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Szene aus Falstaff.
© dpa

"Falstaff"-Premiere an der Deutschen Oper: Nimm dein Toupet und geh’!

An der Deutschen Oper verlegt Christoph Loy Verdis „Falstaff“ ins Altenheim - und fühlt sich offenbar zu sehr eingeschüchtert von anderen Regisseuren, die vor ihm ähnliches getan haben.

Wie wollen wir dies Verdi-Jahr verlassen? Im besten Falle doch durchgeschüttelt von der musikdramatischen Wucht seiner Werke, gereift durch glühende Einblicke in getriebene Seelen – und mit einem Lächeln, ob des unerschütterlichen Glaubens an das Theater und den Menschen als Spieler auf seinen Brettern. Ein bisschen so, wie wir uns vorstellen, unser eigenes Leben zu verlassen, wenn wir es uns denn vorstellen könnten.

Der greise Giuseppe Verdi schenkte 1893 der Welt „Falstaff“, das Debakel vergessend, welches die erste Begegnung mit der Komödie für den jungen Komponisten einst bedeutet hatte. Denen, die ihr Leben lang auf der Bühne standen, wiederum stiftete der wohlhabende Komponist ein Altersheim. Inmitten ergrauter Violettas und heiserer Otellos wollte Verdi selbst seine letzte Ruhe finden.

Es überrascht nicht, dass „Falstaff“ und die Casa Verdi in diesem Jahr nur allzu gerne überblendet werden. Der alte dicke Ritter, schon bei Shakespeare als aus der Zeit gefallen, ausrangiert, erlebt einen letzten Auftritt als phantastischer Held: als sinnlich korrumpierbarer, zugleich widerständiger Bauchmensch, dessen Imagination viriler geblieben ist, als es das bürgerliche Lebensumfeld zulassen kann. In Salzburg gab es dieses Jahr einen von Damiano Michieletto inszenierten „Falstaff“ im Altersheim, in dem Sir John von seinen Abenteuern träumt, mit Aberwitz, zur Freude des Publikums. Dustin Hoffmann wiederum wählte die Casa Verdi gar als Schauplatz seines Spielfilmdebüts „Quartett“.

Es beginnt ein Kostümwechseldichschwank, dem man bald nicht mehr folgen mag

Mag sein, dass sich Christof Loy von den Kollegen etwas in die Enge getrieben gefühlt hat. Seiner „Falstaff“-Inszenierung an der Deutschen Oper schaltet er ein Schwarzweißfilmchen vor, das uns ruckelnd in die angeblich frisch eröffnete Casa Verdi führt (gedreht im demnächst verlöschenden Berliner Künstlerhotel „Bogota“). Das Personal sieht aus wie bei Väter der Klamotte, Victor Maurel, Verdis Falstaff, singt dazu „Quand'ero paggio“, den einzigen Schlager der Oper. Die Aufnahme von 1907 schmirgelt zärtlich durch den Saal. Dann verschwindet die Leinwand. Und mit ihr auch der Handlungsrahmen – so, als müsse sich Loy unter Zwang von dem distanzieren, was anderswo bereits funktioniert hat. In einem akustisch äußerst undankbaren weißen Bühnenkubus (Bühne: Johannes Leiacker) beginnt ein Kostümwechseldichschwank, dem man schon bald nicht mehr folgen mag.

Vielleicht soll es ja so sein: Falstaff nimmt immer dann seinen Vorhängebauch ab, wenn die Fantasie ihn beflügelt, und die Bürger von Windsor werfen ihre Krücken fort, sobald sie Witterung zu der unbändigen Lebenslust des dicken Ritters aufgenommen haben. Je länger der Abend währt, desto verschwommener die Zuordnungen – und desto lästiger das Nesteln an den Gewändern und Toupets.

Einen unkonventionellen Falstaff wollte Regisseur Loy zeigen und entschied sich auch deshalb für einen Rollendebütanten. Doch Markus Brück, der begnadete Charakterspieler an der Bismarckstraße, erkrankte während der Proben. Noel Bouley, ein junger Bassbariton aus Houston, Texas und Stipendiat des Förderkreises der Deutschen Oper, sprang für ihn ein. An seiner schönen, wenn auch nicht besonders durchschlagskräftigen Stimme liegt es nicht, dass dieser Falstaff immer schwerere Füße bekommt. An Bouleys kräftiger Statur erst recht nicht.

Runnicles Dirigat fehlt der trockene Witz der Präzision

Donald Runnicles, der Generalmusikdirektor der Deutschen Oper, ist ein instinktsicherer Theaterpraktiker, der genau weiß, was sein Orchester braucht: wo insistiert werden muss und wo locker gelassen werden kann. Doch Verdis letztes Gelächter für Orchester funktioniert anders, ist geprägt vom untrennbaren Ineinander von Sprache und Musik, von Andeutungen, die sich nicht in großem Bogen einschwingen, sondern die quecksilbrig auftauchen, beinahe spukartig, koboldhaft, schwerelos voranstürmend. Das ist hörbar nicht Runnicles’ Element. Es mangelt ihm an jenem trockenen Witz der Präzision, aus dem Verdi ohne jedes Schenkelklopfen seinen Humor gewinnt. Rossinis Brio liegt hier viel näher als Wagners Vokalsymphonik – und richtiger.

Das treffliche Ensemble würde da schon mitziehen: Michael Nagy hämmert die Eifersucht des womöglich gehörnten Ehemanns Ford mit wahnhaftem Eifer heraus, Dana Beth Millers erdiger Mezzosopran verwandelt Mrs Quickley mit offenherzigem Körpereinsatz in eine beinahe schon dämonische Tratschtante. Elena Tsallagovas Nannetta schwingt sich anmutig über das Chaos hinweg, das die Alten hier abziehen, nur um Falstaff zu bestrafen. Am Ende bleibt seine Revanche fad, in der er sich als das Salz in der immergleichen Bürgerbrühe aufspielt. Und das gemeinsame Lachen, von Verdi kunstvoll zur Fuge geschichtet, ohne Nachhall.

Das RBB-Kulturradio sendet einen Mitschnitt des „Falstaff“ zu Silvester. Sollte es tatsächlich das letzte sein, was wir vom Verdi-Jahr zu hören bekommen, müssen wir dem unsterblichen Sir John die Ehre erweisen und keinesfalls allzu nüchtern lauschen.

Wieder am 22. und 29. November sowie am 5., 7., 30. Dezember und 4. Januar.

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