Kultur: Mein schwarz-weißes Leben
Politik und Autobiografie: Beim Erlanger Comicsalon traf sich eine neue Generation von Zeichnern
Der Westen, keine Frage, ist dekadent: Jeansjacke, Michael-Jackson-Anstecker, Nike-Turnschuhe. Die Revolutionswächterinnen erwischen die 13-jährige Marjane damit auf der Straße. Nur durch eine Notlüge entgeht das Mädchen seiner Festnahme und der möglichen Folter.
Szenen wie diese haben im Iran der frühen Achtzigerjahre wahrscheinlich zahllose junge Leute erlebt. Aber nur eine hat sie so verarbeitet wie Marjane Satrapi. Die heute als Kinderbuchillustratorin in Paris lebende Mittdreißigerin hat mit „Persepolis“ den ersten Comic gezeichnet, in dem einer westlichen Leserschaft das Alltagsleben in einem islamischen Land vermittelt wird. Die aus der Perspektive des heranwachsenden Mädchens erzählte Autobiografie ist ein herausragendes Stück Comic-Literatur, das die Möglichkeiten dieses Mediums exemplarisch vorführt. Am Wochenende wurde Satrapi dafür beim Comicsalon Erlangen mit der wichtigsten Auszeichnung der deutschen Zeichnerszene geehrt, dem Max-und-Moritz-Preis.
Marjane Satrapi lässt den Leser an den Veränderungen nach dem Sturz des Schah-Regimes teilhaben. Sie erzählt vom Leben einer Heranwachsenden, von enttäuschten Hoffnungen auf die Demokratie, von Krieg, Folter, Unterdrückung. Dabei gelingen ihr lakonische Bilder, die in ihrer stilistischen Schlichtheit an den Pulitzer-prämierten Klassiker „Maus“ erinnern, in dem Art Spiegelman in den Achtzigern die KZ-Erfahrungen seiner Eltern in Szene setzte. Ähnlich vermag es Satrapi, die hochkomplexe Realität in vereinfachten Bildern darzustellen.
Ihre Figuren sind schematisch gezeichnet, Schwarz ist die dominierende Farbe. Gesichter bestehen in der Regel aus zwei Kreisen und vier Strichen. Trotzdem sind Satrapis gezeichnetes Alter Ego und das ihrer Eltern widersprüchliche Charaktere, die sich widerwillig mit der neuen Situation arrangieren, ohne ihre weltlichen, linksliberalen Ideale zu verleugnen. Für ein Comicbuch ist „Persepolis“ auch kommerziell ein Erfolg. In Frankreich wurden bislang 250000 Exemplare verkauft, und auch in Deutschland ist die erste Auflage von 5000 Büchern so gut wie ausverkauft.
„Persepolis“ steht exemplarisch für einen Trend, der sich in der Comicliteratur seit einiger Zeit abzeichnet, aber selten so sichtbar wurde wie in diesem Jahr: immer mehr Zeichner reflektieren die eigene Biografie. Statt von fiktiven Charakteren erzählen die Autoren von sich – was in der klassischen Literatur schon lange zum Grundrepertoire gehört, aber in der Welt der bunten Fantasiegeschichten bislang kaum vorkam. Das Publikum mag diese autobiografischen Comics – wie die Verkaufszahlen zeigen. Nicht zuletzt, weil im Zeitalter der Real-Life-Fernsehshows auch im Comic die Ära der Superhelden langsam abklingt. „Echte“ Geschichten erzählen den Lesern mehr über sich selbst, wie Comicverleger Uwe Garske vom Verlag „Edition 52“ vermutet, der gerade die autobiografisch inspirierten Comics des kanadischen Zeichners Seth nach Deutschland geholt hat.
Eine sehr persönliche Story erzählt auch der Amerikaner Craig Thompson. Der 28-Jährige hat in dem 600-Seiten-Epos „Blankets“ (Speed Verlag, 590 S., 34 €) die Geschichte seiner Jugend in einem streng protestantischen Elternhaus des Mittleren Westens aufgearbeitet. Der religiösen Bilderwelt, der er als Jugendlicher ausgesetzt war, setzt er seine eigene entgegen. In expressiven SchwarzWeiß-Zeichnungen berichtet er, wie der herrische Vater, die bigotten Gemeindemitglieder und die brutalen Mitschüler ihn als kleinen Jungen misshandelten und das Zeichnen seine Zuflucht wurde. Als ein Mädchen in sein Leben tritt, bahnt sich ein zerbrechliches Glück an, das Thompson in anrührenden Bildern so überhöht, als handele es sich um religiöse Erlösungsszenen. Die langsame Annäherung wird immer wieder erschüttert von der Furcht zu sündigen. Mit scharfkantigen Strichen setzt Thompson Gefühlswelten in düstere Bilder um, Fantasie und Realität fließen dabei ineinander.
Einige Szenen weisen dabei bemerkenswerte Parallelen zu Satrapi auf: Wenn Thompson beschreibt, wie ihn seine Eltern vernehmen, weil er eine nackte Frau gezeichnet hat, erinnert das an das Kreuzverhör der Revolutionswächterinnen. „Blankets“ ist ein weiterer Beleg dafür, dass der Comic auf dem besten Wege ist, sich als Literaturform zu etablieren.
Die witzigste Comic-Autobiografie der Saison hat der junge deutsche Zeichner Felix Göhrmann alias Flix vorgelegt. Sein Taschenbuch „Held“ (CarlsenVerlag, 120 S., 10 €) erhielt in Erlangen ebenfalls einen Max-und-MoritzPreis: Es lässt das gesamte Leben des Autors Revue passieren – von der Geburt bis ins Rentenalter. Da der Berliner Künstler gerade mal 27 Jahre alt ist, hat er die verbleibenden Jahrzehnte kurzerhand so erzählt, wie er sie zu erleben gedenkt.
Entstanden ist ein Generationenporträt, in dem sich viele um die 30 wiedererkennen dürften. Es geht um Yps-Hefte und die erste Liebe, den Auszug von Zuhause und den Start ins eigene Leben. Als Störfaktoren geistern Fantasiemonster durch die Geschichte, die den Autor verfolgen – bis er sie zeichnet. Wie Satrapi und Thompson benutzt Flix den Stift, um sich von Traumata zu befreien. Flix tut dies jedoch mit einer spielerischen Leichtigkeit, die den anderen fehlt. Seine Selbstironie verwandelt sogar einen langweiligen Zeltlageraufenthalt in einen furiosen Slapstick.
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