Projektraum PS 120 in Berlin: Mehr Experimente wagen
Im PS 120 sollen Newcomer und Kunstgrößen aufeinander treffen. Ein Gespräch mit Gründer und US-Kurator Justin Polera.
Mr. Polera, weshalb haben Sie Ihren Projektraum PS 120 gegründet? Berlin verfügt ja über zahlreiche Ausstellungsräume.
Wir haben uns gefragt, was noch fehlt. Es gibt in Berlin zahllose Museen, Institutionen, Projekträume, Privatsammlungen und Galerien. Mangel herrscht dagegen an einem jungen Raum, der als Katalysator funktioniert. Bei PS120 können wir uns eine langfristige Zusammenarbeit mit Künstlern im Rahmen von Ausstellungen, Buchvorstellungen, Gesprächen und Filmvorführungen vorstellen – parallel zur Arbeitsbeziehung zwischen den Künstlern und ihren Galerien.
Treten Sie damit nicht in Konkurrenz zu den Galerien?
Viele der hiesigen Marktführer haben in den neunziger Jahren angefangen, ihr Programm ist weitgehend durchgesetzt, aber die Kräfte des Marktes zwingen sie, um Verkäufe zu konkurrieren. Wir denken an einen Raum, der zwischen superjungen aufstrebenden Künstlern und kunsthistorischen Größen vermittelt, die von etablierten Galerien vertreten werden.
Wie ist Ihr beruflicher Hintergrund?
Ich habe wie die Co-Direktorin von PS 120, Christina Gigliotti, Kunstgeschichte in den USA studiert und während meines Studiums Ausstellungen kuratiert. Dabei bin ich auch meinen Vorbildern begegnet, zum Beispiel der Künstlerin und Kuratorin Michelle Grabner, die in Chicago in ihrer Garage einen unglaublichen Projektraum namens „The Suburban“ leitete. Chicago hat eine kleine, dicht vernetzte Kunstszene, auch weil das wichtigste Museum der Stadt gleichzeitig die größte Kunsthochschule ist. Dazu lebt man vergleichsweise günstig, weshalb einige der besten Ausstellungen in Projekträumen stattfanden. Das ist einzigartig für eine amerikanische Stadt, da es so gut wie keine öffentliche Unterstützung für die Künste gibt.
Wie erleben Sie im Unterschied Berlin?
In Berlin hatte ich die Möglichkeit, für kurze Zeit in einer Galerie zu arbeiten. Dort ist mir klar geworden, dass die Stadt ein besonderer Ort ist und hier profunde Denker als Galeristen arbeiten, die Kunst nicht nur zeigen, um sie zu verkaufen – auch wenn natürlich der Warencharakter der Kunst das Feld dominiert. Und dennoch heißt Berlin jeden willkommen, der sich widersetzt und mit konzeptuell orientierten Ausstellungen beweist, dass Kunst mehr ist als nur der Markt.
Welchen Beitrag können Projekträume zum Kunstdiskurs leisten?
Projekträume können schneller als Museen und andere Institutionen agieren und Kunstwerke ausstellen, die gerade aus dem Atelier kommen. Ein Raum wie PS 120 ist experimenteller, kann mehr riskieren und Künstler vor Ort unterstützen. Wir können mit noch nicht etablierten Protagonisten arbeiten, auch wenn es nur eine Veranstaltung für einen Abend ist. Die von mir verehrte Künstlerin Shirin Neshat bewarb sich am Beginn ihrer Karriere mit einem Ausstellungskonzept bei der von Künstlern gegründeten New Yorker Organisation Franklin Furnace und hatte noch nicht einmal fertige Arbeiten vorzuweisen. Zwei Wochen später eröffnete sie ihre erste Ausstellung, zu der niemand außer ihren Freunden kam – und ein Kritiker, der in der „New York Times“ über sie schrieb. Ihre dritte Ausstellung war dann Teil der Biennale von Venedig. Das zeigt, welche Kraft und Geschwindigkeit die Projekträume im Dialog mit guter Kunstkritik entfalten können.
Wo entdecken Sie junge Künstler?
Wir haben uns rasch mit Häusern wie dem niederländischen De Appel Centre for Contemporary Art verbunden und planen unter anderem Ausstellungen mit deren Absolventen. Als Projektraum stellt man die Gemeinschaft der Künstler in den Vordergrund, die viel größer als die Zahl an Sammlern ist. Wobei wir natürlich hoffen, dass über uns auch junge Sammler ihre ersten Ankäufe tätigen.
Und wie finanzieren Sie sich bis dahin?
Unser Raum wird von zwei Sponsoren unterstützt, denen wir sehr verbunden sind: Till-Oliver Kalähne und Peter Obstfelder. Eigentlich hat ihre Großzügigkeit PS 120 erst möglich gemacht. Sie sind mit dem Umbau der Potsdamer Straße beschäftigt, verstehen aber auch, wie wichtig es ist, Räume für Kultur zu subventionieren. Natürlich ist das hier das Epizentrum der Gentrifizierung, und nach Meinung von Kalähne und Obstfelder findet solch eine Entwicklung an attraktiven Orten statt, die sich Leute zum Leben aussuchen. Nun ist es an uns, diesen Veränderungen eine Form zu geben. Die beiden möchten Kultur unterstützen und sicherstellen, dass wichtige Kunstorte nicht durch den Faktor Miete verdrängt werden, sie sind echte Mäzene.
Wie ist Ihr Verhältnis zur benachbarten Galerienszene auf der Potsdamer Straße?
Wir sehen Projekträume wie den unsrigen und Nachbarn wie „Studio Picnic“ oder „Stadium“ als eine Art Gegengewicht. Als kleines Start-up haben wir die umliegenden Galerien in den vergangenen Wochen häufiger um Hilfe gebeten. Für die aktuelle Ausstellung brauchten wir zum Beispiel Sockel und einen Luftentfeuchter. Beides wurde uns geliehen. Wir haben uns auch mit einer benachbarten Galerie getroffen, die leider bald in eine andere Stadt zieht. Eine andere wird schließen. Wir wissen also, wie schwer es Galerien derzeit haben. Es ist hart, mitanzusehen, wie diese beiden Galerien die Gegend verlassen, denn es handelt sich um zwei unabhängige, eigenwillige Positionen. Es gibt auch eine Handvoll Galerien in der Nachbarschaft, die uns in erster Linie ignorieren, aber wir glauben, dass sie uns eines Tages akzeptieren oder zumindest zur Kenntnis nehmen werden.
PS 120, Potsdamer Str. 120. Die Ausstellung „Ein starkes Verlangen“ läuft noch bis zum 30. 8., Do–Sa 11–18 Uhr. Das Gespräch führte Gunnar Lützow.
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