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Im Nadelwald. Iréne Theorin (Brünnhilde), Anja Kampe (Sieglinde) und Simon O’Neill (Siegmund).
© Monika Rittershaus

Oper: Mein Gott, Vater!

Das Orchester erzählt Bedeutsameres als die Protagonisten: Daniel Barenboim dirigiert eine packende "Walküre" bei den Festtagen der Berliner Staatsoper.

Beginne mit einem Erdbeben! Billy Wilders Ermahnung an alle Filmdrehbuchschreiber setzt Daniel Barenboim am Sonntag bei der Berlin-Premiere seiner „Walküre“ mustergültig um: Unbemerkt vom internationalen Publikum, das zu den Staatsoper-Festtagen den Zuschauerraum des Schillertheaters füllt, hat der Maestro den Orchestergraben erreicht. Da durchschneiden plötzlich messerscharfe Celli die Stille! Vom ersten Takt des Sturm-Vorspiels an ist die perfekte Thriller-Atmosphäre da, ein nervenzerfetzender Soundtrack, der den Hörern alsbald den kalten Angstschweiß auf die Stirn treibt.

Die Spannung wird nicht nachlassen in den kommenden 75 Minuten. Wie im Rausch fliegt die Inzestgeschichte von Siegmund und Sieglinde vorbei, wild und wonnig wogt der Staatskapellenklang, bald brünstiges Sehnen, bald herrisches Kräftemessen, dann wieder ein Flüstern an der Grenze zur Unhörbarkeit. Schnell hat sich Simon O’Neill vom anfänglichen Schwächeanfall erholt, stemmt nun schneidig „Wälse“-Rufe in den Saal, bietet – ganz Draufgänger von metallischer Tenorhöhe – dem Hausherren Hunding (mit angemessen schrundigem Bass: Mikhail Petrenko) die Stirn, um anschließend in geschwisterlicher Liebe aufzublühen, im Duett mit Anja Kampes so leidenschaftlich sich verströmendem Sopran. Winterstürme, Wonnemond, Pausenjubel. Narkotikum Richard Wagner.

Natürlich ist Guy Cassiers’ Regie hundsmiserabel, zumindest, wenn man sie mit den Maßstäben des deutschen Avantgarde-Musiktheaters misst. Und doch: Kann ein konventionelles Arrangement nicht auch mal ausreichend sein, wenn die musikalische Seite so stark ist, gerade bei Wagner, wo das Orchester stets mehr weiß, Bedeutsameres erzählt als die Protagonisten? Ob nun willentlich oder aus handwerklichem Unvermögen, diese szenische Zurichtung lässt sich auch als Statement begreifen gegen die stets drohende Reizüberflutung in der Oper, dieser Alles-auf-einmal-Kunst. Kostbar erscheinen bei diesem ewigen Stehen und Schreiten die wenigen geglückten Deutungsdetails, wenn das Hunding-Motiv beispielsweise die beiden Liebenden auseinanderreißt, als sich ihre Lippen gerade zum ersten Kuss finden wollen. Einen ungewöhnlichen Nadelwald haben Cassiers und sein Licht-Designer Enrico Bagnoli für den zweiten Akt erdacht, wenn silbrige, bühnenhohe Speerspitzen herabsinken, auf die sich allerlei Videobilder projizieren lassen: Laubbäume beispielsweise, die sich sanft im Sommerwind wiegen, später dann babylonisch sprachwirre Buchstaben-Laufbänder.

Zugegeben, die handlungsarmen Weiten „Walküre“ strecken sich hier sehr, trotz Barenboims nie nachlassender instrumental-interpretatorischer Intensität, trotz des rückhaltlosen Engagements der Staatskapellenmusiker, die immer auf volles Risiko spielen. Große Verantwortung lastet da auf den Sängern: Ekaterina Gubanova, der die undankbare Rolle der galligen Göttergattin Fricka zugefallen ist, bleibt als Sängerin mit der elegantesten Stimmführung wie souveräner Technik in Erinnerung – eine eloquente Tugendwächterin, gegen deren Argumente Wotan machtlos ist.

Überhaupt wirkt René Papes Herrschergott arg mitgenommen, als Politiker nach den Strapazen des „Rheingold“ schon völlig desillusioniert, kaum mehr willig, Schritte zu unternehmen, sei es in taktischer Hinsicht wie auch ganz konkret auf den Bühnenbrettern. In der Vaterrolle aber ist er noch ganz bei sich. Gebannt lauscht man , was er seiner Brünnhilde zuraunt – obwohl es ja nur die altbekannte Vorgeschichte ist. Erschütternd dann sein Ringen zwischen Pflicht und Gefühl in der Abschiedsszene.

Die allerdings fällt optisch doch arg läppisch aus, mit dem Bündel rot leuchtender Lampen, das zum Feuerzauber aus dem Schnürboden baumelt. Grotesk auch, wie Guy Cassiers Brünnhildes Schwestern in Operetten-Roben über Obstkisten kraxeln lässt, ein auch vokal eher disparater Mädchengang. Gerade beim Walkürenritt hat der Zuschauer mehr davon, den Blick auf die Übertitelanlage zu richten. Man mag die rasant sich verbreitende Mode, selbst bei deutschsprachigen Werken den Text mitlaufen zu lassen, aufmerksamkeitsverweichlichend finden – wenn überm Bühnenportal „Heiaha! heiaha! Die Stute stößt mir der Hengst!“ aufleuchtet, wiehert selbst der eingefleischte Wagnerianer.

Und Brünnhilde? Iréne Theorin ist keine dieser hochdramatischen Stahlstrahlsoprane, die kalt geschleuderten „Hojotohos“ des Beginns liegen ihr deutlich weniger als die späteren Dialogszenen. Am intensivsten gelingt dabei die Todesverkündung.

Waren die ersten beiden Teile dieses neuen „Ring des Nibelungen“ Übernahmen aus der koproduzierenden Mailänder Scala, so sollen „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ in den kommenden beiden Spielzeiten nun direkt in Berlin erarbeitet werden. Was zumindest die Chance eröffnet, dem mit hiesigen Sehgewohnheiten so wenig vertrauten Guy Cassiers für seine weiteren Regietaten eine helfende Dramaturgenhand entgegenzustrecken.

Wieder am 22. und 25. April. Es sind noch Karten ab 160 € zu haben.

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