Disney-Film "Cruella": No Future auf dem Laufsteg
Disney schenkt der Schurkin aus "101 Dalmatiner" ein eigenes Prequel. Emma Stone macht aus Cruella eine stilbewusste Punkikone.
Über 300 Mal waren laut Internet Movie Database die Songs von Protopunk Iggy Pop, dessen Reptilienhaut inzwischen an gegerbtes Leder erinnert, in Filmen und Serien zu hören. Der familienorientierte Disney-Konzern hat sich diese Ehre für einen besonderen Anlass aufbewahrt, ein Prequel für eine der schillerndsten Schurkinnen aus der Märchenwelt des Mausimperiums.
Die fiese Modedesignerin Cruella De Vil aus “101 Dalmatiner” schneidert sich ihre Couture bekanntermaßen am liebsten aus dem Fell junger Welpen, was liegt da also näher, als den Punk-Opa mit der Maso-Rampensau-Nummer “I Wanna be Your Dog” zu würdigen? Noch dazu vorgetragen von einem bildhübsch-androgynen David-Bowie-Jüngling. So viel Pop-Sensibilität ist selten im Hause Disney: Heroin-Chic, Schweinegitarrenriffs, Ketten-Outfits mit Barock- und Militär-Applikationen – als hätte Punk-Ikone Vivienne Westwood höchstpersönlich die Kostüme entworfen.
Disneys Strategie, seine Animationsklassiker peu à peu als Realfilme zu adaptieren, findet nicht bei allen Fans Gefallen; zuletzt bekam die Serengeti-darf-nicht sterben-Adaption “Der König der Löwen” viel Spott ab – allerdings nicht ganz so schlimm wie Universals Verfilmung von “Cats”. Über Geschmack lässt sich streiten, über Geld nicht. Die Realverfilmung von “Der König der Löwen”, wenn dieser Begriff bei einer CGI-Produktion überhaupt zutrifft, war vor zwei Jahren noch erfolgreicher als das Zeichentrick-Original.
“Cruella”, mit dem Disney seine zweigleisige Politik von parallelen Kino- und Plattformstarts nach dem Ende des Lockdowns erstmals unter Wettbewerbsbedingungen testet (zumindest in den Teilen der Welt, in denen die Kinos wieder geöffnet sind), blickt bereits auf zwei Realfilm-Vorgänger zurück. 1996 verfilmte Disney Dodie Smiths Roman mit Glenn Close als maliziöser Designerin. Der Charme des Films reichte nicht annähernd an den Klassiker von 1961 heran, es langte aber zu einer Fortsetzung.
Schurkin als Identifikationsfigur
Mit dem Problem, die Karikatur eines Schurken in eine tragische Figur mit menschlichen Schwächen zu verwandeln, schlug sich jüngst schon Todd Phillips mit seiner origin story des Jokers herum – wobei Joaquin Phoenix' Batman-Widersacher am Ende eher zur Identifikationsfigur für rechte Law-and-Order-Anhänger taugte.
Emma Stone hat es da leichter. Sie hat ihr komödiantisches Talent nicht erst mit “The Favourite”, ebenfalls ein Kostümfilm, bewiesen; man sehe sich bitte auch noch mal ihr Debüt “Superbad” an. Stones Mund ist allein schon eines Gedichts würdig, ihr schiefes Grinsen hätte, hübsch gerahmt, auch einen eigenen Raum im Louvre verdient.
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In “Cruella” macht Stones Mund wieder die erstaunlichsten Dinge; man könnte diese leicht für Tics halten, wäre das Timing nicht so perfekt. Emma Stones Körperkomik spielt sich fast ausschließlich im Gesicht ab; kombiniert mit einem Arsenal an No-Future-meets-Versailles-Outfits stiehlt sie allen die Show. Selbst einer Emma Thompson als Cruellas Widersacherin The Baroness, welche wiederum Meryl Streeps sardonische High-Fashion-Dominatrix in “Der Teufel trägt Prada” wie eine Mode-Bloggerin aussehen lässt.
Wettbewerb zweier skrupelloser Narzisstinnen
Die Handlung gerät dabei schnell zur Nebensache, immerhin erklärt Cruellas Vorgeschichte ihre Abneigung gegen Dalmatiner. “Cruella” ist ein epischer “Project Runaway”-Wettbewerb zweier skrupelloser Narzisstinnen, aufgebrezelt mit dem Soundtrack der siebziger Jahre – inklusive Tina Turner, Black Sabbath und Suzi Quatro. Nicht zu vergessen Iggy, natürlich.
Mit der Rehabilitierung von Schurkinnen hat Regisseur Craig Gillespie bereits Erfahrungen gesammelt. Sein Biopic “I, Tonya” über die in Ungnade gefallene Eiskunstläuferin Tonya Harding vereint ähnlich wie “Cruella” Glamour und Rockstarpose; Margot Robbie dreht damals zu ZZ Top Pirouetten. Robbie ist eine gute Referenz für Stones anarchische Modeteufelin mit der ikonischen Salt-and-Pepper-Frisur, die Riot-Grrrl-Energie ihrer Superheldin Harley Quinn durchzuckt auch die Auftritte von Cruella.
Auf dem roten Teppich lässt sie einen Berg Altkleider entladen, aus dem sie in einem Tabloidkleid aus Zeitungen wie eine schwarze Rose entsteigt. Und zu Blondies “One Way or Another” fährt sie mit “The Future”-Maske auf dem Motorrad vor. “Die Leute brauchen Schurken, an die sie glauben können”, meint Cruella einmal aus dem Off. Besser: wenn sie auch noch Style und einen guten Musikgeschmack haben. (Auf Disney+)
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