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Cate Shortlands Nachkriegsfilm „Lore“: Neue Welt

Im Kino: „Lore“ schildert eine Nachkriegskindheit.

„Er kommt, Mutti, oder?“ – „Wer?“ – „Der Endsieg?“ Die Mutter schaut ihre älteste Tochter entgeistert an und wendet sich schweigend ab. Der Krieg ist vorbei und verloren. Der Vater (Hans-Jochen Wagner), ein hochrangiger Nazi, fuhr nachts per Lastwagen vor, brachte seine Frau und die fünf Kinder in die Berghütte und verschwand. Weil sie weiß, dass man sie festnehmen wird, geht die Mutter (Ursina Ladi) bald ins Tal und lässt die 15jährige Lore (Saskia Rosendahl) zurück mit den Geschwistern, ein wenig Geld und ein paar Schmuckstücken. Die Kinder sollen sich zur Großmutter durchschlagen, die weit weg auf einer Nordseeinsel wohnt. Und los geht die Reise durch das besiegte, auch seelenverwüstete Land, in dem jeder sich selbst der Nächste ist.

Konsequent aus der Perspektive der Kinder, für die die NS-Ideologie das gültige Wertesystem war, blickt die australische Regisseurin Cate Shortland („Somersault“) in „Lore“ auf den Zerfall der Ordnungsstrukturen. Der Verlust der Eltern ist der Anfang eines Bewusstwerdungsprozesses, der für das Mädchen mit dem plötzlichen Erwachsenwerden und ersten Liebesgefühlen zusammenfällt. „Ich weiß, was du bist“ sagt sie zu Thomas (Kai Malina), der eine Nummer auf dem Unterarm hat, und verbietet ihm, das Brot anzufassen, das sie mit ihren Geschwistern essen will. Trotzdem begleitet der junge Mann die Kinder. Mit seinen Papieren und dem Judenstern kommen sie durch die Kontrollen der Alliierten.

Basierend auf Rachel Seifferts Buch „Die dunkle Kammer“, orientiert sich „Lore“ an der kindlichen Wahrnehmungsweise, die über genau beobachtete Details funktioniert. Der Film, hart und schön zugleich, erzählt vom schmerzhaften Weg der Erkenntnis, den das Mädchen als eine Art Selbstentnazifizierung durchlebt. Und die 18-jährige Hauptdarstellerin agiert mit einer Energie und Verletzlichkeit, die sich perfekt in die nuancierte Erzählung und poetischen Bildkompositionen einfügt. Martin Schwickert

Cinemaxx, Eiszeit, Hackesche Höfe,

Kant, Kulturbrauerei, Passage

Martin Schwickert

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