Ton Koopman mit der Staatskapelle Berlin: Musikalische Signale aus den Fingerspitzen
Die Staatskapelle macht Pause von Wagner, Bruckner, Strauss - und lässt sich von Tom Koopman durch ein Bach-Konzert führen. Auch der unbekannteste der vier Bachsöhne steht auf dem Programm.
Es ist die schiere Lust, Ton Koopman beim Dirigieren zuzuschauen. Der Bach- und Buxtehude-Spezialist aus Amsterdam und Leiden geht so restlos in der von ihm geliebten Musik des 18. Jahrhunderts auf, dass es ihm unmöglich zu sein scheint, ein Orchester allein mit den Händen zu führen. Alle Glieder des Körpers sind unter Spannung, Ellenbogen, Kopf, Becken und vor allem die Schultern senden mindestens ebenso viele musikalische Signale aus wie die Fingerspitzen.
Die Staatskapelle Berlin, die in diesem reinen Bach-Konzert mal Pause macht von Wagner, Strauss oder Bruckner, folgt Koopman im Konzerthaus mit gespannter Aufmerksamkeit und elegischem Schmelz. Dass sie auch barockes Repertoire draufhat, zeigt sie gleich in der langgestreckten, majestätischen Ouvertüre der Orchestersuite Nr.1 BWV 1066, der sich ungewöhnliche Tanzsätze wie eine Forlane anschließen.
Anna Prohaska mit weißlich schimmernden Höhen
Bis auf Koopman selbst bestückt die Staatskapelle den Abend ganz aus eigenen Reihen, auch Sopranistin Anna Prohaska gehört zum Ensemble der Staatsoper. Sie singt eine von fröhlichen Geigen- und Oboensoli unterlegte Hochzeitskantate, deren Titel „Weichet nur, betrübte Schatten“ (BWV 202) im Vergleich zu manch geistlicher Bach-Kantate wie „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ geradezu als Feier des Lebens begriffen werden darf. In den Arien bleibt Prohaskas Stimme trotzdem seltsam verschattet, in den Rezitativen aber schwingt sie sich in weißlich schimmernde Höhen auf.
Wie zwei Brüder, die sich gegenseitig die Bälle zuspielen, wie traumwandlerische Artisten in der Zirkuskuppel wirken dann Lothar Strauß und Gregor Witt im Doppelkonzert für Violine, Oboe und Streicher BWV 1060. Ein augenöffnender Blick über die barocke Epoche hinaus zum Schluss: Die Sinfonie in B-Dur von Johann Christoph Friedrich Bach, dem unbekanntesten der vier Bachsöhne, die ebenfalls Musiker geworden sind. Komponiert in den 1790er Jahren am Hof des Duodez-Fürstentums Bückeburg, ist diese Sinfonie bereits deutlich im Bewusstsein der revolutionären Neuerungen von Haydn und Mozart entstanden. Man hört es: Im Sonatenhauptsatz, in der Verarbeitung der feurigen Themeneinfälle, im ganzen Gestus, der doch nie epigonal wirkt. Koopman dirigiert das alles mit nie nachlassender Begeisterung, mit einem Enthusiasmus, der nicht abstößt, sondern für sich einnimmt.