Kultur: Mit glühenden Kohlen jonglieren Wie Argentinien an die Militärdiktatur erinnert
Das „Dachau Argentiniens“ liegt in einem eleganten Wohnviertel von Buenos Aires. Vor dem Eingangstor eine mehrspurige Straße, gegenüber schlank in den Himmel gezogene Hochhäuser.
Das „Dachau Argentiniens“ liegt in einem eleganten Wohnviertel von Buenos Aires. Vor dem Eingangstor eine mehrspurige Straße, gegenüber schlank in den Himmel gezogene Hochhäuser. Von den Balkons überschaut man das umzäunte, mit viel Grün versehene Gelände der Escuela Superior de Mecánica de la Armada, die berüchtigte ESMA. Während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 wurden in der Marineschule Tausende Menschen gefoltert, vergewaltigt und umgebracht. Manche der Häftlinge betäubte man, bevor man sie aus Hubschraubern in den nahe gelegenen Rio de la Plata warf. Jungen Müttern stahlen die Soldaten die Säuglinge und gaben sie an Militärfamilien weiter. Dann ermordete man die Frauen.
Die ESMA war nur eines von mehr als 300 geheimen Folterzentren in Argentinien. Doch sie steht stellvertretend für den Unterdrückungsapparat, dem schätzungsweise 30000 zumeist junge Menschen zum Opfer fielen. Während der argentinische Staat sich zwei Jahrzehnte lang weigerte, die Verantwortung für die Taten zu übernehmen und lieber Amnestiegesetze für die Militärs erließ, kam im letzten Jahr der überraschende Schwenk. Am 24. März, dem Jahrestag des Putsches, entschuldigte sich Argentiniens neuer Präsident Néstor Kirchner öffentlich für den „Staatsterrorismus“. In einer feierlichen Zeremonie schloss er die ESMA und kündigte die Einrichtung eines Erinnerungsmuseums an, des „Museo de la Memoria“.
Seitdem erlebt Argentinien eine Grundsatzdebatte. Auf der einen Seite warnen mit der Diktatur verbundene bürgerliche Kreise und Teile der katholischen Kirche davor, alte Wunden aufzureißen. Auf der anderen Seite streiten Opfer, Historiker und politische Aktivisten darüber, was man mit der ESMA anfangen solle. „Die Geschichte der Militärdiktatur erzählen, ist, wie mit glühenden Kohlen jonglieren“, sagt die Journalistin Lila Pastoriza, die die Folterkeller der ESMA überlebte. „Viele der Protagonisten von damals sind noch am Leben.“
Ehemalige Gefangene und deren Angehörige wollen die ESMA möglichst unverändert erhalten. Andere sehen gerade darin die Gefahr der Trivialisierung. Die Soziologin Elisabeth Jelin beschäftigt sich seit zwei Jahrzehnten mit „Erinnerungskämpfen“. Sie glaubt, dass „der politische Kontext der Diktatur in den Hintergrund geraten ist, weil der Menschenrechtsdiskurs nur noch gute Opfer und böse Täter zulässt“. Es seien über Jahrzehnte die Angehörigen der Opfer wie die „Mütter des Plaza de Mayo“ gewesen, die gegen das Stillschweigen gekämpft hätten. „Aus ihrem moralischen Verdienst leitet sich aber kein Erinnerungsmonopol ab.“ Sie schlägt ein strikt historisches Museum vor, in dem die Epoche dokumentiert werden soll, „ohne den Besuchern eine Sicht aufzuzwingen“.
Linke Gruppen lehnen die Museumsidee rundheraus ab. „Wenn Du willst, dass etwas vergessen wird, dann stell’ es in ein Museum“, sagt der 25-jährige Rama. Er ist ein Wortführer der Gruppierung HIJOS, die die Namen und Adressen ehemaliger Folterer recherchiert und öffentlich macht. Dass das Museum kommt, ist aber beschlossene Sache. Die Frage ist wann. Auf dem 17 Hektar großen ESMA-Gelände stehen 34 Gebäude, die gestaltet werden wollen. Doch der Staat hat kein Geld.
Die 39-jährige Kunsthistorikerin Florencia Battiti koordiniert das zweite große argentinische Erinnerungsprojekt: den „Parque de la Memoria“; er entsteht zurzeit am Ufer des Rio de la Plata. Obwohl er die erste Gedenkstätte für die Opfer der Militärdiktatur ist, gab es kaum Kontroversen. „Das mag daran liegen, dass unser Ansatz eher künstlerisch ist“, vermutet Battiti. In den Park integriert werden die Arbeiten von fast zwanzig internationalen Bildhauern. Der Konsens, dass der Staat während der Diktatur Verbrechen beging, formiert sich erst langsam. Ende April wurde in der Kleinstadt Bragado das Kunstwerk „Buena Memoria“ des Fotokünstlers Marcelo Brodsky zerstört. Gegenüber der Schule, in der die Ausstellung zu sehen war, liegt die Polizeiwache von Bragado. Doch die Polizisten ignorierten die Anrufe der Schulleitung.
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