Interview mit Steven Soderbergh: „Nichts liegt vor mir. Das ist schön“
Er will aufhören, hat er angekündigt. Keine Filme mehr drehen. Ein Gespräch mit Steven Soderbergh über seine lange Karriere, den Spaß am Twist – und seine plötzliche Entscheidung zu Silvester.
Mister Soderbergh, stimmt es, dass Sie mit dem Filmemachen aufhören wollen?
Ja. Ich will ich eine Haut abstreifen, damit eine neue wachsen kann.
Sie haben jahrelang alle neun Monate einen Film fertiggestellt – für Hollywood ein aberwitziges Tempo. Werden Sie das Set nicht vermissen?
Ach, ich bin froh, dass ich nie wieder eine Kamera auf einem verdammten Auto justieren muss. Seit ich zwölf bin, stecke ich Hals über Kopf im Film. Das ist eine lange Zeit, wenn man jeden Tag wie besessen ist. Ich kann dieses Gefühl aber nicht mehr bewahren. Ich trete auf der Stelle. Also sollte jemand das übernehmen, der dieses Gefühl noch hat.
Die Schaffenskrise nach „King of the Hill“ haben Sie doch auch überwunden.
Damals kam ich vom Kurs ab. Aber ich wusste auch, woran das lag, ich arbeitete einfach zu langsam. Diesmal weiß ich nicht, wie sich das Problem lösen lässt. Ich weiß nur: Alles hängt davon ab, ob es mir gelingt, wieder Amateur zu werden.
Wie plant man sein Karriereende?
Ich habe den Ausstieg früh angekündigt, damit meine Mitarbeiter – mit einigen arbeite ich seit Jahrzehnten zusammen – wissen, dass sie anderswo neue Arbeit brauchen. Es wäre nicht fair gewesen, nach Drehschluss einfach das Ende zu verkünden. In diesem fünfjährigen Prozess war manches geplant, anderes Zufall. „Side Effects“ und „Magic Mike“ entstanden schnell und kurzfristig, weil aus anderen Dingen nichts wurde. Ich bin aber sehr zufrieden. Nach den Erfahrungen mit „Che“ wollte ich vor allem, dass meine letzten Filme Spaß machen. Beim Drehen und beim Schauen.
Bis zum Schluss sind Sie bei der Auswahl Ihrer Stoffe für Überraschungen gut.
Unvorhersehbar zu sein, das ist wohl mein Genre. Aber das ist dann auch schon wieder vorhersehbar.
Haben Sie Spaß daran, Ihre Zuschauer zu überrumpeln?
Darum geht es nicht. Das Ende von „Full Frontal“ etwa, für das ich sogar von Freunden angegriffen wurde, war eine spontane Entscheidung. Doch war sie das einzig Richtige. Mich interessierte das Kleingedruckte in dem stillen Vertrag zwischen Regisseur und Publikum: Warum halten wir eine Filmästhetik für realistisch und eine andere nicht? Es ist doch alles fabriziert – und es werden dabei immer kalkulierte Entscheidungen getroffen.
Fünfzehn Jahre wälzte ich ständig Probleme. Jetzt liegt nichts vor mir.
In „Side Effects“ gibt es einen doppelt überraschenden Twist. Er gibt dem Film eine andere Richtung, und noch dazu erwartet man die Wendung eher andersherum.
Das ist es gerade, was mir an dem Drehbuch so gefiel. Der Film benutzt ein Genre als Trojanisches Pferd für ein anderes. Scott Z. Burns, der schon das Script zu „Contagion“ schrieb, ist sehr gut darin, von einem eher düsteren Punkt aus zu starten – und dann eben nicht den offensichtlichen Weg zu beschreiten. Dieser Moment in „Side Effects“ ist wie die Szene in „Alien“, wenn plötzlich das Monster durch die Brust bricht. Von da an denkt der Zuschauer: Wenn die zu so was bereit sind – um Himmels willen, was kommt da noch?
Wie kriegt man einen Twist so hin, dass er beim Publikum auch funktioniert?
Man probiert es aus. Von der ersten halben Stunde dieses Films gibt es mehr Varianten als von irgendetwas anderem, an dem ich je beteiligt war. Am Ende mussten wir auch Szenen nachdrehen. In „Side Effects“ geht Schuld von einer Figur auf andere über – und es ist nicht leicht abzuschätzen, wie viel Information man preisgeben muss oder wie viel Mitgefühl erzeugt werden darf, damit das auch funktioniert. Wir wechseln ja sogar die Erzählperspektive. Und trotzdem muss der Film als Ganzes eine Einheit bilden.
In Cannes werden Sie sich mit Ihrem allerletzten Werk verabschieden, einem Film über den schillernden Entertainer Liberace – in Cannes, wo 1989 mit der Goldenen Palme für „Sex, Lügen und Video“ alles begann.
Es ist schön, dass sich der Kreis so schließt. Und dass dieser Film mein letzter ist. Matt Damon und Michael Douglas sind wirklich über sich hinausgewachsen. Und ich konnte es ganz anders genießen als sonst.
Wie war denn der Tag, als Sie wussten: Das war’s?
Es war der 31. Dezember. Ich habe ein Foto auf meinem Handy, wie ich das letzte Kreuzchen mache in meinem Kalender. Danach feierten wir Neujahr bei Freunden. Mein Bruder sagte kürzlich, ich sei jetzt präsenter als früher. Und er hat recht. Fünfzehn Jahre lang war ich dauernd in Vorbereitung auf etwas, wälzte ständig Probleme in meinen Kopf herum. Jetzt liegt nichts vor mir. Das ist schön. Aber ich höre ja nicht vollständig auf, zu arbeiten. Ich werde nur keine Filme mehr machen. Sollte ich jemals wieder drehen, dann fürs Fernsehen.
Was könnte Sie daran reizen?
Das Serienformat. Es ist das Pendant zum russischen Roman: So viele Details sind möglich, so viel Tiefe. Fernsehen ist der Ort, wo das, was einen Regisseur von anderen Regisseuren unterscheidet, noch gesucht und gefördert wird. Beim Film dagegen ist heute alles von Angst und Skepsis beherrscht. Kein Wunder, wenn man hunderte Millionen einnehmen muss – bei der Wirtschaftslage. Das Publikum aber, das Filme, wie ich sie mache, schätzt, ist längst zum Fernsehen abgewandert.
Sie haben jetzt viel Zeit, um auf Ihr Werk zurückzublicken. Sind Sie stolz?
Die Qualität meiner Filme kann ich nicht beurteilen. Was ich sagen kann, ist: Sie gehören mir. Es sind meine Filme mit meinen Fehlern. Denn ich hatte immer volle Kontrolle. Ich schätze Leute, die etwas tun, statt nur darüber zu reden. Deshalb bin ich zuallererst auf den Umfang meines Werkes stolz. Denn jeder Film, der fertig wird, ist ein Akt des Willens.
Bei Steven Soderbergh, 1963 in Atlanta geboren, geht alles immer ein bisschen schneller: Er war erst 26, als er für seinen Debütfilm Sex, Lügen und Video in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde. Nun ist er kaum 50 und will keine Kinofilme mehr drehen. Dazwischen liegt eine produktive Regisseurskarriere. Nach Cannes musste er zwar erst ein paar Flops verkraften, bald aber stieg er in Hollywood mit Out of Sight, Erin Brockovich, Traffic und der Oceans-Trilogie zum Superman hinter der Kamera auf. Zugleich verlor er, etwa mit der Revolutionärs-Hommage Che, seine Independent-Wurzeln nie ganz aus den Augen. Sein offiziell letzter Film ist Liberace, der im Mai in Cannes läuft.
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