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Bei 130 Filmen stand Michael Ballhaus hinter der Kamera, berühmt ist seine Zusammenarbeit mit Fassbinder und Scorsese. Hier ist er in seinem Wohnzimmer in Zehlendorf zu sehen.
© Thilo Rückeis

Kameramann Michael Ballhaus: „Natürlich leidenschaftlich!“

Er konnte sein Berufsgerät einfühlsam wie kaum ein Zweiter bewegen. Jetzt ist der große Kamermann Michael Ballhaus gestorben. Zu diesem traurigen Anlass blicken wir auf einen Hausbesuch im letzten Jahr zurück.

Wenn das Licht ausging und die letzte Szene des Arbeitstages gedreht war, fuhr er halt nach Hause. Konnte kommen, wer wollte. Rainer Werner Fassbinder drängte zum Reden und Saufen. Er ging. Am Filmset in Amerika tummelten sich um ihn herum so viele Stars und Sternchen. Er ging zu Helga, seiner ersten Frau. Und erzählte ihr vom Tag und dass er etwa in „Goodfellas“ diese brutalen Szenen „moralisch ambivalent“ empfand. Zu Hause, das war Berlin, New York oder Los Angeles. Zu Hause war, wo die Familie war. Diese Gespräche haben ihn frei gemacht. Im Kopf. Für sein Business.

Michael Ballhaus konnte sein Berufsgerät einfühlsam wie kaum ein Zweiter bewegen, und diese Kunst des Kameramanns haben die Fachwelt und ein Millionenpublikum in aller Welt begeistert. Dafür wird er am Donnerstag mit dem Goldenen Ehrenbären ausgezeichnet.

Distanz und Bodenständigkeit

130 Filme für Kino und Fernsehen, 25 Jahre Arbeit in den USA. Aber Michael Ballhaus, der im August 81 Jahre alt wird, beherrscht noch eine weitere Kunst – sie hat ihn zum glücklichen Menschen gemacht: Distanz und Bodenständigkeit.

Es gibt einen Satz, der Ballhaus’ zeitweilige Existenz wunderbar beschreibt: „Es ging in meinem Leben vielleicht um ein Drehbuch von Ulrike Meinhof. Es ging aber auch darum, welche Noten die Kinder auf der Schule hatten.“ Später bekam er dann Drehbücher von Martin Scorsese, Mike Nichols, Steve Kloves oder Francis Ford Coppola vorgelegt. Das Private blieb intakt, die Familie um ihn herum, seine Wagenburg.

"Meine Familie war entscheidend wichtig"

An einem trüben Tag zwei Wochen vor Beginn der Berlinale, die er 1990 sogar als Jury-Präsident prägen durfte, öffnet er die Tür seiner Zehlendorfer Altbauwohnung. Graues Hemd, braune Hosenträger, Turnschuhe und ein Blick, der trotz des immer schwächer werdenden Augenlichts stets gerade auf den Besucher gerichtet ist. Professionalität bleibt ihm wichtig. Disziplin ist Ehrensache. Alles, was er zu erzählen hat, ist spannend. Aber dieser Satz fällt heraus: „Meine Familie war entscheidend wichtig. Ich hätte das sonst nicht durchgestanden.“

Nicht dazugehören zu wollen, sich nicht vereinnahmen zu lassen – das ist auch eine Kunst. Eine andere Fähigkeit ist es, Schauspielern nahe zu kommen, sie zu öffnen für die eigenen Ideen. In seiner Biografie schreibt Ballhaus: „Es ist nicht schlecht für einen Film, wenn Schauspielerin und Kameramann dieses Spiel spielen. Es ist aber schlecht für den Kameramann, wenn mehr wird aus dem Spiel.“ Fragt man Ballhaus, ob man leidenschaftlich mit Schauspielern arbeiten müsse oder chirurgisch genau, antwortet er gespielt empört: „Natürlich leidenschaftlich!“

Ballhaus blieb privat auf Abstand

Fassbinder, mit dem er 15 Filme drehte, den er als Regisseur sehr schätzte, hat ihn oft seine schlechte Laune spüren lassen. Gleichzeitig vertraute er ihm seine verstörenden Kindheitsgeschichten an. Ballhaus blieb privat auf Abstand. Und dachte: „Überstehe ich ihn, kann mich nichts mehr erschüttern.“

Als Jugendlicher am Theater seiner Eltern lernte er das Fotografieren, vor allem lernte er Schauspieler „mit allen ihren Macken zu lieben und zu verstehen“. Er bekam ein Verständnis von Dramaturgie. Bevor er sich seinen Traum erfüllte und Kameramann wurde, machte er zwei Jahre in einem Foto-Atelier in Würzburg eine Lehre. Das lehrt Demut und ein Motto, das er sich zu eigen machte: „Mein Beruf ist ein dienender.“

Ballhaus findet nicht, dass sein Umgang mit der Kamera sein größtes Talent sei. Sondern die Fähigkeit „zu wissen, wie ich Bilder erzählen und Gedanken visualisieren kann“. Bei Fassbinder verinnerlichte Ballhaus nicht nur, wie er sich schützen konnte, sondern vor allem: schnell, billig und gedanklich kreativ zu arbeiten. Die berühmte 360-Grad-Fahrt der Kamera in „Martha“ ist auch aus diesen Eigenschaften heraus entstanden.

In drei Minuten kein einziger Schnitt

In „Goodfellas“, einem der zehn Filme, die auf der Berlinale als Ballhaus- Hommage gezeigt werden, gibt es eine Drei-Minuten-Szene, die ohne Schnitt mit der Steadycam gedreht ist und die viel über das erzählt, was Ballhaus auszeichnet. Die Kamera folgt dem Gangsterboss Henry Hill (Ray Liotta) und seiner Frau Karen (Lorraine Bracco) wie ein unsichtbarer Bodyguard: Hinein in den Nachtclub Copacabana, in den langen verwinkelten Flur, wo überall Leute herumstehen, Dinge durchs Bild schleppen, lachen, grüßen, in der Küche arbeiten. Dann endlich die Bar, der Tisch wird für beide schnell klargemacht. Immer noch kein einziger Schnitt. Hill sitzt in seinem Reich, bewundert, gefürchtet, während sie irritiert fragt: Was machst du eigentlich? „Hab gar nicht gemerkt, dass einer hinter uns war“, hat Lorraine Bracco später über diese Szene gesagt.

Ballhaus ist Teamplayer. Was privat die Familie ist, ist beruflich die Filmcrew. Auch die Klavierszene in „Die fabelhaften Baker Boys“ war Teamwork. Er findet, Michelle Pfeiffer brauche einen neuen Look, solle härter, stärker rüberkommen als zuvor. Ballhaus schaut sich mehrere Filme von ihr an, spricht mit dem Maskenbildner, diskutiert mit der Schauspielerin und macht schließlich den Vorschlag mit dem roten Kleid. Michelle Pfeiffer gab in einem Interview zu, dass sie die Klavierszene aus Angst abblasen wollte. Ballhaus überredete sie.

Sein Leben würde man als Romanze verfilmen

Wenn man in sich ruht, kann man andere leichter beruhigen. Sein eigenes Elternhaus war ein sicherer Ort nach innen, es hat ihm Haltung beigebracht. Die Eltern waren sozialistisch orientiert, versteckten in Berlin zeitweise einen jüdischen Freund vor den Nazis, im Luftschutzbunker durften die Kinder dann nichts davon sagen aus Angst vor der Gestapo. Später, in Coburg und Wetzhausen, wo Ballhaus’ Eltern nach dem Krieg ihr kleines Theater betrieben – die Mutter leitete es bis zu ihrem 92. Lebensjahr – saßen am Mittagstisch oft mehr als zehn Leute: „Familie und Schauspieler zusammen, das hat mich geprägt“, sagt Ballhaus, längst Opa, dessen Kinder und Enkel meist in Amerika sind.

Sein Leben würde man wohl als Romanze verfilmen. Da passt es gut, wenn Ballhaus zugibt, dass die Liebe ihm als „Filmstoff angenehmer als alles andere ist“. Er lächelt. Man muss wissen, dass er nach dem Tod seiner ersten Ehefrau, mit der er 48 Jahre verheiratet war, noch mal eine zweite Liebe traf. 2011 heiratete er die Regisseurin Sherry Hormann, mit der er 2013 auch seinen letzten Film, „3096 Tage“, drehte. Michael Ballhaus sagt: „Ich bin sehr gerne romantisch.“

Armin Lehmann

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