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Göttin von nebenan. Marilyn Monroe 1955 auf Long Island, New York. Foto: Prestel Verlag, © Eve Arnold / Magnum Photos
© Eve Arnold / Magnum

50. Todestag: Marilyn Monroe - der irdische Engel

Marilyn Monroe war ein Opfer ihrer Mutter, der Kennedy-Brüder und der Filmindustrie – so weit das Klischee. Doch man kann ihr Leben auch ganz anders erzählen, als eine Geschichte von Aufstieg und Emanzipation. Bleibt nur eine Frage: Hat der Ruhm sie ruiniert oder gerettet?

Sie war eine Göttin und eine Nervensäge. Ihr Lampenfieber, ihre Textpatzer und ihre Unpünktlichkeit trieben Regisseure, Kameramänner und Schauspielkollegen in den Wahnsinn. Otto Preminger verhöhnte sie als „Lassie“, nachdem er „River Of No Return“ mit ihr gedreht hatte: „Man muss jede Einstellung vierzehnmal wiederholen, bis sie an der richtigen Stelle bellt.“ Bei der Arbeit an „Bus Stop“ erlitt sie einen Zusammenbruch. Die Produktionsfirma ließ ihre Psychiaterin aus New York einfliegen. Tony Curtis und Jack Lemmon, in Perücken, engen Kleidern und High Heels als Frauen kostümiert, litten Höllenqualen, wenn ihr bei „Some Like It Hot“ manche Zeile erst im vierzigsten Take einfiel. „Sie hatte Angst vor der Kamera“, glaubte Billy Wilder. Aber er sprach auch von einer love affair, einer Liebesbeziehung, zwischen ihr und der Kamera. So wurde „Some Like It Hot“ zum magischen Film, zur vielleicht besten Komödie der Kinogeschichte.

Marilyn Monroe sah in ihren Pannen auch einen Triumph: „Irgendwie macht es mich glücklich, zu spät zu kommen. Die Leute warten auf mich. Die Leute wollen mich sehen. Ich erinnere mich an all die Jahre, als sich niemand für mich interessierte, an die Hunderte von Malen, als niemand das kleine Dienstmädchen Norma Jeane sehen wollte – nicht mal die eigene Mutter. Und ich spüre eine seltsame Genugtuung darin, die Leute zu bestrafen.“ Als Norma Jeane Mortenson war sie 1926 in Los Angeles zur Welt gekommen. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt. Die Mutter, eine Filmcutterin, gab sie bei Pflegefamilien und schließlich in einem Waisenheim ab und landete mit der Diagnose „paranoide Schizophrenie“ in einer Nervenheilanstalt.

Bildergalerie: Lawrence Schiller, der Monroe-Fotograf

„Verkorkst“ ist für diese Kindheit noch untertrieben. In einer Biografie heißt es, das Mädchen sei mit neun Jahren vergewaltigt worden und habe anschließend jahrelang gestottert. Bloß Kolportage? Die ersten Jahre hat der spätere Weltstar, so scheint es, niemals hinter sich lassen können. Noch auf der Höhe ihres Ruhms kokettierte die Monroe mit ihrer Kleinmädchenhaftigkeit: „Es ist Norma Jeane, die Aufmerksamkeit will, nicht Marilyn.“ Als sei sie für immer gespalten, in ein überlebensgroßes Sexsymbol und das ewige Kind. Am Anfang dieses Lebens steht das Gefühl, nichts wert zu sein. Daraus muss sich alles Weitere beinahe zwangsläufig ergeben haben. Marilyn Monroe konnte kaum eine Nacht durchschlafen, sie nahm Tabletten, als ob es Bonbons wären, hatte ein Alkohol- und ein Drogenproblem. Depressionen, Selbstmordversuche.

Für Millionen Männer in aller Welt war sie die Inkarnation einer Traumfrau, aber es gelang ihr nicht, dauerhaft eine Bindung zu einem einzigen Menschen herzustellen. Vom Baseballstar Joe DiMaggio ließ Marilyn Monroe sich nach acht Monaten Ehe wegen „schwerer Angstzustände und seelischer Grausamkeit“ scheiden. DiMaggio soll sie geschlagen haben. Er war ein großer Schweiger, „in einem Stummfilm die Idealbesetzung“, scherzte Monroe. Ihre längste Beziehung währte dreieinhalb Jahre, so lange dauerte die Ehe mit Arthur Miller, dem Dramatiker, an dessen Seite sie zur ernsthaften, intellektuell geachteten Darstellerin reifen wollte. Miller trennte sich von ihr, weil er fürchtete, als Anhängsel nicht mehr kreativ sein zu können. Nichts wünschte sich Monroe so sehr wie Mutter zu werden. Aber immer wieder verlor sie ein Kind vor der Geburt, angeblich 13 Mal.

„Der Tod war überall bei ihr, ständig. Sie stand immer am Rand des Abgrunds“, hat Miller gesagt. Von Norma Jeane scheint eine direkte Linie zu Marilyn zu führen, die vor fünfzig Jahren, am 5. August 1962, tot im Schlafzimmer ihres Hauses in Brentwood, einem Stadtteil von Los Angeles, aufgefunden wurde. Sie starb mit 36 Jahren, an einer – so der Obduktionsbericht – Überdosis des Barbiturats Nembutal in Verbindung mit einem Schlafmittel. Bei ihrem letzten Film „Something’s Got To Give“ war sie gefeuert worden, weil sie an 32 Drehtagen nur zwölf Mal im Studio erschienen war. Ihr Zustand am Set: hysterisch.

Marilyn, ein Opfer ihrer Mutter, der Kennedy-Brüder und der Filmindustrie – so weit das Klischee. Doch man kann ihr Leben auch ganz anders erzählen, als eine Geschichte von Aufstieg und Emanzipation. Denn Monroe war ehrgeizig, sie kämpfte sich aus ärmlichen Verhältnissen nach oben. Der Kinoengel, der den Männer den Kopf verdrehte und trotzdem auch von den Frauen gemocht wurde, war zu einem Großteil ihre Schöpfung. „Sie wirkte auf der Leinwand, als könne man nach ihr greifen und sie berühren“, befand Billy Wilder.

„Warum dieses Getue um Sex?“

Göttin von nebenan. Marilyn Monroe 1955 auf Long Island, New York. Foto: Prestel Verlag, © Eve Arnold / Magnum Photos
Göttin von nebenan. Marilyn Monroe 1955 auf Long Island, New York. Foto: Prestel Verlag, © Eve Arnold / Magnum Photos
© Eve Arnold / Magnum

Norma Jeane Mortenson ist 19, seit drei Jahren verheiratet und arbeitet bei einer Rüstungsfirma, wo sie 1945 von einem Armeefotografen als Fotomodell entdeckt wird. Auf den Bildern hält sie lächelnd einen Propeller in die Kamera. Bald verlässt sie Job und Ehemann, sucht sich eine Modelagentur, und nennt sich auf Anraten ihrer Agentin Marilyn Monroe. „Sie ist unsere Rubensschönheit für die 9 x12-Schnellschusskamera, sie ist es, die das Gemälde in die Kamera hineinmalt, und es wird nur wenige Fotografen geben, die ihr nicht huldigen“, schwärmt Norman Mailer später als Biograf. Monroe lässt sich von einem Schönheitschirurgen in Palm Springs die Nase richten und färbt sich die brünetten Haare platinblond, „kopfkissenbezugweiß“, wie sie sagt. Das Aschenputtel verwandelt sich in eine Sirene.

Als die „L.A. Times“ ein Bild druckt, auf dem der Produzent Howard Hughes ein Pin-Up-Farbfoto von ihr betrachtet, bekommt die Möchtegernschauspielerin einen Vertrag beim Studio 20th Century Fox. „Die Wahrheit ist, dass sie von Hollywood gerettet wurde. 24 Stunden am Tag im Scheinwerferlicht – das ließ ihr die Welt lebenswert erscheinen. Sie lebte inmitten ihres Ruhms, als wäre sie eher ein Plakat als eine Frau, diese Unwirklichkeit schmerzte sie aber nie“, urteilt der Drehbuchautor Ben Hecht. Monroe dreht einen Film nach dem anderen, eher Konfektionsware als Filmkunst, allein 1950 sind es fünf, hat einen bemerkenswerten Auftritt als Gangsterbraut in „Asphalt- Dschungel“ und wird mit „Blondinen bevorzugt“ endgültig zum Star.

Aber sie hat kein Mitspracherecht bei der Filmauswahl und ist es bald leid, immer wieder das „Mädchen mit Figur“, die sexy naive Blondine von nebenan spielen zu müssen. „Warum dieses Getue um Sex?“, fragt sie. „Für mich ist das ungefähr so interessant wie Schuhe putzen.“ Und sie wird auch finanziell ausgebeutet. Das Studio verdient mit „Niagara“, „Blondinen bevorzugt“ und „Wie angelt man sich einen Millionär?“ 25 Millionen Dollar – und zahlt ihr pro Woche knapp 1000. Monroe rebelliert. Sie kämpft gegen das Studio, bei dem sie einen Siebenjahresvertrag hat, und beruft sich auf die Menschenrechte. 1955 verlässt sie Hollywood und zieht nach New York. Ein Affront.

Bilder von einer Monroe-Ausstellung im Schloss Britz

In New York sieht sie den ersten Schnee ihres Lebens, in New York will sie eine „echte“ Schauspielerin werden, beginnt eine Ausbildung am Actors Studio von Lee Strasberg. Sie lässt sich bei der Lektüre des „Ulysses“ fotografieren und findet Trost in Rilkes „Briefen an einen jungen Dichter“. Vor allem gründet sie mit dem Vertrauten Milton Greene ihre eigene Firma, „Marilyn Monroe Productions“. Monroe hält 51 Prozent der Anteile am Unternehmen, mit dem sie Filme verwirklichen will, die ihr am Herzen liegen. 20th Century Fox gibt sich geschlagen und entlässt seinen Star aus dem Vertrag.

Ein Triumph? Zwei Filme entstehen als „M. M. Productions“, „Bus Stop“ und „Der Prinz und die Tänzerin“. Die Dreharbeiten zu Letzterem in London sind eine Katastrophe. Regisseur Laurence Olivier verachtet Strasbergs Method-Acting-Philosophie und nennt Monroe „die ungezogenste kleine Göre“. Eine Tragikomödie, die ein halbes Jahrhundert später den Stoff für den Kinofilm „My Week With Marilyn“ abgeben wird. Monroe überwirft sich mit Greene, löst ihre Firma auf und kehrt für ihre letzten zweieinhalb Filme nach Hollywood zurück. Auf ihrem Grabstein, witzelte sie, sollten einmal ihre Idealmaße in Zoll vermerkt werden: „37–22–35 R.I.P.“.

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