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Katja Lange-Müller
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Kleist-Preis für Katja Lange-Müller: Nichts stimmt und alles ist richtig

Sie ist jetzt die 60. Kleist-Preisträgerin: die 62-jährige Berliner Erzählerin Katja Lange-Müller. Nike Wagner, bis eben Intendantin des Weimarer Kunstfests und Allein-Jurorin, begründete ihre Wahl mit einer exzellenten Laudatio.

Sie ist jetzt die 60. Kleist-Preisträgerin. Das wurde gar nicht erwähnt, obwohl in den zweieinhalb Feierstunden am Sonntag im überfüllten Rangfoyer des Berliner Ensembles so viel über und von Katja Lange-Müller gesagt und gelesen wurde. Zwischen 1912 und 1932 wurde der Kleist-Preis mehrmals zugleich an zwei Autoren vergeben, Brecht, Barlach, Anna Seghers und Zuckmayer bekamen ihn allein, Robert Musil musste ihn teilen, wie auch Horváth und, bevor die Nazis kamen, Else Lasker-Schüler, die ihn ausgerechnet mit dem Blut-und-BodenDichter Richard Billinger erhielt. Dann war erstmal Schluss.

Bis 1984. Seit dem Preisträger Alexander Kluge gilt für die neben dem Büchner-Preis wichtigste deutsche Literatur-Auszeichnung eine neue Zeit: mit Namen wie Thomas Brasch, Heiner Müller, Monika Maron, Herta Müller, Daniel Kehlmann, zuletzt Navid Kermani – und nun Katja LangeMüller, die 62-jährige Berliner Erzählerin. Nike Wagner, bis eben Intendantin des Weimarer Kunstfests und Allein-Jurorin, begründete ihre Wahl mit einer exzellenten Laudatio. Zwanglos setzte sie die freibeuterisch fabulierende Sprachkraft Lange-Müllers und ihre Liebe zu Satzkaskaden („viele kurze Sätze“ verbrauchen „mehr Papier als gut gebaute lange“) ins Licht auch der Kleistschen kataraktischen Syntax. Und schlug den Bogen von Kleist und Büchner zu Kafka und Katja.

Nike Wagner über die Autorin des „Kaspar Mauser“, der „Beispiellosen Entblößung einer Kaufhausdiebin“ oder des so abgründig hautnahen Liebesromans „Böse Schafe“: „Katja Lange-Müllers Wirklichkeit wird, durch bewusst und brillant angewandte ,Pseudo-Authentizität’, zu einer anderen, weit suggestiveren Wirklichkeit: Beim gewieften Kafka war das nicht viel anders. Wie sich sein literarisches Prag als das ,Prag an sich’ durchgesetzt hat, so geschieht es auch mit dem Berlin der Katja Lange-Müller. Mit ihrer Juste Milieu-Perspektive, ihrem Blick auf und unter das Straßenpflaster, ihren äußerlich abgetakelten, innerlich sehnsuchtsvollen Figuren liefert sie eine perfekte Soziographie unserer Hauptstadt-Gesellschaft – nichts stimmt und alles ist richtig.“

Die Preisträgerin dankte mit einem Kleist-Exkurs, sprach über die Traumata des früh verwaisten Kindersoldaten in den napoleonischen Kriegen, über den „berechneten Zufall“ etwa in der Novelle „Das Erdbeben in Chili“. Zuvor hatte Kleist-Biograf Günter Blamberger als Präsident der gastgebenden Kleist-Gesellschaft noch die Gründung einer Deutschen Kleist-Stiftung angedeutet, mit Hilfe des oder der neuen Bundeskulturstaatsministerin.

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