiheld geraten ist.
Goliath ist im Comic ein Mensch der Moderne, kein archaischer Krieger der vor Gewalt triefenden Welt des Alten Testaments. Alle um ihn herum denken zuerst an Kampf statt an Kommunikation, selbst sein Schildträger, der noch ein Kind ist, schlägt ungerührt vor, Goliath solle einen alten Schäfer erschlagen, der zufällig bei ihm vorbei gekommen ist. Mit alldem will der Hüne nichts zu tun haben, doch das hilft ihm nichts. Die Geschichte geht so aus, wie sie in der Bibel bei Samuel 17 steht: David tötet den Riesen mit seiner Steinschleuder.
Im Krieg ist niemand moralisch überlegen
Bis heute verwenden wir die Redewendung von David gegen Goliath, um den Konflikt zwischen einer schwächeren aber moralisch überlegenen Person und einem deutlich überlegenen Gegner zu beschreiben. Diese einseitige Parabel bricht Gauld in seinem Comic auf, es geht nicht um die Auseinandersetzung zwischen zwei Personen, sondern um die absurden Rollen, die sie in den Machtstrukturen zweier Staaten spielen, ohne sie zu verstehen.
Die Idee ist großartig, doch sie trägt nicht über die ganze Länge des Comics. Gauld liefert kaum mehr als die Illustration dieses originellen Einfalls, dessen Konsequenzen man sicher noch stärker hätte ausmalen können: Wie reagieren die Israeliten auf die Situation? Legen sie sich ihrerseits eine Taktik zurecht? Was denken die Soldaten im Lager der Philister über Goliath? Warum kommt niemand auf die Idee, zu vermitteln?
Trotz dieser verschenkten Chance kann man „Goliath“ nichts als schlechten Comic bezeichnen. Die Geschichte liest sich gut, ist optisch ansprechend und zeigt, welches Erzähl-Potential in einem 3000 Jahre alten Buch stecken.
Tom Gauld: Goliath, Reprodukt, 96 Seiten, aus dem Englischen von Nicolas Mahler, Handlettering von Sascha Hommer, 15 Euro, Leseprobe auf der Website des Verlages.
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