Comic-Biographie: Mensch Nietzsche
Zwei Franzosen haben sich dem Philosophen mit einem Comic genähert. Das Ergebnis ist ein Fest für die Augen - aber inhaltlich eine vertane Chance.
Der französische Denker Michel Onfray (52) ist ein großartiger Popularisierer, einer der das Schwierige einfach macht, das Verschrobene verständlich, das intellektuell Verstiegene alltagstauglich. 2002 gründete er in Caen eine Privatuniversität, die jedem ohne Zulassungsbeschränkung und Studiengebühren offen steht. Zuletzt auf Deutsch erschien von ihm das Sachbuch „Anti-Freud – Die Psychoanalyse wird entzaubert“.
Der Zeichner Maximilien Le Roy (25) seinerseits ist weiß Gott mehr als nur ein grafisches Riesentalent. Er zählt trotz seiner jungen Jahre bereits zu den viel beachteten Vertretern der illustrierten Reportage. Wenn die beiden sich zusammen tun, um die Philosophie aus ihrem Ghetto zu befreien und die Biografie Friedrich Nietzsches als Bio-Doku-Comic unters Volk zu bringen, dann erwartet der Leser nichts Geringeres als einen großen Wurf.
Allein: Er wird enttäuscht. Grafisch ist der 128-Seiten-Band zwar ein Fest für die Augen. In kraftvoll expressiven Bildern und mal flächigen, mal explodierenden Farben begegnet uns Nietzsche als Mensch, leidend, mitfühlend, schwankend zwischen Größenwahn und Selbstzweifel. Aber inhaltlich bleibt auf der Strecke, wer sich nicht einen Kenner des deutschen Denker-Titanen nennen darf. Ein ungewöhnliches Porträt für Insider – das ist das Werk, ja. Aber eine brillante Einführung für solche, die es werden wollen, ist es mitnichten.
Was Nietzsche dachte? Wir erfahren es nicht
Am Anfang stand ein Drehbuch, das Onfray für einen Kino-Film über Nietzsche, den großen Zertrümmerer, den Umwerter aller Werte, den selbsternannten Philosophen mit dem Hammer, drehen wollte. Zu dem Film kam es nicht. Doch Maximilien Le Roy bekam das Skript in die Hände, war gefesselt und machte sich auf die Spuren des Autors von „Also sprach Zarathustra“, „Ecce Homo“ und „Der Wille zur Macht“.
Le Roy reiste per Zug durch Deutschland, Italien und die Schweiz um erst sich ein Bild des schnauzbärtigen Grüblers zu machen und dann uns mit Bildern ins Bild zu setzen.
Wir erleben Nietzsche mit seiner Mutter, Nietzsche mit Wagner, Nietzsche mit seiner dummen Schwester, die durch Fälschungen in seinem Namen nicht unwesentlich dazu beitrug, dass er als Antisemit und Kriegstreiber galt und vielen noch gilt; wir sehen ihn mit der geliebten Lou Andreas-Salomé; fahren Zug mit ihm, nach Köln, ins Engadin, nach Venedig, Sils Maria, Nizza, Naumburg und Turin, wo er sich, dem Wahnsinn schon sehr nahe, einem geschundenen Droschkengaul an den Hals wirft.
Doch erklärt wird nichts, resümiert, referiert, erzählt wird nichts. Was Nietzsche dachte? Woran sich sein Denken entzündete, welche Quellen ihn inspirierten, was ihn, weniger zu Lebzeiten als nach seinem Tod im Jahr 1900 so wichtig und seine Philosophie so wirkungsmächtig machte? Wir erfahren es nicht. Das ist schade. Eine vertane Chance, Nietzsches Konzept etwa des „Übermenschen“, der radikalen Lebensbejahung oder der „ewigen Wiederkunft“ comicfähig zu machen. Was zuallerletzt Le Roy vorzuwerfen ist.
Michael Onfray, Maximilien Le Roy: Nietzsche, Knaus-Verlag, 128 Seiten, 19,99 Euro.
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