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Stirb an einem anderen Tag. James Bond (Pierce Brosnan) knickte 2002 vor den Nordkoreanern nicht ein.
© IMAGO

"The Interview" und die Angst vor Anschlägen: Nordkorea ist überall

Sony zieht seine Filmsatire „The Interview“ zurück: Was die Kapitulation des Weltkonzerns vor einer anonymen Terrordrohung bedeutet.

Um es humoristisch zu nehmen: Die militanten Islamisten dieser Welt scheinen verblüffenderweise mehr Spaß zu verstehen als die geistigen Verbündeten Nordkoreas. Seit Anfang Dezember läuft, ziemlich weltweit, Ridley Scotts biblisches 3-D-Spektakel „Exodus: Götter und Könige“. Gott ebnet darin den jüdischen Sklaven den Weg ins Gelobte Land, indem er die Wassermassen des Roten Meeres teilt, und bei der Verfolgung der Flüchtenden kommen ganze ägyptische Riesenheere zu Tode. Letzte Woche ist der Film anstandslos etwa in Malaysia – der Islam ist dort Staatsreligion – und mäßig erfolgreich auch in den USA gestartet. Und zu Weihnachten sind Deutschland, Irak, Jordanien, Kuwait und Katar an der Reihe.

Was aber wäre, wenn selbst ernannte Weltenherrscher den Juden – und in deren Gefolge den Christen – ihren Sandalenfilm-Jux nicht lassen wollen und mal eben mit einem Riesenanschlag drohen? Ist dann plötzlich Schluss mit der lukrativen Vermarktung des Historien-Blockbusters mit 140-Millionen-Dollar-Budget? Angesichts der bedingungslosen Kapitulation des Weltkonzerns Sony vor nordkoreafreundlichen Hackern wegen der Politklamotte „The Interview“ ist in Sachen Einschüchterung von Kulturproduzenten derzeit wohl mit allem zu rechnen. Beispiellos ist der Schritt der Japaner, den Film angesichts einer völlig anonymen Terrordrohung aus allen Auswertungskanälen zurückzuziehen, vom Kino bis zum Internet. Bis Donnerstag kursierte, so versichern emsige Rechercheure, keine einzige Raubkopie im Netz.

Freie Welt geht vor Gedankenpolizisten in die Knie

Man mag das, sarkastischer gesprochen, insofern tröstlich finden, als der Kapitalismus trotz des erstmals derart erfolgreichen Anschlags auf einen Individualprofit weiterhin funktioniert. Denn einerseits tritt für Sony, wenn es denn alle Lecks dicht macht, offenbar ein zumindest lindernder Versicherungsfall ein. Zum anderen hat der Konzern sich auch dem Druck der mit ihm vernetzten Kinobetreiber gebeugt, die um ihr Vor- und Nachweihnachtsgeschäft bangten. Und nicht nur ihnen: Überall auf der Welt und vor allem in Nordamerika thronen Megaplexe über riesigen Shopping Malls. Da trifft der Umsatzverlust jeden, wenn denn die verängstigten Verbraucher den Kino-Amüsierzonen fernbleiben.

Wohin aber führt es, wenn die so genannte freie Welt – und ihre Ideologieproduzenten, deren Warenkonsum dem Bürger freigestellt bleibt – vor selbst ernannten Gedankenpolizisten in die Knie gehen? Müssen, um ein lokales Beispiel zu nennen, die Berlinale-Macher nun jeden einzelnen Film nach Material durchkämmen, das irgendeiner auch nur anonym Gewalt androhenden Gruppe missfallen könnte? Und weiter: Steht, ob im Film oder anderswo, künftig jeder politische Inhalt, und sei er noch so klamaukig aufbereitet, unter Generalverdacht?

Nordkoreaner attackieren das Weiße Haus

„Die Welt wird voller Angst sein. Erinnert euch an den 11. September 2001.“ Das war der Wortlaut der Drohung, den die „Guardians of Peace“ am Dienstag über die Webseite pastebin.com verbreitet hatten. Tatsächlich stecken in den Sätzen gleich zwei Zeitenwechsel. Nachdem sich im 20. Jahrhundert Kommunismus und Kapitalismus als Zentralideologien bekämpft hatten und der Kapitalismus in den kurzen Neunzigern komfortabel alleine regierte, ist die Welt mit 9/11 in das Zeitalter des Terrorismus eingetreten – erst ungläubig als singuläres Phänomen wahrgenommen und bald als Stoff vom US-Kino aufgegriffen, tatsächlich aber ein Herrschaftsprinzip. Seitdem diktieren immer wieder Leute, die aus ideologischen Gründen ihren punktuellen Stellvertretervernichtungskrieg meist gegen Unschuldige führen, das Geschehen.

Ist es nun so, dass wir insofern in eine neue Phase dieses unseligen Zeitalters eintreten, als bereits die pure Angst vor einer Gefahr zur Preisgabe von Werten führt? Sicher lässt sich schon der Verlust von Freiheit zugunsten der Sicherheit, wie ihn seit dem 11. September die amerikanische „Homeland Security“ am drastischsten vorexerziert, in diesem Zusammenhang lesen. Deren innere Verfasstheit aber ist selber militant. Sonys totale Tilgung von „The Interview“ dagegen, der zu Weihnachten in die US-Kinos kommen sollte und Anfang Februar nach Deutschland, ist ein Zeichen purer Schwäche. Er signalisiert rückhaltlose Erpressbarkeit durch einen anonymen Gegner und zugleich die öffentliche Opferung von Inhalten, für die man steht – ein abstoßendes Beispiel für den Umgang mit einem exemplarischen, nicht nur kulturellen Konflikt. Damit hat der Weltkonzern seinen Ruf massiv beschädigt, und in der Branche wird bereits spekuliert, ob dies der Anfang vom Ende zumindest seiner Filmsparte sein könnte.

Die Welt braucht diesen Film nun erst recht

Zu groß aufgezogen, der Zusammenhang – es geht schließlich nur um einen Film? Noch dazu um einen ausgewiesen albernen, in dem die von James Franco und Seth Rogan gespielten Talkshow-Macher sich nicht wesentlich weniger dusslig anstellen als ihr Gegenpart Kim Jong Un (Randall Park), den sie auf Geheiß der CIA umlegen sollen? Mit anderen Worten: um den prototypischen Film, den „die Welt nicht braucht“? Berücksichtigt man nun die Umstände seines Verschwindens, braucht die Welt diesen Film nun erst recht – mehr als etwa den letztes Jahr unbeanstandet gelaufenen Action-Thriller „Olympus has fallen“, auch wenn der jetzt, etwas bemüht, sogar als prophetisch durchgehen könnte. Nordkoreanische Terroristen nehmen darin den US-Präsidenten als Geisel.

Filmstoffe übrigens, auch ätzend satirische, bietet das globale Absurdistan, in das uns das terroristische Zeitalter immer tiefer versetzt, ohnehin massenhaft. Viel schwarzen Humor etwa beweist die Nachrichtenrealität, wenn ein Hunderte von Schülerleben auslöschender Anschlag pakistanischer Taliban zur Folge hat, dass afghanische Taliban, selber nicht eben als „guardians of peace“ geläufig, sich eilfertig von dem Anschlag distanzieren. Wirkungsvoll kinematografisch ausschlachten ließe sich auch, näher an der osteuropäischen Science-Fiction unserer Tage, der kriegerische Einfall hochgerüsteter Außerirdischer in einen souveränen Staat, die allerdings – im Fall ihres irdischen Gefallenseins – stets in einem bestimmten Nachbarland bestattet werden. Wie schön, wenn das alles auf den Leinwänden dieser Welt zu sehen wäre. Unzensiert. Und nur dort.

Jan Schulz-Ojala

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