Metropolis: Monster der Moderne
Man erkennt sie sofort, die neu eingefügten Szenen: Kratzer im Bild, schlechtere Auflösung, ein anderes Format, insgesamt eine wesentlich schlechtere Bildqualität. Und dennoch: "Metropolis“ ist rekonstruiert legendärer denn je.
Man erkennt sie sofort, die neu eingefügten Szenen: Kratzer im Bild, schlechtere Auflösung, ein anderes Format, insgesamt eine wesentlich schlechtere Bildqualität. Nein, perfekt ist „Metropolis“ immer noch nicht, auch nicht nach der Restaurierung der Murnau-Stiftung und der Kinemathek. Die Schwächen des 2008 spektakulär in Buenos Aires wiedergefundenen Materials ließen sich auch durch die raffiniertesten Retuschen nicht überspielen. Metropolis bleibt eine Ruine, und der Traum, den Film noch einmal so zu sehen, wie ihn das Berliner Publikum im Januar 1927 im Ufa-Palast am Zoo geboten bekam, bleibt Illusion.
Und trotzdem: Der Film, der am Freitag Abend zeitgleich im Berliner Friedrichstadtpalast und in der Alten Oper in Frankfurt seine zweite Weltpremiere nach über achtzig Jahren erlebte, ist ein Ereignis, wie es in der Filmwelt wohl einmalig sein dürfte. Der berühmteste deutsche Film aller Zeiten hat durch die Rekonstruktion seinen Rhythmus, seine Struktur, auch seine Logik wiedergefunden – wenn man von Logik sprechen kann, bei einem Stoff, der Expressionismus und Neue Sachlichkeit, mittelalterliche Frömmigkeit und Fortschrittsglauben, Zukunftsvision und verschwiemelte Mystik schamlos mischt. Genauso schamlos, wie Gottfried Huppertz die Filmmusik aus einer verfremdeten Marseillaise, Kirchenchorälen und stampfenden Maschinenrhythmen zusammensetzt – das Rundfunk-Sinfonieorchester unter Leitung von Frank Strobel gibt der Musik den ganzen satten, sinfonischen Klang – die Uraufführung ist, neben anderem, auch ein großartiges Konzert.
Was ist nun neu hinzugekommen? Die Cutter um Channing Pollock, die schon 1927, drei Monate nach der Uraufführung, eine um rund dreißig Minuten gekürzte Version für den amerikanischen Markt herstellten, hatten Redundanzen getilgt – und ganze Episoden. Am Überraschendsten: Oft haben sie gerade bei den Actionszenen zugegriffen, die Fritz Lang zu atemberaubender Spannung steigert. Die Kinder zum Beispiel, die allein in der Arbeiterstadt zurückgeblieben sind und von Maria und Freder gerade noch rechtzeitig vor der vollständigen Überflutung aus der Unterwelt geführt werden – sie müssen, in einer dramatischen Szene, einen Luftschacht emporsteigen und treffen oben auf ein verschlossenes Gittertor, während das Wasser bedrohlich steigt. Die Szene wurde geschnitten.
Oder die Figur des „Schmalen“, des Spitzels, den der Unternehmer ansetzt, um seinen Sohn zu verfolgen – sie war in der Schnittfassung fast völlig getilgt. Dabei entfaltet sie Goebbels’sche Dämonie, wenn sie kalt lächelnd verhört, bedroht, intrigiert. Doch auch der Kernkonflikt zwischen Fredersen und dem verrückten Erfinder Rotwang wird erst jetzt wieder verständlich. Keineswegs machen sie gemeinsame Sache gegen die Arbeiter. Ihre Rivalität in der Liebe um die gleiche Frau, der Rotwang einen Andachtsraum eingerichtet hat, macht sie zu tödlichen Feinden, und die ganze Geschichte mit der Maschinenfrau ist eine späte Rache Rotwangs an seinem Rivalen, dem er das Letzte, Liebste, den Sohn nehmen will.
Doch die aussagekräftigste Ergänzung sind die Szenen aus der Vergnügungsstadt Yoshiwara. Hier tobt abends das Nachtleben, in visionär montierten Bildern, eine Mischung aus Walter Ruttmann und Dalí. Da saust eine Klaviertastatur im Rhythmus der Musik durchs Bild, das Roulette-Rad dreht sich schwindelnd schnell, Gesichter, Körper verschmelzen im Tanz. Man sieht das Berlin der späten zwanziger Jahre, ahnt die Weltwirtschaftskrise voraus, in diesem Tanz auf dem Vulkan. Wenn sich die Vergnügungssüchtigen am Ende, als um sie herum alles zusammenbricht, aufmachen: „Kommt, lasst uns sehen, wie die Welt zugrunde geht“, ist darin die Stimmung der späten Weimarer Republik eingefangen.
Wie überhaupt „Metropolis“ in der rekonstruierten Fassung mehr denn je zum einzigartigen Porträt seiner Zeit wird. Alles, worüber sich die Rezensenten schon bei der Erstaufführung erregten, Thea von Harbous pathetische Geschichte von dem „Mittler zwischen Herz und Hand“, die sentimentale Liebesgeschichte, die wilde Mischung aus Kapitalismuskritik und offenkundiger Faszination durch die futuristische Maschinen- und Großstadtwelt, die romantische Mittelalterverklärung, all das tritt in der vollständigen Version eher noch stärker hervor. Und passt genau zu einer Zeit, die zwischen Art Nouveau und Bauhaus, Stefan George und Dada, Großstadtrausch und völkischen Ideen schwankte.
Man wird, egal was man sucht, in „Metropolis“ finden: das „Ornament der Masse“, das Siegfried Kracauer als präfaschistisch diagnostizierte, der entfesselte Mob, der blindlings dem folgt, der gerade befiehlt. Aber auch Kritik an einem Industriezeitalter, das den Menschen als Maschinenfutter verwendet, mit unmenschlichen Arbeitsbedingungen am Fließband – „Metropolis“ wählt dafür das legendäre Bild des Maschinen-Molochs, der wie ein aztekischer Gott Menschen verschlingt. Andererseits Bilder, die aus heutigen Unternehmenszentralen stammen könnten, Bildtelefone und Paternoster, dazu Interieurs aus den Zwanzigern. So ähnelt die Wohnung des Leitenden Angestellten Josephat mit ihren Sofas, Chinoiserien samt Bonsai-Bäumchen den Fotos, die man von Fritz Langs eigener Wohnung am Hohenzollerndamm kennt.
Metropolis Reloaded: das muss man sich vorstellen wie ein Best-Of aus „Jeanne d’Arc“ und dem „Glöckner von Notre Dame“, „Titanic“, „Dr. Caligari“, „Faust“ und „Berlin – Sinfonie der Großstadt“. Kein Wunder, dass sich ScienceFiction-Filme von „Blade Runner“ über „Terminator“ und „Star Wars“ bis „Avatar“ seitdem mit ungebrochener Faszination aus den Metropolis-Motiven bedienten. „Metropolis“ bleibt, auch in fast vollständiger Fassung, ein Pastiche, ein eklektizistisches Meisterstück. Remix als Zeitgeist: Das galt für die Zwanziger. Und ist auch heute wieder aktuell.
Neu sind: das Vergnügungslokal Yoshiwara, „Der Schmale“
in Aktion und die Väterrivalität