Kultur: Mozartopolis
An der Komischen Oper schickt Barrie Kosky die „Zauberflöte“ ins Kino.
Wie wichtig die Musikkulturhauptstadt im Rest der Republik genommen wird? Als die Akademie für Alte Musik Berlin jüngst in München gastierte, seufzte die „Süddeutsche“ in einem 200-Zeilen-Artikel, so eine großartige Truppe hätte man in Bayern auch gerne. Nach dem Auftritt von Simon Rattle mit dem BR-Symphonieorchester Anfang November wollte die „SZ“ den Dirigenten gar zum König Ludwig III. krönen. Und am Freitag dann stimmte das Leitmedium der deutschen Presse seine Leser auf die Premiere der neuen Berliner „Zauberflöte“ ein – mit einem vier Spalten breiten Foto auf der Titelseite! Ein Ereignis von nationaler Bedeutung also. Oder aus Berliner Sicht: eine der zwölf großen Bühnenpremieren des vergangenen Wochenendes.
Sicher, ein wenig gespannt war man schon, wie sich Henrik Nánási als neuer Chefdirigent der Komischen Oper machen würde – wo man den 37-jährigen Ungarn nach einer einzigen Probevorstellung vom Fleck weg engagiert hatte. Mit koboldhafter Gestik stürzt sich Nánási am Sonntag in die „Zauberflöten“-Ouvertüre, entlockt dem Orchester einen schlanken, hellen Mozartklang. Die Musik im flotten Fluss zu halten ist ihm dabei wichtiger, als bereits hier die widerstreitenden Sphären des Stücks – Intellekt und Emotion – akustisch auszuleuchten. Beidarmig dirigierend wird er auch den übrigen Abend souverän Bühne und Graben koordinieren.
Die Hauptrolle aber darf Henrik Nánási bei seiner Einstandsproduktion nicht spielen. Die hat Intendant Barrie Kosky einem Genre zugedacht, das in der Oper eigentlich nichts verloren hat: dem Kintopp. „Zur Hilfe, zur Hilfe, sonst bin ich verloren“, barmt Peter Sonn als Tamino – und steht dabei hinter einem hüfthohen Paravent. Auf diesen werden seine rennenden Beine projiziert, während auf der Leinwand hinter ihm ein Comic-Wald vorbeifliegt. Und da taucht sie auch schon auf, die „listige Schlange“, die den Prinzen verfolgt, wird rasant größer. Schon ist ihr Maul über ihm, da flitzen ein Dutzend Pfeile heran – und mit ihnen saust nun das Ungeheuer über die Bildfläche, von oben nach unten, von rechts nach links, mal der Drache voran, mal die Geschosse, bis das Zeichentricktier schließlich tödlich getroffen zusammensackt.
Das macht unheimlich Effekt. Fünf Minuten lang. Nach einer Viertelstunde ist das Prinzip klar, nach 30 Minuten beginnt jeder zu leiden, der sich nicht auf die zweidimensionale Darreichungsform einlassen mag. Drei Stunden Reizüberflutung: was für eine Tortur! Es gibt keine Bühne, nur diese vermaledeite Wand an der Rampe. Geredet wird nicht, dafür gibt es Texttafeln wie im Stummfilm. Alle Musiknummern der Partitur dagegen werden gesungen. Von Solisten, die weitgehend bewegungslos vor der flimmernden Projektionsfläche stehen müssen.
Barrie Kosky hat sich Suzanne Andrade und Paul Barritt von der Theatergruppe „1927“ ins Inszenierungsteam geholt. Was die beiden Briten an Videoeinspielungen anbieten, ist technisch virtuos gemacht und höchst fantasievoll. Mal expressionistisch, mal Slapstick, mal im Stil der Monty-Python- Animationsfilme der siebziger Jahre. Bilder, die ununterbrochen in Bewegung sind. Stets gibt es irgendwo rotierende Räder, putziges Getier oder fliegende Herzen, die Zauberflöte ist eine Elfe, die großzügig Noten streut, Papagenos Glockenspiel flitzt auf Spinnenbeinen herum.
Eine Inszenierung mit ADHS. Eine Zappelphilipp-Zauberflöte. Und gleichzeitig eine Bankrotterklärung der Regie. Denn die Figuren bleiben so flach wie LCD- Bildschirme, eine Personenführung findet nicht statt, von einer Interpretation der rätselhaftesten aller Opern ganz zu schweigen. Wer meint, dies sei die zeitgemäße Form, Musiktheater zu spielen, der kann sein Bühnenportal gleich zumauern, das Orchester nach Hause schicken und künftig die Liveübertragungen aus der New Yorker Met ausstrahlen.
Weil aber fast durchweg auf hohem Niveau gesungen wird, sollen die zu Beleuchtungsstatisten degradierten Darsteller wenigstens im Abspann genannt werden, in der Reihenfolge ihres Auftretens: Peter Sonn (Tamino), Ina Kringelborn, Karolina Gumos, Maija Skille (die drei Damen), Dominik Köninger (Papageno), Julia Novikova (Königin der Nacht), Maureen McKay (Pamina), Stephen Boving (Monostatos), Christof Fischesser (Sarastro), Juila Giebel (Papagena).
Weitere Vorführungen: 29. November
sowie 3., 8., 14., 22., 26., 31. Dezember
Frederik Hanssen
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