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Elisabeth Edl.
© Übersetzerfonds

Poetik der Übersetzung: Nie mehr nach Babylon

Zwischen Wissenschaft und Kunst: Elisabeth Edl, die siebte Schlegel-Gastprofessorin für Poetik der Übersetzung an der Freien Universität, entwickelt in ihrer Antrittsvorlesung eine Theorie des Übersetzens

Wem, so fragte Walter Benjamin 1921 in seinem Essay „Die Aufgabe des Übersetzers“, gilt eigentlich eine Übersetzung. Etwa „dem Leser, der das Original nicht versteht?“ Die scheinbar unausweichliche Antwort relativiert sich sofort, wenn man den Satz zuvor einbezieht: „Kein Gedicht“, heißt es da, „gilt dem Leser, kein Bild dem Beschauer, keine Symphonie der Hörerschaft.“ Und sie wird vollends fragwürdig, wenn man sich das Ende seiner Überlegungen vergegenwärtigt, in denen er sich auf die religiöse Idee einer reinen Sprache bezieht und den heiligen Text als „Urbild oder Ideal aller Übersetzung“ bestimmt. Es ist hier also von einer Theorie die Rede, die sich nicht als Anleitung für orientierungslose Praktiker versteht, sondern ein hermeneutisches Selbstverständnis entwickelt, das den Rang der übersetzerischen Tätigkeit klar zu bewerten versucht.

Elisabeth Edl, die siebte August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessorin für Poetik der Übersetzung am Peter- Szondi-Institut der FU, ist in diesem Sinn durch und durch Benjaminianerin. Sie genießt, wie zahlreiche Preise belegen, einen Ruf als Praktikerin, die Stendhal, Flaubert, Philippe Jaccottet oder Patrick Modiano mustergültig aus dem Französischen ins Deutsche übertragen hat.

Ihre Antrittsvorlesung im Österreichischen Kulturforum war, mit Benjamin in der Hinterhand, allerdings auf die Zertrümmerung gängiger Klischees ganz ohne Blick in die Schreibtischniederungen aus. Übersetzung als Annäherung mit notwendigem Verlust? Übersetzung als altersanfälliges Unternehmen? Übersetzung in Analogie zur Interpretation eines Notentexts? Nichts von alledem.

Anhand von Friedrich Schleiermachers Abhandlung „Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens“ (1813), die mit der Unterscheidung von Dolmetschen und Übersetzen einsetzt, sowie Hans-Georg Gadamers „Wahrheit und Methode“ (1960) formulierte sie, bestechend durchargumentiert, eine Idee der Übersetzung zwischen dem diskursiven Anspruch der Wissenschaft und dem Sprung in die Kunst: der Entscheidung für eine Lösung. Die gelungene Übersetzung, so Edl, sei der „denkbar genaueste Kommentar“ zu einem Text. Mit George Steiner: eine „exakte Kunst“. Insofern existieren Neuübersetzungen für sie nur in einem trivialen Verständnis: Entweder besitzen sie Gültigkeit unter den weiten Himmeln des Menschengeschlechts – oder sie taugen gar nichts.

Überzeugend ist dies jedoch nur bei einem grenzenlosem Vertrauen in die Sinnerfülltheit eines literarischen Texts, die davon ungefährdet bleibt, dass ihn ein Autor irgendwann verlassen und ein Leser irgendwann vorgefunden hat. Man muss diese Art von Präsenz oder Beseeltheit nicht leugnen, man darf sie sogar vehement verteidigen, aber sie gegen die Stürme des Dekonstruktivismus gar nicht erst wetterfest zu machen, ist Leichtsinn.

Das Phänomen der Sinnstreuung – nicht nur der Polyvalenz – dürfte gerade einer Übersetzerin zeitgenössischer Lyrik nicht entgehen. Der Vergleich mit den Noten einer Polonaise von Chopin mag, wie Edl betonte, abwegig sein, weil der Übersetzer dem literarischen Text nichts hinzufügen müsse. Vielleicht befindet er sich dennoch in der paradoxen Situation, keine interpretatorische Freiheit zu haben, sie sich aber nehmen zu müssen.

Sehr viel weniger philosophisch betrachtet, könnte man Edl entgegenhalten, dass sie als Übersetzerin aus einer romanischen Sprache mit wirklichen Distanzproblem gar nicht kämpfen muss. Auch die fähigsten Übersetzer werden Alexander Puschkins Gedichte auf Deutsch nie zum Klingen bringen – und diejenigen des Chinesen Yang Lian, wie er selbst in aller Bitternis am besten weiß, bestenfalls eindeutschen. Gregor Dotzauer

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