Kultur: Meister und Model
Im Juni wollte er in Berlin sein Museum eröffnen. Helmut Newton zog es in seine Heimatstadt zurück. Jetzt ist der provokante Starfotograf der Reichen, Schönen und Nackten bei einem Autounfall ums Leben gekommen
Die Nachricht ist ein Schock: Helmut Newton ist tot, gestorben in der Nacht zum Sonnabend in Los Angeles an den Folgen eines Autounfalls. Der 83-jährige Starfotograf hatte die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren, als er den Parkplatz seines Hotels verlassen wollte. Man möchte es nicht glauben, denn gerade war er noch in Berlin gewesen, um letzte Absprachen für die Eröffnung seines Museums in der Jebensstraße Anfang Juni zu treffen. In Kürze wollte er wiederkommen, um weitere Ausstellungen vorzubereiten. Und der Schock wirkt nach: Hier stand ein Mensch trotz seines hohen Alters am Anfang eines neuen Lebensabschnitts, an dem so viele teilhaben sollten.
Im Oktober 2003 hatte Newton der Stiftung Preußischer Kulturbesitz seine Sammlung vermacht und sich zugleich mit seiner Heimatstadt versöhnt, die er als 18-Jähriger auf der Flucht vor den Nazis verlassen musste. Wie bei seinem Freund, dem Kunstsammler Heinz Berggruen, der ihn auch angeregt hatte, sein Archiv nach Berlin zu geben, verband sich mit der Vertragsunterzeichnung ein symbolischer Akt. Die Eröffnung des unmittelbar gegenüber dem Bahnhof Zoo gelegenen Museums werde nun weniger ein freudiges Ereignis sein als ein Gedenktag, so gestern der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, gegenüber dem Tagesspiegel.
Das Lebenswerk Helmut Newtons kehrt damit zurück an den Ort, wo es in den Dreißigerjahren seinen Anfang genommen hat. Als Sohn eines wohlhabenden Berliner Knopffabrikanten war Newton zwei Jahre bei der Fotografin Yva in der Schlüterstraße in die Lehre gegangen, bevor er 1938 als Jude nach Singapur fliehen musste, ohne seine Familie und mit wenig Geld in der Tasche. Bei der „Singapore Straits Times“ fand er vorübergehend als Bildreporter eine Anstellung. 1940 emigrierte er weiter nach Australien, wo er sich in Melbourne nach einem fünfjährigen Militärdienst sein erstes Fotostudio einrichtete. In Australien lernte er auch seine spätere Frau June Brunell kennen, die unter dem Namen Alice Springs ebenfalls Karriere als Fotografin machte. Gemeinsam zog das Paar 1956 nach London, ein Jahr später nach Paris, wo Newton zu den wichtigsten Fotografen des Modemagazins „Vogue“ zählen sollte. Wenn er sprach, war diese polyglotte Mixtur aus Deutsch, Englisch, Französisch stets zu hören.
Die im Laufe eines Vierteljahrhunderts für die französische Zeitschrift entstandenen Aufnahmen begründeten seinen Ruf als einen der umstrittensten Modefotografen. Keiner verstand es, so provozierend wie er die Models posieren zu lassen. Offensiv zur Schau gestellte Nacktheit sollte sein Markenzeichen werden. Er entwickelte für die Magazine eine völlig neue Ästhetik, ja einen neuen Begriff von Schönheit, wo bisher die gepflegte, sanft lächelnde Frau die Norm gewesen war. Newton holte die Welt des Geldadels und des Jetset ins Modemilieu, ließ die geschminkten, oft mit nichts als Schmuck bekleideten Models selbstbewusst in edler Kulisse agieren.
1975 begann er seine zweite Karriere als Porträtfotograf der Reichen und Beühmten; mit Honoraren bis zu 50000 Dollar galt er als einer der teuersten Fotografen der Welt. Liz Taylor, Paloma Picasso, Caroline von Monaco, Karl Lagerfeld – sie alle ließen sich ablichten von diesem „masterful imagemaker“, als der er fortan firmierte. Bald schon wurden Galerien und Museen auf Newtons ungewöhnlichen, aggressiven Stil aufmerksam. Seit Mitte der Siebzigerjahre war er international an zahlreichen Ausstellungen beteiligt und wurde durch Publikationen des Münchner Schirmer-Mosel Verlags auch einem deutschen Publikum zunehmend bekannt.
Newton selbst hat sein Werk in die drei Kategorien unterteilt, in Mode, Akte, Porträts. Wobei diese Gattungen bei ihm nie deutlich voneinander zu trennen sind. Er selbst liebte es, die Grenzen bewusst zu verwischen. Zu seinen berühmtesten Bildern gehören denn auch die übergroßen „Big Nudes“, die alle drei Genres in sich vereinigen. Auf Stilettos, mal bekleidet, mal unbekleidet, kommen sie dem Betrachter beinahe einschüchternd entgegen. Bei der großen Berliner Retrospektive des Fotografen im Jahr 2000 in der Neuen Nationalgalerie waren es denn auch diese „Big Nudes“, die den Besucher beim Eintreten in die gläserne Halle des Mies van der Rohe-Baus empfingen.
Doch Newton trieb dieses Spiel der Grenzverwischung noch weiter. Häufig haben seine Bilder fast den Charakter von Foto-Romanen, in denen sich die Geschichte einer Erniedrigung, einer zwanghaften Situation entspinnt. Kein Wunder, dass sexy Mannequins, mit Sattel knieend auf einem Bett oder sich auf Folterbänken lasziv räkelnd, die Feministinnen auf den Plan riefen. Alice Schwarzers Kampagne gegen diese „faschistischen“ Bilder, wie sie sie nannte, fruchtete jedoch wenig. Längst ist die Kunstgeschichte darüber hinweggegangen, und auch das weibliche Selbstverständnis hat sich geändert. Heute werden diese Aufnahmen auch als Vorwegnahme eines autonomen Frauenbildes gewertet und bestätigen damit Newtons Selbstbeschreibung als Feminist, so hat er sich selbst jedenfalls immer wieder kokett genannt. Inzwischen bringen die Kritiker sein Werk auch gern in Zusammenhang mit der surrealistischen Tradition eines Brassai oder Hans Bellmer, die Verschüttetes mittels Kunst an die Oberfläche spülten.
Tatsächlich verraten Helmut Newtons Aufnahmen viel von einem Trauma, von einer unbeschwerten Jugend in den Weimarer Jahren, die abrupt mit der Vertreibung endete. Nach einem Schlaganfall 1971 hat sich Newton auf Drängen seiner Frau June dieser Vergangenheit noch einmal gestellt, künstlerisch diesmal, indem er seine provozierenden Modells in der Stadt seiner Kindheit fotografierte. Damit hatte er sein originäres Setting gefunden: die üppigen Berliner Boudoirs, aber auch heruntergekommene Hotelzimmer und dunkle Straßen.
Hier hinein versetzte er seine eiskalten Blondinen, in deren Peitschen schwingendem Look man immer auch die Aufseherinnen von Konzentrationslagern zu sehen glaubt. Nicht von ungefähr hat der Fotograf seinem Bildnis der drei nackt auf den Betrachter zumarschierenden Frauen den Titel „Sie kommen“ verliehen. Der Überlieferung nach soll dies der Ausruf der Wehrmachtsoldaten gewesen sein, als sie die Alliierten aus dem Atlantik auftauchen sahen. Psychoanalytiker haben das manisch wiederkehrende Motiv der Nacktheit als nachträglichen Behauptungswillen gegen die Judenverfolgung interpretiert: Nicht nur das Gesicht, sondern auch der Körper besitzt eine Identität. Dass diese Körper bei Newton von makelloser Schönheit zu sein hatten, war seinem Beruf als Modefotograf geschuldet.
Zumindest für die „Big Nudes“ hat Newton selbst aber auch eine ganz andere Erklärung geliefert. Ihn hätte die Kälte der Fahndungsfotos der RAF-Terroristen inspiriert, mit denen Ende der Siebzigerjahre das BKA die Baader-Meinhof-Bande verfolgte. Newton war darin ganz Pragmatiker, an tiefenpsychologischen Erklärungen wenig interessiert. „In meinen Fotos finden Sie keine Botschaft“, hat er einmal gesagt. „Ich glaube, dass meine Fotos einfach sind, dass keine Erklärung zu ihnen notwendig ist.“
Auch seine Arbeit als Modefotograf hat er unter praktischen Aspekten gesehen: „Einige gute Freunde von mir sind ,künstlerische’ Fotografen. Sie lehnten alle Aufträge ab, arbeiten für sich selbst, in der Hoffnung auf ein Stipendium oder auf Verkäufe an ein Museum. Ich bewundere ihre Standfestigkeit, aber oft finde ich ihre Bilder langweilig ... Für mich war es immer sehr anregend und inspirierend, für Zeitschriften und Firmen zu arbeiten.“
Kurz vor seinem Tod hat er selbst sein Werk, insgesamt tausend Bilder aus seinem Archiv, nun einem Museum überantwortet. Zu Recht, denn seine Bilder haben dem Medium Fotografie als künstlerischem Ausdruck wesentlich zur Anerkennung verholfen, auch wenn es zu Beginn seiner Karriere nicht in seiner Absicht lag. Ihm ist es mit zu verdanken, dass Kunst und Kommerz in der Fotografie nicht länger als Gegensatz gelten. Mit seinem Werk ermöglichte er den Siegeszug zeitgenössischer Fotografie in den Kunstmuseen.
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