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Kultur: Mit der Bahn zum Badesee

Die Normandie feiert mit zahlreichen Ausstellungen das „Festival des Impressionismus“ – eine Rundreise.

„Sie haben Talent, das sieht man gleich“, soll der Maler Eugène Boudin den damals 17-jährigen Claude Monet ermutigt haben. Das war in Le Havre, der Hafenstadt an der Mündung der Seine, in der Monet (1840–1926) aufgewachsen war. Fünfzehn Jahre später, 1872, schuf Monet, der sich längst in Paris niedergelassen hatte, ein Bild in Le Havre, das er „Impression – Sonnenaufgang“ nannte. Er reichte es zur ersten Ausstellung einer Künstlervereinigung ein, die keinen Namen trug und die vor allem einte, dass die Bilder ihrer Mitglieder vom offiziellen „Salon“, der Pariser Leistungsschau und Verkaufsausstellung, regelmäßig abgelehnt wurden.

Der Rest ist Geschichte: 1874 wurde besagte Ausstellung im großzügig bemessenen Atelier des Fotografen Nadar eröffnet, mit der der Begriff „Impressionismus“ in die Welt kam – geprägt anhand des Gemäldes von Monet, das die Schemen von Segelschiffen zeigt und mittendrin eine glutrote Sonne, deren Schein sich im Wasser spiegelt.

Wasser, Spiegelungen und Lichtreflexe, das sind Grundelemente der impressionistischen Malerei. Und Fluss, Hafen, Meer, weite Wasserflächen, das alles sahen die Impressionisten in der Normandie. Die war von Paris aus seit den frühen 1850er Jahren bequem mit der Eisenbahn zu erreichen, und immer wieder fuhren die Impressionisten ins mittelalterliche Rouen, zum Hafen Le Havre, in die Badeorte weiter westlich an der Küste oder zu den Felsen von Étretat. Merkwürdig genug, dass diesem doch zentralen Aspekt des Impressionismus, dieser eigentlich zu Tode gerittenen und doch vom Publikum unverdrossen geliebten Kunstrichtung, bislang kaum eine eigene Untersuchung gewidmet worden ist.

Das holt jetzt in großem Maßstab das „Festival des Impressionismus“ nach, das die großen Museen der Normandie zum zweiten Mal nach 2010 ausrichten. Es geht weniger um Lokalpatriotismus als vielmehr um den Kern dessen, was impressionistische Malerei genannt werden kann und was sich bei näherem Hinsehen in die Vielzahl der Individuen und Malstile auffächert, die unter dem populären Dachbegriff gefasst werden.

Rouen, wo Monet in einem Saal die gegenüberliegende Kathedrale in einer Bildserie in unterschiedlichem Tageslicht festhielt, zeigt in seinem Museum der Schönen Künste die Zentralausstellung unter dem Titel „Blendende Reflexe“. Die Ahnenschaft der niederländischen Seestücke, die in der Person des Malers Barthold Jonkind bis in die Mitte des 19. Jahrhundert reicht, wird dargelegt. Dann ihr Einfluss über den erwähnten Boudin auf den jungen Monet. Der ging denn auch 1872 nach Amsterdam und malte Grachten. Die allmähliche Scheidung von Objektwiedergabe und Malerei des Lichts, die die Entwicklung des Impressionismus kennzeichnet, wird anhand der Wasserbilder überzeugend dargelegt.

Ein wesentliches Plus der Ausstellung in Rouen ist die punktuelle Einbeziehung der Fotografie. Gustave Le Gray (1820–1884) schuf bereits 1856 Bilder aus zwei Aufnahmen mit unterschiedlichen Belichtungszeiten, die er übereinanderkopierte und die so einen perfekten Eindruck der Stimmung über mond- oder sonnenbeschienenem Meer erzeugen. Die Ausstellung in Rouen macht deutlich, dass Fotografie und Malerei sich in einem Wettlauf befanden. Ist die Fotografie Kunst oder aber Dienerin derselben, fragte bereits Charles Baudelaire, der scharfsinnige Kritiker, der die Vermischung der Gattungen als Merkmal des Impressionismus hervorhob – zu einer Zeit, als die Académie des Beaux-arts an der hergebrachten Hierarchie von Historienbild über Porträt und Landschaft ebenso stur wie verzweifelt festhielt.

Die Impressionisten eint – mehr, als jede stilistische Übereinstimmung – das Interesse an den alltäglichen Aspekten des Lebens. Am Gewöhnlichen. Am Wasser eines kleinen Flusses, in dem Ruderboote schwimmen, wie bei Gustave Caillebotte. An der Eisenbahnbrücke von Argenteuil, einem bei den Impressionisten beliebten Örtchen an der Seine, noch im Weichbild der Stadt Paris, die sich mit ihren Fabriken und Schornsteinen ins Bild schiebt wie bei Monet. Alfred Sisley, der Engländer, malt die Seine und ihre Dörfer ohne jede Hierarchisierung, einfach wie sie sind.

So malt auch und insbesondere Camille Pissarro (1830–1903), der einzige Maler übrigens, der an allen acht Ausstellungen der Impressionisten zwischen 1874 und 1886 teilnahm. Pissarro wird stets ein wenig unterschätzt, vielleicht, weil er so undogmatisch ist und an der Wiedergabe der Wirklichkeit stärker festhält als insbesondere der von ihm bewunderte Monet. Dabei entspricht Pissarro der Grundströmung der französischen Kultur um und nach der Jahrhundertmitte, für die insbesondere die Literatur einsteht: die unbedingte Darstellung der Realität. So malt Pissarro den Hafen von Le Havre während der Erweiterungsarbeiten, mit Zaun und Aushub, und er schreibt seinem Sohn (und bevorzugtem Briefpartner), dass das „sehr wichtig“ sei „vom historischen und dokumentarischen Standpunkt“.

Zu sehen ist das im Museum von Le Havre, das nach dem Kulturminister de Gaulles benannt ist, André Malraux, der in den Städten der französischen Provinz die Maisons de la culture einführte. Gerade das Werk Pissarros ist geeignet, den Blick auf den Impressionismus zu justieren: als eine Malerei der Wirklichkeitswiedergabe und der wissenschaftlichen Erforschung des Phänomens des Lichts.

Die eine Generation jüngeren Neo-Impressionisten trieben diese Erforschung mit ihrer an den Erkenntnissen des Chemikers Chevreul geschulten Farbtheorien auf die Spitze. Paul Signac (1863–1935) ist die Ausstellung des Musée des Impressionismes in Giverny gewidmet, dem Örtchen des späten Monet mit seinen Seerosen. Signac zerlegte die Farbe und setzte sie Punkt für Punkt auf die Leinwand , auf dass sie erst im Auge des Betrachters zu einem ganzheitlichen Bild verschmelze. Die Ausstellung in Giverny führt die Bemühungen dieser Pointillismus genannten Richtung anhand der Farbscheiben von Chevreul und der Schriften Signacs vor, in denen der Künstler darauf beharrt, die „Teilung“ der Farben (in ihre Grundbestandteile) sei „eher eine Ästhetik als eine bloße Technik“, sie sei ein „System der Harmonie“.

Diese Harmonie haben die Impressionisten in ihren Bildern tatsächlich geschaffen, allerdings weniger durch Theorie als durch Beobachtung der Natur. Durch eine Beobachtung jedoch, die sie radikal subjektiv interpretierten – als das, was auf die Netzhaut des Einzelnen trifft. Dass die Impressionisten wie Monet „Talent“ haben – um das Mindeste zu sagen –, stellten sie insbesondere am Thema des Wassers unter Beweis. In den Museen der Normandie ist das zu sehen, schöner als jemals zuvor.

Rouen, Le Havre, Giverny u. a., bis 29. September. Alle Informationen unter www.normandie-impressionniste.fr

Bernhard Schulz

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