Kultur: Neues vom Klamaukermann
Leichte Schlagseite: der Kino-Sommerhit „Fluch der Karibik 2“
Keith Richards von den Rolling Stones fällt immerzu irgendwo runter. Meist von der Leiter seiner eigenen Bibliothek. Zuletzt von einer Palme. Wahrscheinlich kultiviert er deshalb diesen schwer misstrauischen Gang, den sich Johnny Depp von ihm ausgeborgt hatte. Er brauchte ihn für „den schlechtesten Piraten aller Zeiten“, für seinen Captain Jack Sparrow. Vorsicht Boden! Er könnte ja nachgeben.
Seemänner wissen das genau. Kaum sind sie von ihren Schiffen runter, schwankt die Erde. Natürlich hat Captain Jack Sparrow schon deshalb nur einen Gedanken: zurück aufs Schiff, und die Welt ist wieder im Lot. Und das rote Stirnband von Richards nimmt er auch gleich mit, oder trägt Richards das erst – wie letzte Woche im Olympiastadion –, seit Captain Jack Sparrow seinen Kopf damit schmückt?
Vor drei Jahren – wir lebten bereits mitten im Nach-Piratenfilm-Zeitalter – geschah etwas Erstaunliches. Ein Piratenfilm startete in unseren Kinos. Doch statt still unterzugehen, setzte die „Black Pearl“ – so heißt des Captains Lieblingsschiff – alle Segel, nahm allein sechs Millionen Zuschauer in Deutschland mit an Bord, und als Jack Sparrow dann irgendwann wieder anlegte, hatte er den Disney-Studios etwas mitgebracht: „Fluch der Karibik“ bescherte ihnen einen der größten Erfolge ihrer nicht gerade kurzen, nicht gerade erfolglosen Geschichte. Der Schatz der Azteken muss dagegen ein Häufchen Metall gewesen sein.
Um den Schatz der Azteken ging es damals, in Teil 1, und Captain Barbossa (Geoffrey Rush) wollte ihn nicht rauben, sondern zurückbringen. Nicht schlecht: Piraten, die einen Schatz zurückbringen wollen! Und dazu Johnny Depp, der von Barbossa ausgesetzte Captain (Meuterei!), der jede Krise übersteht – aber nur durch Zufall. Eben genau wie das Überlebenswunder Keith Richards. Wir sahen tatsächlich den „schlechtesten Piraten aller Zeiten“, wir sahen einen Piratenfilm nach dem Piratenfilm. Richards-DeppsSparrows Art, sich in der Welt zu bewegen und sich ihr mitzuteilen, zeugt ja nicht unbedingt von Heldenmut. Eher von einem höheren Realismus. Der nichtheroische Typus schlechthin: also einer wie wir. Die meisten von uns müssen schließlich lebenslang mit Sparrows Kompass auskommen: einem, der nie nach Norden zeigt.
Und um dieses, sagen wir ruhig: informelle Kammerspiel, hatten zwei Kino-Schwergewichtler (rein aufwandstechnisch gesehen), der Regisseur Gore Verbinski und sein Produzent Jerry Bruckheimer, ein riesiges Set gebaut, nein, viele riesige Sets. Action! Action! Action! War das nicht possierlich?
Nun also Teil 2. Das Prinzip Serie beginnt. Jede Fortsetzung ist schon Trivialisierung. Aber kann es nicht doch gelingen, manchmal? Sagen wir es so: Captain Barbossa hatte schon gewusst, warum er den Azteken-Schatz zurückbrachte. Die Logik der Gier hatte sich irgendwann gegen ihn gekehrt. Die Gier frisst uns auf, sagte Barbossa. In Piratenfilmen nennt man so etwas Fluch. Ein Fluch nur gegen Barbossa? Megaproduzent Jerry Bruckheimer fasst „Pirates of the Caribbean 2“ so zusammen: Noch abenteuerlicher! Noch temporeicher! Noch verrückter! Blanke Azteken-Goldraub-Logik. Nicht dass Bruckheimer hochstapelt. Man glaubt es kaum, aber „Fluch der Karibik 2“ sticht tatsächlich mit noch mehr Fracht in See als Teil 1. Manche, auch Nicht-Seefahrer, hat das schon immer misstrauisch gemacht: „Und bis zum Sinken überladen, entfernt sich dieser letzte Kahn ...“ Goethe. Es ist aber definitiv nicht der letzte Kahn, sondern erst der vorletzte. Teil 3 kommt schon nächsten Sommer.
Erinnern wir uns noch an Barbossas Totengerippemannschaft, diese Lemurenseefahrer? Jawohl, man kann auch die toppen. Wie in jedem Fantasy-Film ist auch hier Authentizität oberstes Gebot. Sogar Marlon Brandos „Bounty“, 1962 gebaut, spielt mit. Das wichtigste neue Schiff neben der alten „Black Pearl“ (zusammengebaut aus einem Rumpf und Einzelteilen aus der ganzen Welt – Globalisierung der Seefahrt rückwärts) ist die „Flying Dutchman“. Das Schiff gehört, wie der Name schon sagt, dem Fliegenden Holländer. Mit dem hat Captain Jack diesmal am meisten Ärger. Weil er erstens ganz ohne dessen Hilfe die Black Pearl nicht zurückbekommen hätte und zweitens für diese Gefälligkeit eine Gegenleistung erwartet. Diese Art von Geschäftsbeziehungen heißen in Piratenfilmen meist Pakt.
Der Fliegende Holländer rückte erstmals in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit, nachdem Heinrich Heine ihn für die „Memoiren des Herren von Schnabelewopski“ erfand: Herr von Schnabelewopski sitzt in Holland (!) im Theater und sieht – natürlich – ein Stück über einen Holländer. Und der macht, was damals die meisten Holländer taten: Er fährt zur See. Dann las Wagner das und beschloss, den Herren von Schnabelewopski wegzulassen. Bruckheimer und Co lassen nun noch viel mehr weg, vor allem Wagners Musik, aber dafür sieht die „Flying Dutchman“ aus, als habe sie mindestens 100 Jahre am Meeresgrund gelegen. Und die Besatzung auch. Kapitän Davy Jones hat einen Bart aus frei beweglichen Tintenfischarmen. Im Unterschied zu den Heine- und Wagner-Varianten wartet dieser Fliegende Holländer nicht auf die erlösende Liebe eines Mädchens – mit dem Bart? –, sondern will nur Sparrows Kompass. Genau wie die Ostindien-Handels-Company, die den Piraten-Sympathisanten Will (Orlando Bloom) und Elizabeth (Keira Knightley) gleich zu Beginn die Hochzeit verdirbt. Bloom ist genauso edel wie im ersten Teil, Keira Knightley ist genau so schön und noch sportlicher und Johnny Depp scheint sich noch immer zu fragen: Was mache ich eigentlich in einem Piratenfilm? Tun wir das Beste, uns nicht zu langweilen!
Langeweile heißt das Bermuda-Dreieck des Action-Kinos. Bruckheimer hat noch ein Noch: „Noch unterhaltsamer!“, sagt er. Wirklich? Vor drei Jahren hatte das alles einen wunderbaren Charme, eine Leichtigkeit und Ironie, die man dem Ausstattungs-Action-Kino fast nicht zutraute. Jetzt hat es Captain Jack Sparrow und die anderen als Geiseln genommen. Die „Black Pearl“ hat Schlagseite.
Ab Donnerstag in 30 Berliner Kinos. OV im Cinestar Sony-Center, OmU im Odeon.
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