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Nick Cave, 2013 bei einem Auftritt auf dem britischen Glastonbury-Festival
© AFP

Nick Cave live in Berlin: Nicht ganz von dieser Welt?

Ganz von dieser Welt, ganz dick mit dem Publikum: Das Konzert von Nick Cave und den Bad Seeds in der Berliner Max-Schmeling-Halle.

Er scheint nicht ganz von dieser Welt zu sein, jener Mensch, der am Ausgang der Max-Schmeling-Halle undurchdringlich und überlebensgroß von einem Werbeplakat herunterstiert: Marilyn Manson alias Brian Hugh Warner. Der amerikanische Böse- und Schockrocker hat mit „Heaven Upside Down“ gerade ein neues Album veröffentlicht, und sofort stellt sich die Frage: Würden auch bei einem Marilyn-Manson-Konzert ein-, zweihundert Leute zu den Zugaben die Bühne stürmen und dort sitzen, tanzen, klatschen, stolz sein? Würde sich Marilyn Manson mitten unter seine Fans mischen und sie zum Klatschen animieren, sich berühren lassen, Hände greifen, mit einer Rose wedeln?

Natürlich nicht. Bis vor kurzem noch hätte man die meisten dieser Fragen auch im Fall von Nick Cave mit einem klaren Nein beantwortet. Doch an diesem Abend in der Max-Schmeling-Halle in Berlin Prenzlauer Berg ist all das gerade passiert, durchaus mit dem Zutun von Cave selbst. Mit der vordersten Reihe im Publikum hatte der 60-jährige, im englischen Brighton lebende Australier ja früher schon gern mal kommuniziert, allerdings erst gegen Ende seiner Konzerte.

Schwarzer Anzug, rote Socken, volles Haar

Dieses Mal sucht er gleich zu Beginn den Kontakt, nach einem dräuenden Instrumental-Intro, bei den ersten drei Stücken, die allesamt von seinem jüngsten Album „Skeleton Tree“ stammen. Es ist dies ein Unglücks- und Traueralbum geworden, eine Art Requiem auf seinen vor zwei Jahren tödlich verunglückten Sohn Arthur. Man spürt, dass Cave auf dieser Tour Trauerarbeit leistet, in dem er betont nahe an seinem Publikum ist und Zeilen wie „You fell from the sky /crash landed in a field“ mehr haucht als singt.

Erst mit dem ersten alten Stück, mit „From Her To Eternity“ scheint Cave wieder ganz zu sich selbst und in seine Welt voller Engel und Teufel und Helden wie Robert Johnson zu finden. Mit seinen zackigen, unrhythmischen, unkoordiniert wirkenden Tanzschritten misst er die große Bühne aus, läuft sie auf und ab, wie immer im schwarzen Anzug, dazu roten Socken und einem hellblauen Hemd, neuerdings wieder mit sehr vollem wehenden, vermutlich transplantierten Haar. Es ist erstaunlich, wieviel Energie in Cave steckt, wie sehr er sich allein im ersten Drittel des Konzerts verausgabt, nicht zuletzt solcherart, dass er den Ständer mit Text- und Notenblättern versehentlich umwirft und nach „From Her To Eternity“, dem erst vierten Stück!, leicht ins Krächzen gerät.

Zum "Weeping Song" macht Cave Mikro- und Klatschspielchen

Doch wer glaubt, dass er gerade in Berlin noch einmal alles gibt, bis zum Anschlag, wegen der prägenden Jahre, die er hier verbracht hat, in Verbindung mit dem erlittenen Schicksalsschlag, täuscht sich: Cave ist eben auch ein routinierter Showman, er versteht sich auf Inszenierungen. Es wird ein wirklich großartiges Konzert, mit den großartigen Bad Seeds, die bis auf den ebenfalls wie ein Derwisch agierenden Warren Ellis ruhig ihre Arbeit an Bass, Gitarre und Schlagzeug verrichten, dabei immer unaufgeregt auf Caves manchmal irritierende Intonationen und Tempowechsel eingehend. Das „Skeleton-Tree“-Album rahmt den Auftritt, zwei Stücke sind im Mittelteil platziert, mit „Distant Sky“ und dem Titelsong endet es. Dazwischen betreibt Cave Repertoire-Pflege, allerdings ohne große Überraschungen: Stücke wie „Tupelo“, „Red Right Hand“, „Mercy Seat“ oder „Ship Song“ hatten die Bad Seeds allesamt auch 2015 im Friedrichstadt-Palast gespielt, und der „Higgs Boson Blues“ sowie „Jubilee Street“ von dem großartigen, vielleicht besten Cave-Album aller Zeiten dürften aus diesem Live-Repertoire genauso nicht mehr wegzudenken sein.

Von sehr routiniert zu sehr herzlich

Manchmal streift Cave den Kitsch, wie in „Into My Arms“, wie bei den Schlussstücken, als die dänische Sopranistin Else Torps auf der Leinwand im Hintergrund mit ihrem „Distant-Sky“-Gesang zu sehen ist; manchmal ist er über die Maßen routiniert, als er wieder einmal vor „Mercy Seat“ die Geschichte erzählt, wie er diesen Song in Kreuzberg geschrieben hat; ja, und plötzlich ist er verschwunden bei der ersten Zugabe, dem „Weeping Song“, um inmitten des Publikums aufzutauchen und mit diesem Mikro- und Klatschspielchen zu unternehmen.

Als er zurück auf die Bühne möchte, gibt es einen kleinen Tumult. Drei, vier, fünf, sechs Menschen kommen an der Security vorbei, und plötzlich sind es ganz viele, die sich auf der Bühne einfinden. Nick Cave weiß damit umzugehen, ob es ihm gefällt? Er ist jetzt Teil der Instagram-und Snapchat-Generation, diese will ihre zehn Minuten bei ihm auf der Bühne haben, und Cave dirigiert sie schließlich zu „Stagger Lee“ und „Push The Sky Away“. Draußen sagt ein jüngerer Mann im Anzug zu seinem mürrischen Freund, der die ungewohnte Publikumsnähe von Cave „seltsam“ gefunden hat, dass man es „mit der Aura ja nicht übertreiben“ müsse, das Konzert schon auch toll gewesen sei. Nick Cave hat seine Standleitungen in den Himmel und die Hölle gekappt. Er ist jetzt einer von uns, ganz von dieser Welt.

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