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Tänzerin Johanna Lemke baut Sandburgen auf der Baustelle vor dem Berliner Schloss
© MS Schrittmacher

Performance für Touristen in Berlin: Mit der Rikscha zu den schönsten Baustellen der Stadt

Choreograph Martin Stiefermann lädt zu einer Rikscha-Tour durch Berlin. Sie führt nicht zu Touristen-Hotspots, sondern zu den Krisenorten der Hauptstadt - Berlins Baustellen.

Wie peinlich ist das denn? Sich in einer Rikscha durch Berlin kutschieren zu lassen. Das Gefährt, ein Relikt aus Kolonialzeiten, ist sofort als Touristen-Vehikel auszumachen. Bei der Rikscha-Tour, zu der Choreograf Martin Stiefermann einlädt, hat man immerhin die Gewissheit, dass hier gut trainierte Tänzer in die Pedale treten. Zugegeben: Es hat durchaus seinen Reiz, im gemächlichen Tempo durch Berlin zu zockeln und sich ganz den Sinneseindrücken zu überlassen.

„Places & Traces“ ist freilich keine touristische Tour. „Wir haben uns gefragt, an welchen Orten die Krise in dieser Stadt sichtbar ist“, erzählt Stiefermann. Der Berliner Choreograf und seine Kompanie MS Schrittmacher beschäftigen sich schon länger mit der Finanzkrise. In der Performance „Gold“ ging es etwa um das „Virus Gier“.

Zwei Jahre dauerten die Vorbereitungen für die Stadt-Tour, da zahlreiche Videos gedreht wurden – auch auf der Schlossbaustelle, als da noch die Bagger zugange waren. Was als Berliner Krisenort gelten kann, ist Definitionssache. Diese Tour führt bewusst nicht an soziale Brennpunkte, sondern durch die Mitte Berlins. Acht Stationen zwischen Alexanderplatz und Reichstag werden angesteuert.

Stiefermann, der bei der Premiere selbst strampelt, verliest als erstes eine Passage aus der berühmten Rede von Christa Wolf vom 4. November 1989 – und erinnert daran, dass der Alexanderplatz eine lange Tradition hat als Ort von Demonstrationen und Aufständen. Mit Tablet kann der Gast sich ein Video anschauen: Der Tänzer Jorge Morro steht mit einem NO-Schild mitten auf dem Alex – gegengeschnitten ist ein Tanz der Verneinung. Die Reaktionen der Passanten. In kurzen Texten werden Fakten und Zahlen nachgereicht. Sein Urteil soll der Gast sich selber bilden.

Die zweite Station: das Rote Rathaus. Im Video sieht man Stiefermann selbst: Mit ausgebreiteten Armen segelt er über den Asphalt, gerät ins Trudeln und prallt gegen die Wand. Nach dem Crash ist ein Ausschnitt aus einem Interview mit Martin Delius (Piraten-Partei), dem Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses BER, zu hören. Insgesamt wurden am BER über 150 000 Defekte festgestellt, davon 85 000 ernsthafte, wie man erfährt. Ein pikantes Detail, das vor Kurzem durchsickerte: Nur der Erhalt des Status Quo der Baustelle kostet pro Monat bis zu 35 Millionen Euro, behauptet Delius.

"Hat der Reichtum hier sich tot gebaut?"

Danach wird ein weiteres Millionengrab angesteuert: das Berliner Schloss. In dem lustigsten Video der Tour stapft Johanna Lemke im Rokoko-Kostüm und Helm über die Baustelle, baut mit Förmchen ein Schloss im Sand und verbuddelt jede Menge Geldscheine. In dem Gedicht von Karl Mayer, verfasst Mitte des 19. Jahrhunderts, heißt es: „Hat Reichtum hier sich tot gebaut? Welch ödes Menschentun! Mir graut.“

Bis zur nächsten Monsterbaustelle ist es nicht weit: Die Sanierung der Staatsoper kostet 160 Millionen Euro mehr – 11.622 Künstler könnten durchschnittlich ein Jahr davon leben, rechnet unser Führer vor.

An der Schuldenuhr in der Französischen Straße kommt uns ein röhrender Maserati entgegen. Die rosa Wölkchen des Abendhimmels lassen sich aber in einer Rikscha viel besser betrachten.

Während man an den entstehenden Protzbauten, den Monumenten der Gigantomanie vorbeischaukelt, wird man in knappen Texten über die soziale Ungleichheit in Deutschland aufgeklärt. Und die Videos kommentieren spöttisch die neue Verschwendungssucht. „Places & Places“ nimmt Kurs auf so manchen Stein des Anstoßes. Danach blickt man mit anderen Augen auf die Stadt.

Bis 1. Oktober, Mi-So von 15 bis 20 Uhr, Tickets unter (0170) 506 27 44.

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