zum Hauptinhalt
Auf der Strecke. Betonbauer Ivan (Tom Hardy) glaubt sein Leben im Griff zu haben.
© Studiocanal

"No Turning Back" mit Tom Hardy: Meisterwerk mit einem Gesicht

Solo mit Betonbauer Ivan - gespielt von Tom Hardy - in der Fahrgastzelle: Mit dem Film „No Turning Back“ ist Regisseur Steven Knight ein grandioser Film gelungen.

Es ist Nacht. Scheinwerfer leuchten die gigantische Grube einer Großbaustelle aus. Einer der Arbeiter verlässt das Areal, schließt sein Auto auf, streift die verdreckten Arbeitsstiefel ab und startet den Wagen. Knapp eineinhalb Autostunden von Birmingham nach London liegen vor ihm – und vor den Zuschauern. Ein Mann. Ein Auto. Eine telefonische Freisprechanlage. Mehr braucht es nicht, um eines der spannendsten Dramen der jüngeren Kinogeschichte in Szene zu setzen.

Schon der Minimalismus des Settings fasziniert, mit dem Regisseur Steven Knight hier zu Werk geht – ungleich mehr aber noch, mit welchen Mitteln er ihn zugleich vergessen macht. Binnen Minuten fächert „No Turning Back“ – in den Gesprächen, die der Betonbauer Ivan Locke (Tom Hardy) übers Autotelefon führt – das Leben eines Mannes auf, das vor dem privaten und beruflichen Kollaps steht. Dabei ist dieser Vorarbeiter einer, der gewöhnlich die Dinge im Griff hat, ein versierter Logistiker, der vorausschauend plant.

Auf diesen Mann ist Verlass. Das weiß sein Chef, der ihm die Verantwortung für die Betonfundamente anvertraut. Das weiß seine Familie, die er – anders als sein eigener Vater – nie im Stich gelassen hat. Und darauf baut auch jene Frau, die nach einem One-Night-Stand in dieser Nacht ein Kind von ihm zur Welt bringen wird. Die Affäre ist der Ausrutscher in Ivans fest sortiertem Leben – und indem er zur Geburt nach London fährt, als die Wehen weit vor dem Termin einsetzen, versucht er, auch zu diesem Fehltritt zu stehen. Nur: Wie wird seine Frau reagieren? Und was, wenn er am Morgen nicht zur Stelle ist, wenn sich 200 Betonmischfahrzeuge an seiner Baustelle aufreihen, weil das Hochhausfundament gegossen werden muss?

Aus dieser schlichten Ausgangssituation entwickelt Knight, bekannt geworden mit Drehbüchern etwa für David Cronenberg („Eastern Promises“) und Stephen Frears („Dirty Pretty Things“) einen atemberaubenden Film. Tom Hardy zeigt enorme Präsenz als Alleinunterhalter, doch auch die nur über Bordlautsprecher zu hörenden anderen Figuren scheinen wie leibhaftig anwesend. In prägnanten Dialogen funkelt der ganze Kosmos von Beziehungen auf. Aufregend und ergreifend zu sehen, wie hier das gesamte Selbstverständnis eines Problemlösers an seine Grenzen gerät. Schade, dass der Verleih dieses Meisterwerk mitten in die WM platziert: Spannender als jedes Fußballfinale ist es allemal.

Cinemaxx, Kant, Kulturbrauerei und Yorck; 

OV im Cinestar SonyCenter;

OmU: FaF, Hackesche Höfe, Rollberg

Martin Schwickert

Zur Startseite