Jazz: Nostalgie mit Manfred Krug
Manfred Krug und Freunde spielen im Admiralspalast - und versetzen vor allem das Ostberliner Publikum zurück in eine beinah vergessene Zeit früherer DDR-Konzertabende.
Das Publikum ist fast vollzählig. Eine knappe Stunde vor Beginn. Das ist die Pünktlichkeit des Alters. Der Admiralspalast scheint den Überwindern des Glatteises noch etwas fremd zu sein. Waren die am Ende schon am 31. Oktober 1965 in der Kongresshalle am Alexanderplatz? Normalerweise vergisst man bunte Abende, die fast ein halbes Jahrhundert zurückliegen. Aber diesen einen nicht.
Was damals vorgetragen wurde, können viele noch immer vortragen. Was damals gesungen wurde, können viele noch immer … Der Sänger hieß Manfred Krug. Fast ein halbes Jahrhundert später beschwören Kenner, „We Shall Overcome“ nie wieder so gut gehört zu haben. Nicht „My Funny Valentine“. Vielleicht nicht einmal „A Foggy Day (In London Town)“ – es handelte sich fast ausschließlich um Liedgut, das den DDR-Oberen im Vergleich zu ihren Schalmeienorchestern wie Geräusch in seiner unangenehmsten Weise, also als Krach in den Ohren klang, näherhin als amerikanischer Krach zur systematischen Unterwanderung des Sozialismus. Und Krug war seine Stimme, unendlich biegsam, weichhart, weltenweit! Schon in dieser Stimme lag das Urteil über alles allzu Enge. Und eine große Sehnsucht.
Noch eine halbe Stunde bis zum Beginn. Müssten sich die Gesichter hier nicht unterscheiden von den gleichaltrigen etwa auf Versammlungen der Linkspartei? Irgendwohin muss der Jazz doch eingewandert sein, vielleicht in ein Lächeln, in eine andere, eine nachsichtigere Art, auf die Welt und Menschen zu schauen. Jazz ist verwehende Wehmut. Ost oder West? Zwar ist es niemandem mehr anzusehen, und doch, mit Krug ist die geteilte Stadt wieder da. Seit über dreißig Jahren ist er nun ein Westberliner, aber in seine Konzerte strömen die Ostberliner. Manche mit seltsam verschleierten Augen, als klängen ihnen schon tagelang Lieder im Ohr. „Das war nur ein Moment/ dass ich in deiheine Augen sah/ so nah“ Oder: „Gestern war der Ball,/ da sah ich zum ersten Mal/ Dich und deinen Gang“. Bestimmt hört jeder etwas anderes. Es war oft absichtsvoll nah am Schlager und in größter Schlagerferne zugleich.
Das Berlin Jazz Orchestra betritt die Neujahrsbühne. Das macht es schon seit vier Jahren um diese Zeit, weil es der Ansicht ist, dass man so ein neues Jahr nicht besser empfangen könne als mit Jazz. Sein Leiter Jiggs Whigham, der früher das RIAS-Orchester dirigierte, tritt mit seiner Posaune umgehend den Beweis an. Die DDR-Jazzlegenden, o nein – korrigiert Whigham sofort – die Welt-Jazzlegenden Uschi Brüning und Ernst-Ludwig Petrowsky entzünden daraufhin ein anarchistisches Tonfeuerwerk. Eine Eigenkomposition, sagt Petrowsky, sie heißt „Tagtraum“. Und als kein Ton mehr auf dem andern ist, kommt schließlich auch Manfred Krug und kündigt an, ein Lied mit „nur einem schönen Ton drin“ zu singen.
Im weißen Hemd steht er da, sein Kinn scheint noch größer geworden zu sein, den Blick richtet er streng aufs Noten- und Textpult, das bisher noch niemand beachtet hatte. Darauf stehen gewiss so viele Worte wie Töne zum Ein-Ton-Lied. Aber Krug hebt den Blick nicht. Vielleicht hat er Angst, gerade diesen einen schönen nicht zu treffen. Es gelingt. Beifall brandet auf, viel Beifall für einen einzigen Ton.
Aber war das wirklich schon der Krug-Ton? Seine Stimme ist spröder geworden. Ob sie noch in jene wunderbaren, welterweiternden Krugschen Weichheiten gleiten kann? Mit dem nächsten Stück ist er schon im Westen. In einem Kulturgebiet also, in dem Fragen der Form „Was, der kann auch singen?“ bis heute gestellt werden. Manfred Krug hat offenbar vor, nicht zuletzt eine Hitparade seiner Misserfolge vorzutragen. Ja, Misserfolge. So uneitel ist der Mann also geworden.
Er singt „Wenn ich dich seh“, das war seine erste Platte in der Bundesrepublik. Es klingt fast wie „Ein Hauch von Glück“, es ist die gleiche Art zu reimen – wenn es sein muss „bye, bye“ auf „es sei“ – und man kann nie sagen, ob das nun besonders einfältig oder fast schon genial ist. Aber es klingt eben nur fast so.
Parallelgesellschaften sind, entgegen dem Vorurteil, im Grunde großartig. Manfred Krug bildete in der DDR gewissermaßen eine Ein-Mann-Parallelgesellschaft. Er war ein Arbeiterheld, wie die Genossen ihn sich gewünscht hatten. Einer, der vor nichts Angst hatte, noch jede Macht fast schon mit seiner bloßen Gegenwart enttarnte. Leider nicht nur die der Ausbeuter und Reaktionäre. Und wie absichtslos, das machte es noch schlimmer. Unter dem Dach seiner Stimme und der Jazz-Optimisten aber versammelte sich eine noch größere Parallelgesellschaft: die der Jazzsozialisierten.
Im Doppelgesang mit Uschi Brüning löst sich Krugs Stimme bald ganz – er hat noch immer dieses untrügliche Gespür für Phrasierungen – da wächst ein Übermut, ein wunderbarer Anarchismus, und die alte Leichtigkeit ist wieder da. Das letzte Stück vorm allerletzten ist „When It’s Sleepy Time Down South“.
An jenem denkwürdigen 31. Oktober 1965 in der Kongresshalle hat er es als Erstes gespielt. Der Abend hieß „Lyrik, Jazz, Prosa“. Nur ein Abend, und doch eine kleine DDR-Kulturgeschichte. Für diese Platte bekam Krug Ende der Neunziger den Deutschen Jazz-Award. Was darauf nicht zu hören ist: Das Konzert begann eine Dreiviertelstunde später. Wolf Biermann war mit einer Ehrenkarte erschienen und festgenommen worden. Krug und die anderen beschlossen, erst anzufangen, wenn Biermann wieder frei ist. Es dauerte eine Dreiviertelstunde. Weniger Wochen später begann das 11. Plenum des ZK der SED: der Bruch zwischen Staat und Künstlern würde nie mehr heilen.
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