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Literatur: Moderne Kolonialherren

Kosovo, Afghanistan, Bosnien: Beqë Cufajs Roman über die Reparatur- und Aufbauprojekte der UN. Der Autor ist einer Spezies auf der Spur, die fast unbemerkt Geschichte schreibt: Leuten, die in Nachkriegs- und Krisengebieten mit enormer Machtfülle ausgestattet werden.

Beim Landeanflug ahnt der Mann aus der Fremde noch nicht, worauf er sich eingelassen hat. So viel ist ihm klar: Gutes will er tun, ein zerstörtes Land aufbauen helfen. Für den deutschen Akademiker hört sich die Uno-Mission spannend an, grandios gar. Er wird ein säkularer Edelmissionar sein, ein aufgeklärter Helfer der internationalen Gemeinschaft in einem Ambiente des Elends. In dem Land „dort unten“, das sein Flugzeug ansteuert, leben ethnisch Zerstrittene, Trauernde, Traumatisierte, heimgekehrte Flüchtlinge.

Aus der Nähe betrachtet ist der deutsche Hochschulpädagoge in Beqë Cufajs Roman „project@party“ selbst ein Flüchtling. Vor dem heimatlichen Stuttgart flieht er, wo seine Ehe zerbrach, nachdem das Paar ein Kind an eine Krankheit verlor. Den Affären mit Studentinnen will er entrinnen, der akuten Sinnleere seines Daseins. Darum hat er sich für die Uno-Mission beworben – er sucht eine Auszeit im Raum des Anderen. Solche wie ihn gibt es zu Tausenden rund um den Globus, hoch bezahlte nomadisierende Experten im Dienst einer höheren Sache.

Am Einsatzort findet der Deutsche eine Stadt aus Plattenbauten vor, darin ein halb orientalisch, halb modern wirkendes Gewühl. Winterliche Kälte herrscht, in den ersten Nächten haust der Novize im schäbigen „Hotel Grand“ ohne Heizung. Beamte des internationalen Apparats jagen ihn von einem Akkreditierungsbüro zum nächsten, bis er nach einer Woche mit den Insignien seiner Macht ausgestattet ist: Uno-ID-Karte, Fahrer und Landrover, Dolmetscher, Motorola-Funkgerät, Büro, Assistentin, Computer mit Internetanschluss, Wohnung mit Wäscheservice. Von nun an wird der Akademiker auch von dem uniformierten Somalier gegrüßt, der vor dem Wächterhäuschen der UN-Zentrale am Ort patrouilliert. Rasch gerät er in den Strudel des babylonischen Sprachgewirrs einer Mission der Vereinten Nationen. Keiner kennt die Landessprache. Auf „meetings“ in Büroräumen und bei „field trips“ ins Umland wird Englisch gesprochen, in Dutzenden von Akzenten. Wann immer sie können, telefonieren und e-mailen die „Internationals“ mit zu Hause, ansonsten genießen sie als lokale Interimsmachthaber ihre Privilegien. Sie kommen aus Mexiko und Sambia, Schweden und Italien, Russland und Amerika. Cufajs Held sucht in diesem Gewirr nach Orientierung. Als Erzähler gibt er in einer Mischung aus intimem Journal und Zeugenbericht Auskunft über sein Leben „dort unten“, rätselnd, zweifelnd, stolz und verloren.

Mit seiner Ich-Erzählung aus der Perspektive eines solchen Experten betritt Cufaj literarisches Neuland. Der Autor ist einer Spezies auf der Spur, die fast unbemerkt Geschichte schreibt: Leuten, die in Krisengebieten mit enormer Machtfülle ausgestattet werde. Auf ihre Art sind sie, so lautet die implizite These, moderne Kolonialherren. Als gebürtiger Kosovo-Albaner mit deutschem Pass könnte ein Schriftsteller wie Cufaj mit diesem Thema ein partikulares Anliegen verfolgen. Aber es geht ihm um mehr. Dass das namenlose Land Züge des Kosovo trägt und der Ort, an dem der namenlose Protagonist landet, an die Kosovo-Hauptstadt Prishtina erinnert, soll den parabelhaften Charakter der Darstellung nicht überlagern. ( Es bleibt eine Koinzidenz, dass am heutigen Montag die internationale Zivilmission aus dem Kosovo abgezogen wird und das Land seine Souveränität erhält.) Gemeint sein könnten auch Afghanistan, Bosnien oder Ost-Timor.

Hier geht es ums Ganze, um das Phänomen moderner Missionsprozesse und deren Akteure. Es geht um das, was in den Nachrichten „Nation Building“ heißt, die gigantischen Aufbauprojekte der Vereinten Nationen, Teil eines historischen Paradigmenwechsels, mit dem ein supranationaler Sozialraum behauptet wird. Dieser Raum fügt sich ein in einen neuen Normenkatalog der Uno, bekannt als „responsibility to protect“, unter Eingeweihten „R2P“ abgekürzt. Wenn ein Waisenkind der Weltgeschichte strauchelt, ein Autokrat seine eigene Bevölkerung massakriert, soll die Weltgemeinschaft am Werk sein, um Anomie in Demokratie zu verwandeln, zur Not mit einer Militärmission, auf alle Fälle mit einer Zivilmission zum Aufbau neuer Strukturen. Ohne Zweifel sind das notwendige, wichtige Konzepte, vollständig im Einklang mit der Charta der Menschenrechte.

Doch wie geschieht das? Pointiert weist Cufajs intensiv recherchierter Roman auf die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Was im Kern erhaben wirkt, zeigt sich in der Praxis ernüchternd, mitunter bizarr. Aus dieser Lücke heraus spricht der Ich-Erzähler. Ausgerechnet ein Autor aus einer „UN-Kolonie“ verleiht dem neokolonialen Protagonisten seine Stimme. Dieser wird vor Ort der für das Bildungswesen zuständigen UN-Einheit zugeteilt, sein Team soll Grundschulen, Gymnasien und Universitäten neu strukturieren. Dass er als Chef dabei Millionensummen verwaltet, imponiert dem Akademiker – und verunsichert ihn. Assistiert von der effizienten Juanita aus Mexico, Paolo aus Italien, dem wortkargen Sven aus Schweden und seinem einheimischen Dolmetscher Abu Beqir versucht er zu verstehen, warum zwei Schuldirektoren aus unterschiedlichen „Ethnien“ einander hassen, warum das Bildungssystem trotz Uno-Mühen noch immer eine „Katastrophe“ darstellt und wer hier wen benutzt, betrügt.

Zum Fluchtpunkt aller wird das Café „Tricky Dick“, wo sich die „Missionare“ treffen und über die Einheimischen und das New Yorker Hauptquartier wettern. Hier wird geflirtet, getanzt, allnächtlich die internationale Party der Vernetzten gefeiert, die Cufajs Roman den Titel gibt.

Als sogenannte „Unruhen“ ausbrechen und der Uno-Mann mit seinem Dolmetscher einige Stunden in einem Gehöft auf dem Land Zuflucht findet, ergreift der Einheimische erstmals das Wort. Bisher hat Abu Bequir beobachtet, jetzt bricht er in einen Monolog aus. Ein Jahrzehnt als Asylbewerber in Deutschland hat er hinter sich, er gesteht die Gewalt gegen eine frühere deutsche Freundin, „beichtet“ seine Zeit bei einer Partisanentruppe. Schließlich wartet er mit einer Bilderbuchkonversion zum Islam auf, die ihm nach dem 11. September Probleme in seinem Job für die „Internationalen“ brachte. Diesen gilt der aktuelle Aufstand, der Deutsche will verstehen, warum. „Man könnte sagen“, räsoniert der junge Mann, „dass sich die Ausländer und die Einheimischen gegenseitig ausnutzen oder sogar missbrauchen.“ Und: „Am wütendsten sind die Leute auf eure Powerpoint- und Partymentalität.“

Erstaunlich gleichmütig nimmt der Deutsche das auf, und während Nato-Patrouillen die Straßen kontrollieren, beruhigt sich das Land. Gleichwohl, die Zweifel sind gesät: „An diesem Morgen begann ich darüber nachzudenken, ob es sich wirklich lohnte, die Arbeit in diesem Land hier unten fortzusetzen.“

Atmosphärisch erinnert Cufajs Roman, von Joachim Röhm hervorragend ins Deutsche übersetzt, an Graham Greenes „Der stille Amerikaner“, auch an Joseph Conrads „Herz der Finsternis“. Allerdings ist der deutsche Akademiker in Cufajs Kolonialroman weder so empathisch wie Greenes Alden Pyle noch so dämonisch wie Conrads Mister Kurtz. Diesem Uno-Mann, der sich hier unten mit einer diensteifrigen Forensikerin im Bett wiederfindet, der Ehrgeiz entwickelt, als er einen „Masterplan“ für das Bildungssystem aufstellt, und Anflüge von Korrumpierbarkeit durch die ungewohnte Machtfülle aufweist – diesem Uno-Mann lässt sich im Grunde nichts vorwerfen. Er wirkt auf unheimliche Weise harmlos, auf harmlose Weise unheimlich, weil die viel beschworene UN-Family, zu der er gehört, so über die Maßen dysfunktional erscheint. Die Fragen, die Cufajs Roman aufwirft, weisen über den Ich-Erzähler hinaus, und das macht diesen klassisch erzählten Roman avantgardistisch. Das Buch gehört in die Hände aller, die sich für Konzepte globalen Fortschritts interessieren.

Beqë Cufaj: projekt@party. Roman. Aus dem Albanischen von Joachim Röhm. Secession Verlag, Berlin 2012. 152 S., 19,95 €

Cufaj liest beim Internationalen Literaturfestival am Samstag, 15. 9., 11 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

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