Salzburger Festspiele 2020: Nur die Liebe lässt uns beben
Die Pandemie erzwingt eine Kürzung von Mozarts Oper "Così fan tutte". Dirigentin Joana Mallwitz und Regisseur Christof Loy machen das Beste daraus.
An Tag zwei geht es endlich hinein in die dieses Jahr ebenso ersehnten wie gefürchteten Vorstellungen der Salzburger Festspiele in geschlossenen Räumen. Draußen läuft inzwischen sowieso gar nichts mehr, der Regen hängt fest über der Stadt. Nur zwei Opern können die Festspiele in ihre Corona-Spielzeit retten und müssen sich in ihrer prestigeträchtigsten (und teuersten) Kategorie ungewohnt bescheiden. Auf Strauss’ „Elektra“ folgt mit „Così fan tutte“ eine kurzfristig eingeschobene Produktion, weil man ohne Mozart doch kein Jubiläum feiern mag.
Regisseur Christof Loy wollte sich 2020 eigentlich „Boris Godunow“ vornehmen. Dazu sollte Mariss Jansons für eines seiner raren Operndirigate nach Salzburg zurückkehren. Dass es dazu nicht mehr kommen konnte, geht nicht auf das Konto von Corona. Jansons starb am 1. Dezember 2019. Er fehlt. Sicher hätte er mit der ihn auszeichnenden Empathie das Debüt seiner jungen Kollegin Joana Mallwitz verfolgt. Zum 100. Geburtstag der Festspiele ist sie – kaum zu fassen, aber wahr – die erste Dirigentin, die hier am Pult der Wiener Philharmoniker eine Premiere verantwortet. Die „Zauberflöte“ hätte es sein sollen, doch in Folge der Pandemie bilden nun Mallwitz und Loy das „Così“-Gespann.
Mozart hätte blitzschnell eine neue Version erstellt
Bevor die Proben beginnen konnten, mussten Dirigentin und Regisseur aber erst den Rotstift zücken. Zwei Stunden und zehn Minuten Spielzeit ohne Pause, mehr lässt das Salzburger Hygienekonzept nicht zu. Zwei Tage und zwei Nächte habe man mit der Stoppuhr in der Hand telefoniert, erklärt Mallwitz, und um jeden Takt gerungen. Bis klar wurde, dass es nur darum gehen kann „so viel wie möglich von Mozarts Geist“ zu erhalten. Mozart, das dürfen wir getrost annehmen, hätte blitzschnell eine neue Version seiner „Così“ hergestellt, die nicht nur problemlos aufführbar wäre, sondern auch die aktuelle Situation reflektiert hätte.
Doch diese Art von gelebter Gegenwart ist einem Festspielbetrieb fern, der seine Opernvorhaben mindestens drei Jahre im Voraus fixiert. Da ist man schon stolz darauf, es ausnahmsweise in ein paar Wochen geschafft zu haben. Apropos geschafft: Ist man nach Ausweis-Eintrittskarten-Namens-Abgleich und Anlegen der Maske ins Festspielhaus gelangt, fädelt man sich in Sitzreihen, bei denen versetzt jeweils ein Platz frei bleibt.
Es wird darum gebeten, die Masken nicht abzusetzen.
Das ermöglicht einen entspannten Blick auf die Bühne, die Abstände zu den Umsitzenden sind dennoch gering. Die österreichischen Regeln sehen einen Mindestabstand von einem Meter vor, gemessen von Körpermitte zu Körpermitte. Das kann eng werden. Lautsprecheransagen klären darüber auf, die Maske bis zum Beginn der Veranstaltung aufzubehalten und, wenn möglich, auch die Vorstellung über.
Während der Ouvertüre aber fallen massenhaft die Masken. Das wäre an sich ein schönes Mozart-Bild, befände man sich nicht in einer Ausnahmesituation, in der Gruppen ihre Fähigkeit zu solidarischem Handeln beweisen müssen. Stattdessen verwandelt sich das individuelle Freiheitsgefühl in Trotz.
Über dieses wenig aufgeklärte Verhalten würde Mozarts Don Alfonso nur den Kopf schütteln, dürfte er es denn registrieren. Doch Christof Loy wagt keine Experimente mit dem Publikum, holt dafür aber seine Akteure ganz weit nach vorne an den Bühnenrand. Hinter ihnen ragt eine Wand auf, in die zwei Türen eingelassen sind. In diesem strahlend weißen Raum liegen zu Beginn nur zwei Paar eilig abgestreifte Pumps, die Don Alfonso (mit lichtem Mozart-Ton: Johannes Martin Kränzle) nachdenklich betrachtet.
Die Solisten bilden ein attraktives Paar-Doppel
Das zurückgelassene Schuhwerk gehört den Schwestern Fiordiligi und Dorabella, die sich, von unsichtbaren Liebeslagern erhoben, alsbald wieder eng umschlungen auf den Bühnenboden niederlassen und am Rande eines Traums im Gefühl der Liebe sonnen. Sie vermitteln den Eindruck, daraus bitte nicht geweckt werden zu wollen – und gerade das lässt Don Alfonso jene Wette mit ihren Liebhabern Guglielmo und Ferrando abschließen, die die Vorstellung von ewiger Treue erschüttern wird.
Mit Elsa Dreisig, Marianne Crebassa, Andrè Schuen und Bogdan Volkov verfügt Salzburg über ein attraktives, stimmlich fein austariertes Quartett von Liebenden um die 30.
In seinem Verhalten zeigt es sich allerdings derart unreif, dass nicht nur Don Alfonso erschüttert ist und den Vieren dringend eine Lektion mit auf den weiteren Lebensweg geben will. Musikalisch wird das wunderbar aufgefangen in den anfangs recht einfältigen Lobpreisungen der treuen Geliebten, während mit den komplexeren Gefühlen auch das Ausdrucksspektrum zunimmt. So, wie man es sich erhofft, wenn man Krisen durchstehen muss.
Selbst das Orchester scheint zu singen
Welche Gefühle sind wahr, welche gelogen? Joana Mallwitz weiß mit Mozart die Antwort: In der Liebe ist alles wahr, und genau darin liegt ihre verstörende Kraft, die durch Konventionen nur mit Mühe gezähmt werden kann. Was hat sich Simon Rattle einst damit gequält, mit den Berliner Philharmonikern jeden Così-Takt auf die Goldwaage zu legen, wie ernüchternd und moralinsauer geriet die Aufführung.
Mallwitz, die 34-jährige Generalmusikdirektorin von Nürnberg, leuchtet am Pult der Wiener Philharmoniker. Bis in Reihe 21 kann man jeden kleinsten Akzent ihrer linken Hand erkennen, so klar ist sich diese mitreißende Musikerin darin, was sie will: einen singenden Mozart, aus dem Konturen nicht mit Gewalt herausgemeißelt werden müssen, weil schon alles hörbar geworden ist.
Das Hammerklavier streut mitfühlende Blue Notes ins Klangbild, und Don Alfonso sieht immer mitgenommener aus, je mehr sich sein Plan erfüllt. Mit der Liebe hantieren selbst Aufklärer nicht ohne persönliches Risiko.