Bärenkandidat bei der Berlinale 2020: „Never Rarely Sometimes Always“ ist ein starkes Jugenddrama
Eliza Hittman erzählt in „Never Rarely Sometimes Always“ von einer ungewollt schwangeren Jugendlichen. Ihr ruhiges Drama zeigt auch die MeToo-Realität junger Frauen.
Es geht ihr nicht gut. Schon eine ganze Weile. Die Mutter fragt routiniert nach, der genervte Vater sagt, sie solle mal ihren Kopf untersuchen lassen. Doch Autumn (Sidney Flanigan) ahnt, dass der Grund wohl tiefer liegt. Beim heimlichen Besuch in einer Frauenberatungsstelle macht die 17-Jährige einen Schwangerschaftstest – er ist positiv.
Das Baby zu behalten, kommt für das Mädchen aus einer Arbeiterfamilie im ländlichen Pennsylvania nicht infrage. Doch wie abtreiben? Autumn merkt schnell, dass das nicht in DIY-Manier zu lösen ist wie bei dem Nasenpiercing, das sie sich gerade mit einer Sicherheitsnadel gestochen hat.
Mit der Cousine nach New York
Schließlich macht sie sich zusammen mit ihrer Cousine Skylar (Talia Ryder) – die einzige Person, der sie sich anvertraut – auf den Weg nach New York, wo sie Hilfe finden wird.
Ruhig und scheinbar cool sind die beiden unterwegs in Eliza Hittmans drittem Spielfilm „Never Rarely Sometimes Always“, der trotz seiner Sundance-Premiere im Berlinale-Wettbewerb läuft. Eine gute Entscheidung, handelt es sich doch um eines der besten bisher gezeigten Werk. Es vermittelt die fragile Position seiner Protagonistinnen mit immenser Eindringlichkeit und erzählt dabei auch von der alltäglichen MeToo-Realität junger Frauen.
Jungs, die ihnen in einem vollen Saal das Wort „Schlampe“ zurufen, Vorgesetzte, die sie betatschen, Typen, die sich in der nächtlichen U-Bahn einen runterholen – alles normal für sie. Irgendwie kommen sie klar, lassen sich nicht beirren, kippen einem Macker auch mal ein Getränk ins Gesicht.
Langsam gerät ihr Gesicht aus der Fassung
Dass auch Autumns Verhältnis zum nie identifizierbaren Kindsvater von Gewalt geprägt war, zeigt eine zentrale Szene, die dem Film den Titel gibt. Ohne Schnitt gedreht, ist nur Autumns allmählich aus der Fassung geratendes Gesicht zu sehen, während sie die Fragen einer Klinikmitarbeiterin beantwortet. Es geht um übergriffigen Sex. Die Antwortmöglichkeiten lauten: nie, selten, manchmal, immer.
Hittman setzt mit diesem Drama, für das sie auch das Drehbuch schrieb, ihre Reihe beeindruckender Jugenddramen fort. Wie zuletzt im Coming-of-Age-Film „Beach Rats“ über einen jungen Schwulen am Rande New Yorks versteht sie es meisterhaft, die Probleme junger Menschen in Szene zu setzen. Beistand von Erwachsenen ist dabei nie eine Option. Aber es gibt Freundschaft – und Frauensolidarität. Wenn Skylar das Rückfahrticket der beiden mit einem Kuss bezahlt, hält Autumn versteckt hinter einer Säule ihre Hand. Ein Hoffnungszeichen.
26. 2., 12.15 Uhr (HdBF) u. 15 Uhr (Friedrichstadtpalast), Fr 28. 2., 19 Uhr (FSP), 1. 3., 19.30 Uhr (FSP)