Architektur in Berlin: Meine Hütte, mein Schloss
Junge Architekten haben es in Berlin nicht leicht. Aber sie imponieren mit visionärem Wohnungsbau: Innovative Architektur in der Hauptstadt findet nicht zuletzt bei Baugruppenprojekten statt.
Architektur muss ein Jungbrunnen sein. Wie sonst lässt sich erklären, dass so mancher Baukünstler das Etikett „junger Architekt“ bis Ende 40 mit sich herum trägt. Der Bund Deutscher Architekten hat die Grenze sogar erst bei 45 gezogen.
Dummerweise ist die lange Jugendzeit des Berufsstands nicht die Folge eines sorgenfreien Architektenlebens. Sie begründet sich lediglich darin, dass Architekten hierzulande recht spät mit eigenen Werken bekannt werden. Ein Bjarke Ingels (kürzlich Preisträger beim Springer-Wettbewerb), der 1974 in Kopenhagen geboren wurde, mit 30 den Goldenen Löwen auf der Biennale in Venedig erhielt und seitdem zu den internationalen Superstars gehört, wäre in Deutschland undenkbar. Die Leute von Graft oder Jürgen Meyer H., die in Deutschland eine ähnliche Rolle als Avantgardisten und Darlings der Medien spielen und noch immer als jung gelten, gehen auf die 50 zu.
Zwei Hauptgründe dafür sind auszumachen. Zum einen das absurde Wettbewerbswesen, das junge Architekten praktisch ausschließt, weil zu den meisten Verfahren nur Teams mit Praxisnachweis zugelassen werden. Überspitzt formuliert: Wer am Kanzleramtswettbewerb teilnehmen will, muss nachweisen, dass er schon zwei, drei Kanzlerämter gebaut hat. Vorbei die Zeiten, als Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg gleich nach dem Studium den Flughafenwettbewerb Tegel gewannen und bauen konnten. Den aus gesamteuropäischen Regelungen erwachsenen Unsinn beklagen die Architektenverbände seit Jahren und fühlen sich von der Politik alleingelassen.
Zum anderen hat sich das Berufsfeld verändert. Es geht immer weniger ums Entwerfen, immer mehr ums Dokumentieren, rechtliche Absichern, Prozessieren. Dazu benötigt man einen Apparat, den nur eingeführte Büros unterhalten können. Zudem steigen die Versicherungsprämien gegen Schadenersatzforderungen. Also ziehen viele Bauherren etablierte Büros der vermeintlich risikoreicheren Zusammenarbeit mit Newcomern vor.
In Berlin war zudem die Nachwendezeit mit der Stimmann-Ära für junge Architekten unerfreulich. Wer nicht der „steinernen Fraktion“ angehörte, hatte kaum Chancen bei öffentlichen Aufträgen. Viele heute namhafte Architekten wie Sauerbruch Hutton oder Barkow Leibinger engagierten sich erfolgreich außerhalb Berlins. Jüngere suchten sich Nischen, arbeiteten experimentell, im Selbstbaumilieu und an temporären Nutzungen und Ausstellungen. Nur wenigen gelang es, sich auf diesem beschwerlichen Weg zu etablieren, wie etwa die Gruppe Raumlabor, die mit wechselnder Besetzung Projekte jenseits kommerzieller Investorenarchitektur realisiert.
Als Robertneun firmieren die 1972 geborenen Architekten Nils Buschmann und Tom Friedrich, die sich ebenfalls seit Ende der neunziger Jahre um leer stehende Räume und provisorische Nutzungen kümmerten. Szenegänger kannten sie als Urheber der Week-end-Dachterrasse am Alexanderplatz und des zugehörigen Clubs. Ein Glücksfall war für sie der Auftrag, die Hamburger Niederlassung der Gourmet-Handelskette Frischeparadies zu gestalten. Das Projekt wurde ein Erfolg, zwei weitere Filialen in Berlin wurden mit Preisen ausgezeichnet. Der jüngste Bau von Robertneun in der Stadt ist der leuchtend rote Wohnblock am Lokdepot am südlichen Gleisdreieck.
Viele junge Architekten haben ihre ersten Häuser als Baugruppenprojekte realisiert
Für Berufseinsteiger waren die Rezessionsjahre nach 2000 keine gute Zeit, weder als Angestellte noch als Selbstständige. Tim Bauernfeind und Henning von Wedemeyer firmieren seit 2008 als Utarchitects, demnächst mit weiteren Partnern als Truarchitects. Sie gingen den typischen Weg mit Kleinstprojekten, Umbauten, vielen Wettbewerben und schließlich zwei realisierten Entwürfen, dem Baumpflegebetriebshof in Zehlendorf und dem Restaurationszentrum in Grünau, zwei preisgekrönten Holzbauprojekten.
Nicht wenige junge Architekten haben ihre ersten Häuser als Baugruppenprojekte realisiert. Das heißt, sie akquirierten die Grundstücke, suchten Miteigentümer, übernahmen Planung und Bauleitung. Wie Christoph Roedig und Ulrich Schop, die sich inzwischen aktiv im Institut für urbanen Holzbau IfuH engagieren. 2011 entstand das Projekt „3 x grün“ mit elf Wohnungen in der Pankower Görschstraße. Der mehrgeschossige Wohnungsbau aus Holz – die Vorreiter finden sich in Vorarlberg und Bayern – ist eine Domäne der neuen Berliner Büros. Sie bringen den nötigen Enthusiasmus auf und haben die Flexibilität, die baurechtlich und brandschutztechnisch oft komplizierten Projekte durchzufechten und dabei neue Normen zu setzen.
Auch Kaden und Klingbeil, deren erste Holzbauprojekte Mitte der neunziger Jahre entstanden, feierten ihren Durchbruch 2008 mit einem Baugruppenprojekt. In der Esmarchstraße entstand ein siebengeschossiges Wohnhaus in Holzkonstruktion, das überregional Furore machte. Nach geltenden Vorschriften hätte es das Haus gar nicht geben dürfen. Inzwischen wird Tom Kaden häufig zu Symposien und Vorträgen eingeladen, um für den Holzbau die Trommel zu rühren. Jüngstes Berliner Projekt seines Büros ist das Haus Christburger Straße 13, in dem die Philippusgemeinde unter anderem ein Familienzentrum betreibt. Zum Erfolg des Büros trägt neben der im Trend liegenden nachhaltigen Bauweise auch die präzise, elegante Architektursprache bei, die sich an der Klassischen Moderne orientiert.
Einen ähnlichen Weg sind Christian Zander und Sacha Roth gegangen. Sie sanierten Gründerzeitwohnhäuser und beschäftigten sich mit der Ertüchtigung von Plattenbauten, bis auch sie in den selbst organisierten Baugruppenprojekten ein zukunftsträchtiges Arbeitsfeld entdeckten. Einige Projekte wurden wegen der attraktiven Architektur und der klugen Lösungen für schwierige Grundstücksverhältnisse bekannt, etwa die Anlage mit 72 Wohnungen in der Zelterstraße in Prenzlauer Berg auf einem ungünstig nach Norden orientierten Grundstück. Es entstanden viergeschossige Reihenhäuser (die man heute „Townhouses“ nennt) und gestapelte Maisonettewohnungen entlang eines begrünten Innenhofs.
Architektonisch ist Berlin derzeit eigentlich nur beim Wohnungsbau innovativ. Hotels, Institutsgebäude, Ministerien und große Büroblocks werden von etablierten Büros mehr oder weniger routiniert realisiert, wobei wenige Projekte aufmerken lassen. Zum Beispiel das Nhow- Hotel am Osthafen vom Büro Nps Tchoban Voss, die Staatliche Ballettschule von Gerkan Marg und Partner oder der Total-Tower am Hauptbahnhof von Barkow Leibinger. Wohnungen werden meist von kleineren Büros gebaut, individuelle, auf den Ort bezogene Bauvorhaben. Dabei lenken intelligente Baulückenschließungen wie Wolfram Popps Estradenhaus in der Choriner Straße, das kleine, bis in den letzten Quadratdezimeter ausgetüftelte Stadthaus von Jörg Ebers in der Auguststraße oder das Tetris-Haus der BAR-Architekten in der Oderberger Straße das architektonische Denken in neue Bahnen.
Auch über die Form wird neu diskutiert. Zum Beispiel über das allen Berliner Sehgewohnheiten widersprechende Atelier- und Galeriengebäude von Arno Brandlhuber in der Brunnenstraße mit seinem rohen Design. Oder über das Wohnhaus in der Johannisstraße, bei dem Jürgen Mayer H. dem engen Grundstück auf raffinierte Weise eine hohe Wohnqualität abgerungen hat. Leider sieht das Haus eher wie ein Küchenunfall aus, bei dem ein Topf Reisbrei übergekocht ist. Aber die Aluminiumfassade lässt sich leicht abschrauben und sortenrein entsorgen.
So tritt allmählich eine nachdrängende Berliner Architektengeneration in den Vordergrund. Man bildet Netzwerke, organisiert Veranstaltungen und versucht, im Internet und in Fachzeitschriften Ideen zu propagieren. Und schon gibt es noch jüngere Büros wie Claimspace, Erchinger Wurfbaum oder Kalopepe, die mit ersten Werken auf sich aufmerksam machen und Potenzial erkennen lassen. Auch was ihre Präsenz in der Öffentlichkeit betrifft, ohne die Erfolg beim Bauen nun mal nicht zu haben ist.
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