Kulturpolitik in Frankfurt am Main: Neue Akzente
Kultur für alle - und das Ende diskursverhindernder Auswüchse: Die Literaturkritikerin Ina Hartwig soll neue Kulturdezernentin in Frankfurt am Main werden.
„Einen schweren politischen Fehler“, so sagte es der scheidende Frankfurter Kulturdezernent Felix Semmelroth, habe seine Partei da begangen. Und wer Semmelroth kennt, der weiß, dass es ihm dabei nicht um seine eigene Person ging, sondern wirklich mehr dahintersteckte.
Was ist geschehen in Frankfurt? Bei den Kommunalwahlen im März fuhr die bisherige schwarz-grüne Koalition desaströse Verluste ein: Die CDU büßte rund sechs Prozent ein, die Grünen verloren gar mehr als zehn Prozent der Stimmen und landeten bei (noch immer komfortablen) 15 Prozent. Nach zähen Verhandlungen holte man die Sozialdemokraten ins Boot und einigte sich auf eine sogenannte Jamaika-Koalition.
Im Poker um die Magistratsposten brachte die CDU das vermeintlich verschmerzbarste Opfer, um im Gegenzug Schlüsselpositionen wie die des Stadtkämmerers oder des Wirtschaftsdezernenten behalten zu können: Sie traten die Kultur an die SPD ab. Und schickten auf diese Weise den seit zehn Jahren durchaus erfolgreich operierenden, konsensfähigen und beliebten Kulturdezernenten Semmelroth in den Vorruhestand. Der wollte eigentlich erst im kommenden Jahr, zu seinem 67. Geburtstag, das Amt abgeben, warf aber seinen Parteikollegen nun bereits zum 1. Juli die Brocken vor die Füße. Das kann und muss man verstehen.
Kulturpolitik in Frankfurt ist ein hochsensibles Feld
Die Sozialdemokraten wiederum, denen das Kulturressort zugefallen war, warteten kurz darauf mit einer Personalentscheidung auf, die ohne Übertreibung als Coup bezeichnet werden kann: Ina Hartwig, ehemalige Literaturredakteurin der „Frankfurter Rundschau“, SPD-Mitglied erst seit vier Jahren, soll Mitte Juli zur neuen Frankfurter Kulturdezernentin gewählt werden. Die gebürtige Hamburgerin und promovierte Literaturwissenschaftlerin lebt seit 1997 in Frankfurt und steht mit ihrer Nominierung (auf dem Parteitag der Frankfurter SPD erhielt sie 94 Prozent der Delegiertenstimmen) in einer Tradition von Quereinsteigern. Offenbar erscheint es gerade im Kulturbereich zusehends opportun, sich bei der Besetzung von Posten nicht altgedienter Parteisoldaten bedienen zu wollen. Man denke an den ehemaligen Rowohlt-Verleger Michael Naumann, der 1998 unter seinem Duzfreund Gerhard Schröder zum Staatsminister für Kultur und Medien avancierte. Oder an Tim Renner, der zuvor in der (Pop-)Musikindustrie tätig war und sich nun in der Berliner Kulturpolitik ausprobiert.
Hilmar Hoffmann ist eine der Lichtgestalten der Stadt
Kulturpolitik in Frankfurt wiederum ist ein hochsensibles Feld, über das nicht gesprochen werden kann, ohne Hilmar Hoffmann zu erwähnen. Der mittlerweile 90-Jährige, der mit Büchern und Dackel in einem verwunschenen Anwesen am Frankfurter Stadtwald residiert, ist die Heilsgestalt des Frankfurter Kulturlebens. Als SPD-Mitglied baute er als Kulturstadtrat unter dem erzkonservativen CDU-Bürgermeister Walter Wallmann von 1980 bis 1990 nicht einfach nur eine Reihe von Museen – Hoffmann erfand noch dazu die Marke „Museumsufer“.
In Neubauten und in umgebauten ehemaligen Patriziervillen auf beiden Seiten des Mainufers installierte Hoffmann mit Hilfe international renommierter Architekten ein wohl deutschlandweit einmaliges Ensemble von Ausstellungshäusern der unterschiedlichsten Ausrichtungen. Die Stadt Frankfurt weiß, was sie am Museumsufer hat und hat allen Grund, mit diesem Pfund auch international zu wuchern. Hoffmanns Nachfolgerin wurde im Übrigen auch eine Quereinsteigerin: Linda Reisch, zuvor Büroleiterin von Peter Glotz, bekam von Beginn an den scharfen Gegenwind der konservativen Medien zu spüren und stellte sich noch dazu nicht sonderlich geschickt an. Sie gilt bis heute als gescheitert, aber was heißt das schon?
„Kultur für alle“ lautete das Credo von Hilmar Hoffmann. Das ist in Frankfurt durchaus wörtlich zu verstehen. Frankfurt ist eine Bürgerstadt, in der viel Geld zirkuliert und in der die Kultur auf breiter Basis hohe Wertschätzung genießt. Wer Geld hat, gibt durchaus bereitwillig etwas davon ab, beansprucht aber im Gegenzug, versteht sich, ein Mitbestimmungsrecht. Wenn man sich die Reaktion auf Ina Hartwigs Berufung anschaut, könnte man meinen, glatt 25 Jahre zurückversetzt worden zu sein. Jürgen Kaube, für die Kultur zuständiger „FAZ“-Herausgeber, stellte in einem Kommentar sinngemäß fest, Ina Hartwigs herausragende Kompetenzen seien Elitarismus und Feminismus. Das ist so bösartig zugespitzt wie falsch.
Interessant wird zu beobachten sein, wie die scharfsichtige Denkerin Ina Hartwig sich zukünftig in einem Umfeld von Parteigenossen bewegen wird, die, um es vorsichtig zu sagen, von einem Kulturbegriff relativ weit entfernt sind. Oberbürgermeister Peter Feldmann hat sich den Wohnungsbau auf die Fahnen geschrieben und warb im Wahlkampf damit, zu wissen, wie es in Hochhäusern rieche. Der in Frankfurt gerne zur allgemeinen Belustigung zitierte Satz, Kultur habe „als Schmiermittel sozialer Infrastruktur“ zu dienen, steht in Peter Feldmanns Thesenpapier zur Kultur. Als Verfasser gilt Feldmanns Büroleiter Martin Wimmer, dem wiederum selbst Ambitionen auf den Posten des Dezernenten nachgesagt wurden. Im Herbst erscheint im Verlag weissbooks Wimmers Buch mit dem programmatischen Titel: „Ich bin der neue Hilmar und trauriger als Townes“. So schließt sich ein Kreis. Dass eine eigentlich vertrauliche Mail Martin Wimmers, in dem dieser das Jahrzehnt der „neoliberalen und diskursverhindernden Auswüchse“ in Frankfurt für beendet erklärte, Anfang Juni ganz zufällig an die Öffentlichkeit kam, ist schlechter Stil.
Hartwig will die Leuchttürme stärken - und die europäischen Städtepartnerschaften
Die designierte Kulturdezernentin Ina Hartwig wird mit einer gewissen Spannung erwartet. Zurzeit beendet sie noch am Berliner Wissenschaftskolleg ein Buch über Ingeborg Bachmann, bevor sie wieder ihre Wohnung in Frankfurt-Sachsenhausen, auf der Rückseite des Museumsufers, beziehen wird.
Sie wolle, so Hartwig auf dem Parteitag, „die Leuchttürme“ des Kulturlebens – Oper, Schauspiel, Museen – stärken und gleichzeitig neue Akzente setzen. Besonders am Herzen liege ihr, so drückte sie es aus, die Wiederbelebung der europäischen Städtepartnerschaften auf kultureller Ebene, dies besonders „in einer Zeit wachsender Europafeindlichkeit“.
Ina Hartwig hat ein dezidiertes Interesse an Randgebieten, an Migrationsbewegungen. Sie ist neugierig, auffassungsschnell und enorm durchsetzungsfähig. Und sie hat, das erscheint nicht unwichtig, ein blendend funktionierendes Abwehrsystem gegenüber unsachlichen Anwürfen. Den Gerüchten, dass die CDU auch deshalb gerne auf das Kulturdezernat verzichtet habe, weil dem mit derzeit 176 Millionen recht passabel bestückten Etat Kürzungen bevorstünden, sieht Hartwig gelassen entgegen. Zunächst einmal muss sie gewählt werden.
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