Kultur: Mit leichtem Gepäck
Die Galerie Arndt und Partner begibt sich mit der Künstlerin Sophie Calle auf neue Pfade
Die Geschichte ist obskur. Man kennt das von Sophie Calle. Diesmal hat sich die französische Konzeptkünstlerin von einer Wahrsagerin die Karten legen und dadurch vorschreiben lassen, wohin sie zu gehen hat. So soll sie den nächsten Zug vom Gare du Nord nehmen, wo sie rein zufällig den einstigen französischen Kulturminister Jack Lang trifft, der sie freundlich besorgt nach ihrer Destination fragt. Am Ende verschlägt es die Reisende mit dem leichten Gepäck in das normannische Provinznest Berck, wo sie gleich das nächstbeste Hotel als Quartier nehmen muss, ausgerechnet eine billige Absteige. Von Service, einem angenehmen Aufenthalt keine Spur. Und so geht es weiter, Abend für Abend erhält Sophie Calle neue Instruktionen aus Paris von ihrer ebenfalls fremdbestimmten Reiseleiterin. Atemlos verfolgt der Ausstellungsbesucher die Text-Bild-Leiste und damit die Abenteuer der wagemutigen Französin, die vorgibt, sich selbst zu verlieren, um am Ende an einem ungewissen Ziel anzukommen.
Zum sechsten Mal stellt Sophie Calle in Berlin bei der Galerie Arndt und Partner aus, die seit jeher ein Faible für französische Künstler besitzt. Vor fünf Jahren hatte sie ihre große Retrospektive im Martin-Gropius-Bau. Spätestens seitdem genießt die Calle auch in Deutschland Kultstatus. Den endgültigen internationalen Durchbruch und den Goldenen Löwen von Venedig brachte ihr die Gestaltung des französischen Pavillons, wo sie 107 Frauen – von der Kriminalistin bis zur Fado-Sängerin – die Abschiedsmail ihres Liebhabers interpretieren ließ. Sein lakonischer letzter Satz, „Pass auf Dich auf“, lieferte den Titel für die fulminante Orchestrierung eines abgespaltenen Trennungsschmerzes. Einige Beispiele der überwältigenden Installation sind nun auch in Berlin zu sehen.
Die eigentliche Ausstellung bei Arndt und Partner, die Geschichte einer ferngesteuerten Reise, ist wieder ein Coup, denn meisterlich spinnt die große Erzählerin ihre Fäden. Der Betrachter erfährt nie genau, was bei diesem gewagten Spiel mit der Vorsehung inszeniert ist und was der begnadeten Selbstdarstellerin tatsächlich schicksalhaft widerfährt. Wie nahe diese Experimente das eigene Leben der Künstlerin berühren, verrät die zweite Expedition auf Anleitung von Madame Kristen, der Wahrsagerin. Diesmal muss Sophie Calle nach Lourdes reisen, wo sie sich fragt, ob sie nicht auch ihre unheilbar krebskranke Mutter an den Wallfahrtsort bringen sollte. Diese Gedanken werden begleitet von grotesken Dialogen über die Jungfrau Maria; auf einem Bild präsentiert sich die Künstlerin selbst als Muttergottes mit von Tränen verschmierter Wimperntusche. Darüber leuchtet der Schriftzug „Lourdes“ in Neonschrift.
Diese beiden jüngsten Werke Sophie Calles sind mit den Worten „Wo und Wann?“ überschrieben – ein passender Titel ebenso für die aktuelle Situation der Galerie? Matthias Arndt winkt ab, auch wenn für ihn große Veränderungen anstehen. Ab Sommer hat er seine 800 Quadratmeter großen Ausstellungsräume am Checkpoint Charlie für mehrere Monate der mit der Galerie eng verbundenen Hongkonger Burger-Collection als Showroom versprochen. Er wird sich dann in die halb so große Dependance in der Halle am Ufer hinter dem Hamburger Bahnhof zurückziehen, wo er seit Mai 2007 eine Außenstelle unterhält.
Macht sich also die Finanzkrise massiv bemerkbar? Denn auch das New Yorker Büro gibt es seit Ende 2008 nicht mehr, die Zweitgalerie in Zürich fährt ihren Betrieb auf zwei Ausstellungen jährlich herunter, die eigene Mitarbeiterin in Beijing ist ebenfalls nicht mehr nötig. Aber nein, erwidert der 40-jährige Galerist. Das habe er sich alles schon vorher überlegt, bevor auch ihn die Misere kalt erwischte. Seine Paralyse aber währte nur eine Woche, erzählt er, dann besann er sich auf den ohnehin gefassten Plan: Konzentration der Kräfte in Berlin, „Verdichtung“. Dass er seine Ausstellungsfläche vor Ort vorübergehend halbiert, ja auf ein Drittel reduziert, passt trotzdem gut ins Konzept. Noch ist ungewiss, wann sein Galerieneubau ebenfalls auf dem Gelände hinter dem Hamburger Bahnhof fertig sein wird; der verzögerte Baubeginn soll nun im Sommer sein. Im Laufe der nächsten Monate wird man sehen, ob Arndt und Partner vorübergehend zum Checkpoint Charlie zurückkehrt oder gleich von der Halle am Wasser in den Neubau mit 800 Quadratmetern Ausstellungsfläche umzieht.
Wenn sich eine der führenden Galerien wie Arndt und Partner aber in ihrem Radius reduziert, in der Stadt von A nach B umzieht, dann gibt es Geraune. Denn der global player gehört zu den Mitbegründern der Legende von der Kunstkapitale Berlin. Er habe schließlich die erste West-Galerie im Osten der Stadt begründet, 1994, in den Hackeschen Höfen, darauf besteht Matthias Arndt. Von dort folgte der Umzug in die Auguststraße. Als es dort durch das Laufpublikum zu betriebsam wurde, ging es weiter zum Checkpoint Charlie, dem besten Kunstquartier in der Stadt, wie Arndt den eigenen Umzugsplänen zum Trotz erklärt. Nur jetzt müsse mal wieder Veränderung sein. Mag sein, dass sich auch ein Hans Dampf wie Matthias Arndt nach 15 Jahren permanenter Vergrößerung wieder nach den Kernaufgaben eines Galeristen zurücksehnt – der Beschäftigung mit den Künstlern – und die Lasten der Logistik hinter sich lassen will. „Die Hälfte unserer Kosten entstehen extern, durch Transport und Produktion“, hat der Bankkaufmann und studierte Kulturmanager ausgerechnet, an diesem Punkt will er reduzieren. Außerdem sollen weniger Messen beschickt, die Laufzeit der einzelnen Ausstellungen soll verlängert werden.
Also bitte, das alles klingt doch nach Krisenmanagement. „Nicht Krise“, verbessert der Galerist, „das hört sich zu negativ an. Ich nenne es lieber die neue Situation.“ Und die habe auch ihr Gutes, ergänzt er. Von der Schwäche des Marktes könnten die Institutionen profitieren, die sich gerade in Berlin immer von den starken Galerien abgehängt fühlten. An der Nationalgalerie, in den Kunst-Werken, im Haus am Waldsee, beim Neuen Berliner Kunstverein arbeitet eine neue Generation. Die Ausstellungshäuser bekämen zwar nicht doppelt so viel Geld, aber auch nicht weniger, was in Zeiten der Finanzkrise ungleich mehr zählt.
Und als wollte er es noch einmal allen zeigen, bevor im Sommer – nach einer Show mit Gilbert und George – der Betrieb in der Halle am Ufer zusammenschnurrt, weitet der heimgekehrte Galerist mit seiner heutigen Eröffnung den Horizont: Berlin – Beijing – Moskau – Paris. Neben der Pariserin Sophie Calle stellt auf der zweiten Ausstellungsebene am Checkpoint Charlie der russische Künstler Erik Bulatov aus, in der Halle am Wasser Shi Xinning aus Peking. Daran wird man sich erinnern.
Arndt und Partner, Gallery Checkpoint Charlie Zimmerstr. 90-91, bis 14. März, Gallery Hamburger Bahnhof, bis 21. Februar. Eröffnung heute 12-18 Uhr.
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