Berliner Episoden: Mit Komik gegen den Großstadtblues
Tagesspiegel-Kolumnist Harald Martenstein denkt bei Tim Dinters Berlin-Comics, die es jetzt als Sammelband gibt, an Woody Allen, John Lennon und Nana Mouskouri. Hier erklärt er, wieso.
Es sind Geschichten über zwei Freunde, Mann und Frau, zwei Großstadtmenschen, zwei Mitglieder des freischwebenden Medienprekariats, zwei Mitt- bis Enddreißiger in der allerletzten Endphase der Jugend, zwei Partygeher und Partnersucher. Mit anderen Worten, es sind Geschichten über Berlin-Mitte, Prenzlauer Berg, Kreuzberg und Friedrichshain.
Tim Dinter bedient sich da, wie er zugibt, aus seiner Biographie. Er ist, von irgendwo, 1994 nach Berlin gekommen, wie wir alle, er ist angeblich 39 Jahre alt, was wir wohl alle angeblich sind, und er muss sich dafür, dass er sie künstlerisch ausbeutet, bei seinen Freunden entschuldigen - das muss jeder irgendwann.
Über diesen komischen gezeichneten Geschichten liegt ein, manchmal fast unsichtbarer, Schleier der Melancholie, deshalb sind sie so gut. Komik ist das beste Gegengift, wenn der Großstadtblues dich hat. Es kommt alles vor, die Schlaflosigkeit, der Geldmangel, die Neurosen, das Elend der Raucher und der Singles, das Verdauungsproblem, das Praktikum und der Heizpilz. Oft steht im Hintergrund ein aufgeklappter Laptop. Sie ist im Nehmen übrigens härter als er. Sie ist schon eine echte Berlinerin, mit großer Schnauze, Wohlstandskind dagegen neigt ein bisschen zu Selbstmitleid. Über allem: Berlin, das dich fertig machen kann, vor allem im Winter, und von dem du, wenn du erst einmal da bist, trotzdem nie wieder loskommst.
Dinters erster Lieblings-Comic hieß »Tim und Struppi«, sein Stil hat immer noch etwas davon. Ausgangsmaterial für seine Stadtszenen sind fast immer Fotos. Er malt sie ab, ganz altmodisch, mit Stift auf Papier, scannt diese Bilder, färbt sie am Computer ein, und bevölkert das reale Berlin mit den Geschöpfen seiner Phantasie.
Bei Großstadtneurotikern denkt jeder natürlich sofort »Woody Allen«, bei diesen beiden denkt man vielleicht eher »John Lennon« und »Nana Mouskouri«, eine gewisse Ähnlichkeit ist zweifellos da. Wer die Comics als Serie aus dem Tagesspiegel kennt, wird hier etwas Neues entdecken, dass sie nämlich, aneinandergereiht, eine große Geschichte ergeben, einen inneren Zusammenhang. Die Charaktere entwickeln sich. Die zentrale Frage, ob diese beiden »besten Freunde« sich am Ende kriegen, so richtig, kann nur Tim Dinter beantworten. Ich würde es begrüßen.
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