zum Hauptinhalt

Ehrung: Micha Ullman erhält den Moses-Mendelssohn-Preis

Ullmann ist der erste bildende Künstler, der den vom Senat gestifteteten Preis "zur Förderung der Toleranz" bekommt. Bekannt wurde er vor allem für sein Mahnmal zur Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz.

Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz kam nicht umhin, bei der Verleihung des Moses-Mendelssohn-Preises an Micha Ullman auf ein tagespolitisches Thema einzugehen – wird der Preis doch „zur Förderung der Toleranz gegenüber Andersdenkenden und zwischen Völkern und Religionen“ vergeben. Thilo Sarrazin also, sagt Schmitz im Wappensaal des Roten Rathaus, sei ein gebildeter Zeitgenosse, „der sich völlig verrannt hat“. Ihm fehle jedes Fingerspitzengefühl.

Das Gegenteil ist Micha Ullman. Seine Kunst ist leise, ebenso sein Auftritt. Als Schmitz ihm die Urkunde überreichen will, muss er ihn mehrmals auf die Bühne bitten. Ullman ist der erste bildende Künstler, an den die 1979 vom Senat gestiftete Auszeichnung, verbunden mit 10 000 Euro Preisgeld, geht. Der Bildhauer hat Berlin geprägt, mehrere Installationen im öffentlichen Raum stammen von ihm. Darunter der am Jüdischen Museum aufgestellte stählerne Kubus „Niemand“. Noch nicht realisiert sind seine „Stufen“ in der St.-Matthäus-Kirche am Kulturforum. Dort wird er den Boden öffnen und Treppen hinabführen lassen ins Nichts. Außerdem soll Ullman ein Denkmal für den jüdischen Aufklärer Moses Mendelssohn schaffen und will am Standort von dessen einstigem Wohnhaus Fassade und Fenster in den Boden ritzen.

Bekannt wurde der in Tel Aviv geborene Bildhauer vor allem für sein Mahnmal zur Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz. Thomas Lackmann, Vize-Vorsitzender der Mendelssohn-Gesellschaft und Jurymitglied, betonte in seiner Laudatio, die Auszeichnung sei kein Beruhigungsmittel für den Künstler dafür, dass seine unterirdische Bibliothek bei Veranstaltungen regelmäßig überbaut wird. Inzwischen hat auch der Berliner Kulturausschuss gefordert, die Fashion Week nicht mehr auf dem Bebelplatz abzuhalten.

Ullman, Sohn deutscher Juden, studierte in Jerusalem und London. Seitdem hat er eine eigene Form der Erinnerungskultur entwickelt. 1972 beginnt er mit seinen Grabungen. Er schaufelt Löcher in ein palästinensisches Dorf und einen Kibbuz, entnimmt an beiden Orten Erde und tauscht sie aus. „Gräbt man ein Loch, erweitert man den Himmel“, hat Ullman einmal gesagt. In Stuttgart, wo er an der Akademie lehrte, hat er eine halbkugelförmige Mulde mit vier Zentimeter Durchmesser und zwei Zentimeter Tiefe in eine Betonplatte eingelassen. Bei Sonne wird sie zur Sonnenuhr, bei Regen füllt sie sich mit Wasser und spiegelt die Wolken wider. Minimente nennt er solche Eingriffe, die durch kleinste Veränderungen maximale Sinneseindrücke hervorrufen können. Alles andere wäre Micha Ullman zu plakativ. Anna Pataczek

Zur Startseite