Tom Liwa und die Flowerpornoes: Namen sind Schall
Die Flowerpornoes kehren nach elf Jahren mit einem betörenden Rock-Album zurück.
Der Duisburger Songpoet Tom Liwa hat die Angewohnheit, auffallend oft Lieder über reale Menschen zu schreiben. Da geistern „Liane“, „Sophia“, „Tom“, „Julianastraat“, „Markus Steinebach“, „Kylie und Jochen“ durch sein Repertoire. Es sind meist hingebungsvolle Würdigungen eines Mannes, der sagt, wie viel ihm die anderen Menschen bedeuten, wie sie ihn inspirieren und weiterbringen, auch wenn sie ihn enttäuschen. Jochen enttäuscht ihn. Gemeint ist Musikerkollege Jochen Distelmeyer, dem er auf seine charmant-hintergründige Weise beizubringen versucht, dass zwischen ihm und Popstar Kylie Minogue gar kein so großer Unterschied besteht, wie er vielleicht findet. Der ganze intellektuelle Überbau im Blumfeld-Kosmos geht nämlich vor der geschlossenen Disko-Tür verloren, wo sich beider Musik verdächtig gleich anhört.
Blumfeld lösen sich ja nun auch auf. Eine Tour noch, dann trennt sich Distelmeyer von sich selbst und geht den Weg, den Tom Liwa schon hinter sich hat. Seit Jahren trüffelt der Sänger und Gitarrist nachdenkliche Soloalben aus dem Erdreich seiner Ruhrpott-Existenz – und berechtigt so jedes Mal eine kleine, aber treue Gefolgschaft, ihn für den größten Liedermacher deutscher Sprache zu halten. Er habe, gestand der melancholische Musiker mit dem Knautschgesicht einmal, Ruhm nie gewollt. Die Überhöhung der eigenen Person zum kollektiven Ereignis hätte seinem Ego bestimmt auch nicht gutgetan. „Ich war von Anfang an auf einen hübschen kleinen Kultstatus aus.“ Was er geschafft hat.
Doch das Alte will nicht vergehen. Mit der Veröffentlichung eines neuen Flowerpornoes-Albums kehrt Liwa nach elf Jahren Einzelgängertum zu seinen Anfängen zurück. Und das ist schon mal an sich eine freudige Überraschung. Denn die Flowerpornoes galten von 1987 an und bis zu dem Zeitpunkt, da sie es nach einer aufzehrenden Tournee versäumten, sich wieder zu verabreden, als eine der wichtigsten ernstzunehmenden Bands in Deutschland. Lediglich ihr antikommerzielles Selbstverständnis und der fehlende Anschluss an eine Szene verhinderten mehr. Heute befindet Liwa: „Ich kann die alten Lieder nicht mehr singen / Der Boden, auf dem ich steh, ist ein anderer / Ich bin nicht mehr der, der all diese Gefühle hatte.“ Vollends erstaunt einen deshalb, wie vollkommen diese Reunionsplatte geworden ist. Sie trägt zwar den ungelenken Titel „Wie oft musst du vor die Wand laufen, bis der Himmel sich auftut?“, aber schon die ersten Zeilen sind wunderbar: „Hier kommen die Jungs mit den Ego-Problemen / Und ihrem Hang zu arroganten Frauen ... Rock’n’Roll“. Hhmm, schnalz!
Dazu windet sich eine grobkörnig verzerrte Gitarre in Breitwandakkorde, sogar ein klassisches Gitarrensolo (!) lässt die Band ihrem Frontmann durchgehen. Aus Milde. Als alte Weggefährten kennen sich Markus Steinebach am Bass, Birgit Quentmeier an den Tasteninstrumenten („immer zu leise“) und Alexandra Giles-Videla, Harmoniegesang und Liwas Lebensgefährtin, einfach zu gut. Auch Drummer Stefan Küpper steht der Clique seit Jahrzehnten nahe. Mit „Apfelkern“ und „Tahiti“ gelingen der reformierten Gruppe dann endlich mal melodienselige Pop-Perlchen.
Aber vor allem ist die CD ein Beispiel für die mitreißende Farbkraft von Liwas Gitarre. Sie scheppert, grummelt, grölt und röhrt wie der Holzprügel Neil Youngs, um im nächsten Moment wie ein Grillenschwarm zu zirpen. Diese mystische Klangemphase wirkt so entspannt und abgeklärt, wuchtig und luftig, dass man die Distanz der Erinnerung jeder Betroffenheitslyrik vorzieht. Auch wenn es eigenartig ist, in „Zahnarzttochter“ dem Drama einer verschmähten Liebe beizuwohnen, das zwanzig Jahre zurückliegt. So könnten Blumfeld klingen, wenn sie nicht den Ballast einer Diskurs-Institution mitschleppen müssten.
Dass sich Liwa und der „Dornboy“ in Hamburg (sowie Tilman Rossmy aus Essen) immer wieder stark – wenn auch uneingestanden – inspirierten, ist kein Geheimnis. Ein Satz wie „die Kontrolle zu verlieren, war der Weg zu dir“ könnte auch in einem Blumfeld-Song deklamiert werden. Aber Liwa singt nicht für die Agora. Dafür ist er viel zu sehr Geschichtenerzähler. So defilieren aus früheren Lebensphasen Song gewordene Gestalten durch verwehende Soundlandschaften. Sie heißen Kerstin Loose oder Nicolas H. Ob es sie wirklich gibt oder je gab? Es wäre schön für sie.
Das Album „Wie oft musst du vor die Wand laufen, bis der Himmel sich öffnet?“ erscheint am 2. März bei V2.
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