Panorama: Mausklick genügt
Drei Filme im PANORAMA rücken das Internet und soziale Netzwerke in ihren Mittelpunkt. Jedes Mal geht es um Vereinsamung.
Am konsequentesten spielt der polnische Beitrag „Suicide Room“ das Szenario durch. Schon der Vorspann, die Credits laufen auf einer Bildschirm-Simulation. Welchen Film hätten Sie denn gern? Ein Familien-Melodram? Einen Psychothriller? Eine Virtual-Life-Exkursion? Ein Mausklick genügt.
„Suicide Room“ ist dann doch nicht sehr viel mehr geworden als die quälende Psychostudie eines gemobbten Jugendlichen, Dominik (Jakub Gierszal), der sich in die Scheinwelt des Internets flüchtet. Doch die Lebenswelt einer Generation, die sich selbstverständlich über Facebook, YouTube und Computer-Avatare definiert, spiegelt er zuverlässig wider. So sehr, dass Dieter Kosslick kurzzeitig überlegte, soziale Netzwerke als neues Generalthema des Festivals auszurufen.
Einsamkeit, Sehnsucht nach Freundschaft und Nähe, Realitätsflucht und Fantasy, das sind Themen, die im Internet-Zeitalter verstärkt auch im Kino verhandelt werden. David Finchers Oscar-nominierter Film „The Social Network“ hat das Leben von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg noch als Entwicklungsgeschichte eines Nerds zum reichsten Mann der Welt geschildert. Und siehe da, plötzlich sind sie überall, die blassen Schattengewächse, die ihre Nächte vorm Computer und ihre Tage im abgedunkelten Raum verbringen, und der einzige reale Sozialkontakt ist ein Hunde-Sitter oder Pizzamann.
Neue Helden für eine neue Generation. Der Programmierer Martin (Javier Dolas) ist so einer, der von sich sagt: „Vor zehn Jahren habe ich mich vor den Computer gesetzt und bin seitdem kaum mehr aufgestanden“. Dass er seit der Trennung von seiner Freundin unter Agoraphobie, Hypochondrie, Apathie, Schlaflosigkeit, Depression und Neurosen leidet, schiebt Martin allerdings auf die Architektur von Buenos Aires, die die Menschen in licht- und luftlose Schuhschachtelwohnungen sperrt. In langen Dialogen rechnet er mit der plan- und seelenlosen Großstadtbebauung ab, während die Kamera großartige Stadtimpressionen einfängt. Am Ende ist das einzige Selbstmordopfer ein Hund, der aus Verzweiflung vom Balkon gesprungen ist.
„Medianeras“, einer der spritzigsten Filme des Panoramas, ist angewandte Architekturkritik aus der Sicht einer neuen Großstadtgeneration. Dass die liebeskranke Schaufensterdekorateurin Mariana (Pilar López de Ayala) und der sozialgestörte Martin am Ende doch zueinanderfinden, verdanken sie zwei Fenstern, die sie in die Brandwände ihrer Wohnungen schlagen. „Medianeras“ heißt auf Spanisch Brandwand, Seitenwand.
Das Leben in Großstädten, das Leben im Netz ist auch das Thema des ambitioniertesten Beitrags zum Thema Neue Medien. „Life in a Day“, ein von Ridley Scott und YouTube ausgerufenes Experiment, das Menschen aus aller Welt aufforderte, Kurzfilme einzusenden, hat seine Premiere schon bei Youtube erlebt. 80 000 Einsender sind dem Aufruf gefolgt. Aus 4500 Stunden Filmmaterial hat Regisseur Kevin MacDonald („One Day in September“, „The Last King of Scotland“) einen 90-Minuten-Film kompiliert.
Das Ergebnis ist zunächst einmal wenig überraschend: Rund um den Globus wachen Menschen auf, frühstücken, putzen sich die Zähne, gehen zur Arbeit. Zwischendrin sprechen sie über ihre Ängste und Träume, auch die unterscheiden sich nicht wirklich. Pech ist nur, dass jener 24. Juli 2010, an dem rund um den Globus Menschen auszogen, den besonderen Moment ihres Lebens zu dokumentieren, ausgerechnet der Tag der Duisburger Loveparade war. So kommen die Laienaufnahmen von Menschenmassen und Massenpanik tatsächlich wie ein Schock, wie ein unerwarteter Einbruch der Wirklichkeit. „Life in a Day“ hat danach große Mühe, wieder zurück in einen allgemeinen Erzählzusammenhang zu finden.
An dieser Episode zeigt sich das ganze Dilemma: Die Zufälligkeit, die Authentizität, die Clips bei YouTube haben, sind in der sorgfältig komponierten Kinoerzählung verloren gegangen. Die disparate Wirklichkeit, die derzeit in Ägypten gerade auch in dem sozialen Netzwerken machtvoll ihr Recht fordert, lässt sich nicht mehr in linearen Filmabläufen zusammenfassen. In „Life in a Day“ dominieren die Stimmen aus den westlichen Zentren der Welt. Am Ende entscheidet eben doch nicht das Material, sondern der kompilierende Blick über die Erzählung.
Natürlich wird man in dem Datenstrom trotzdem seine Lieblinge finden: Den Witwer aus Japan zum Beispiel, der verzweifelt versucht, in einer völlig zugemüllten Wohnung in seinem kleinen Sohn die Erinnerung an die verstorbene Mutter wachzuhalten. Oder der koreanische Fahrradfahrer, der sich vorgenommen hat, um die ganze Welt zu radeln, um auf diese Weise für die Einheit seines Landes zu demonstrieren. Und das junge Mädchen aus dem Mittleren Westen der USA, das seinen Filmbeitrag erst spät am Abend einstellt, weil sie den ganzen Tag gewartet hat, dass etwas Wichtiges passiert. Doch es ist nichts passiert, und so filmt sie am Ende ihre Verzweiflung: „Ich möchte mich verbinden. Ich möchte nicht aufhören zu existieren“. Und Existenz, das bedeutet für sie offenbar ein Leben im globalen Netz.
„Suicide Room“, „Medianeras“ und „Life in a Day“: Jedes Mal geht es um Vereinsamung.