zum Hauptinhalt
Nero (Johnny Ortiz) verteidigt ein Vaterland, das ihn nicht will.
©  Berlinale

„Soy Nero“ auf der Berlinale: Mein Leben für einen Ausweis

Migranten als US-Soldaten: Noch nie wurde ein Film über die gedreht, die ihr Leben für ein Vaterland riskieren, das nicht ihr Vaterland sein will. „Soy Nero“ von Rafi Pitts im Wettbewerb.

Sie gehen zur Armee, weil sie dann Chancen auf die amerikanische Staatsbürgerschaft haben: Green-Card-Soldaten gab es schon im Vietnamkrieg. Zwar existiert mit dem „Dream Act“, der nach 9/11 eingeführt wurde, die Möglichkeit, schon zum Dienstantritt Amerikaner zu werden. Aber es braucht nur etwas mit den Papieren nicht zu stimmen, und schon droht nach der Rückkehr die Abschiebung. Egal wie sehr sich der Betreffende auf dem Schlachtfeld bewährt hat. Noch nie wurde ein Film über diese Männer und Frauen gedreht, die ihr Leben für ein Vaterland riskieren, das nicht ihr Vaterland sein will.

„Soy Nero“ ist der erste. Er basiert auf den Erlebnissen des Mexikaners Daniel Torres, der im Irakkrieg diente und danach wieder nach Tijuana deportiert wurde. Hunderte, womöglich Tausende teilen sein Schicksal, verlässliche Zahlen existieren nicht. Torres beriet Regisseur Rafi Pitts bei seinem Filmprojekt.

Pitts psychologisiert nicht, er schaut nur lange hin

Der Filmemacher, Jahrgang 1967, hat sich schon immer für Grenzen interessiert, für Heimat und Identität, sagt er in Berlin: „Meine Mutter ist Iranerin, mein Vater Brite, mein Stiefvater Franzose“. Zum dritten Mal ist er zum Berlinale- Wettbewerb eingeladen, nach seinen im Iran entstandenen Filmen, der Elegie „It’s Winter“ und dem Rachedrama „Zeit des Zorns“. Erneut ist es eine langsame, auf wenige Figuren fokussierte Erzählung. Pitts psychologisiert nicht, er schaut lieber lange hin, geduldig, genau.

Ein Mann an der Grenze, Nero (Johnny Ortiz), der um sein Leben rennt, im Dunkel der Nacht, im Schatten eines Zauns: Das Bild häuft sich dieses Jahr, es ist das Bild der Stunde. Zufall, sagt Pitts, er hat sich mit dem Thema lange vor der sogenannten Flüchtlingskrise befasst. Ein Bild, das man noch nicht sah: Wie an der amerikanisch-mexikanischen Grenze Volleyball gespielt wird, mit dem Zaun anstelle des Netzes. Der ganz normale Wahnsinn der Grenzsicherung.

Nero will eine bessere, legale Zukunft

Hubschrauber kreisen über dem Gelände, Nero wird gefasst, als er es von Tijuana in die USA hinüber versucht, aber irgendwann gelingt es ihm doch. Er sucht seinen Bruder Jesus in Los Angeles auf, der ist jedoch nur ein illegaler, rechtloser Hausangestellter in einer mondänen Beverly-Hills-Villa (wo der Film sich entschieden zu lange aufhält, dem Luxus erliegend). Nero will eine bessere, legale Zukunft. Schnitt. Und wieder steht ein Mann an der Grenze, diesmal bewaffnet: Nero als US-Soldat mit vier weiteren Grenzern an einem gottverlassenen Checkpoint irgendwo in einer Wüste im Mittleren Osten.

Erst hier entwickelt „Soy Nero“ tatsächlich Intensität, ist mehr als ein Themenfilm. Die Hitze, die Ungewissheit, die Langeweile, die Angst – es macht die Soldaten verrückt, auch das ein ganz normaler Wahnsinn. Er entlädt sich im Dauerdisput der beiden Schwarzen über den Rap der Ost- und Westküste, in knappen rassistischen Bemerkungen über den dritten, der Mohammed heißt. Was dem Zuschauer die Pointe einer Begegnung von Mohammed und Jesus im Land der Bibel beschert – Nero hat den Namen seines Bruders angenommen, weil der ihm seine Fake-Papiere überließ. Wieder kreisen Hubschrauber, wieder schießt der Held auf ein Auto (wie Pitts als sein eigener Hauptdarsteller in „Zeit des Zorns“): ein Hinterhalt, wie sich herausstellt. Wieder rennt Nero um sein Leben, wieder wird er gefasst.

Direkt am Zaun beerdigt

Im wirklichen Leben, meint Rafi Pitts in Berlin, ist es noch wahnsinniger. Da werden die Green-Card-Soldaten, die ihre US-Staatsbürgerschaft in der Hölle des Kriegs mit dem Tod bezahlt haben, direkt am Zaun beerdigt, auf amerikanischer Seite. Und die Mutter schaut von mexikanischer Seite aus zu. Sie haben es gesehen, aber nicht gefilmt, weil es dem Publikum zu unwahrscheinlich vorgekommen wäre.

17.2., 9.30 Uhr (Friedrichstadt-Palast); 12 Uhr (HdBF); 18 Uhr (Friedrichstadt-Palast); 21.2., 19.15 Uhr (Friedrichstadt-P.)

Zur Startseite