Kultur: Marilyn Monroe: Augen ohne Abgrund
Das Traurige an den Fotos, die Bert Stern im Juni 1962 von Marilyn Monroe gemacht hat, ist, dass sie so fröhlich wirken. Ein letztes Mal spielt die Schauspielerin ihre Rollen durch: das Mädchen vom Lande, die Diamanten-Freundin und Millionärs-Anglerin, den Vamp, die Verführerin.
Das Traurige an den Fotos, die Bert Stern im Juni 1962 von Marilyn Monroe gemacht hat, ist, dass sie so fröhlich wirken. Ein letztes Mal spielt die Schauspielerin ihre Rollen durch: das Mädchen vom Lande, die Diamanten-Freundin und Millionärs-Anglerin, den Vamp, die Verführerin. Sie flirtet mit der Kamera. Räkelt sich im Bett, verschleiert und entschleiert sich, posiert mit Tüchern, Kleidern, Perlenketten. Auf den meisten Fotos lacht sie. Nichts lässt erahnen, dass sie sechs Wochen später tot sein wird, mit 36 Jahren an einer Überdosis Schlaftabletten gestorben. "Die letzten Fotos von ihr", schreibt Norman Mailer, "verraten kaum so etwas wie einen Abgrund. Das sind keine Augen, die auf Selbstmord sinnen."
Nur die unendliche Müdigkeit, unter der die Diva litt, ist in diesen Augen zu erkennen: am entrückten Blick, den tief hängenden Lidern. Das anrührendste Bild aus Sterns Fotoserie, die derzeit in einer kleinen Ausstellung im Potsdamer Filmmuseum zu sehen ist, zeigt Monroe im Schlaf. Sie liegt auf der Seite, ihre linke Hand stützt den Kopf, die blonden Locken umspielen ihren Nacken. Es scheint, als ob sie sich für einen Augenblick zurückverwandeln würde in das Kind, das sie einmal war, in jene Norma Jean Baker, die unter dem Pseudonym Marilyn Monroe ein Weltstar, Sexsymbol und Männertraum wurde, "jedermanns Liebschaft mit Amerika" (Mailer).
Die Fotosession, die im Bel Air Hotel von Los Angeles stattfand, dauerte bis in die Morgenstunden. Bert Stern erinnert sich: "Marilyn wollte nicht mehr. Sie lief ins Bad. Zurück kam sie mit einem Bettlaken um ihren Körper gewickelt. Sie legte sich aufs Bett und begann, sich darauf herumzuwälzen. Ich schoss Bild um Bild. Plötzlich lag sie völlig nackt auf dem Bettlaken. Sie war müde, sehr müde, mit schläfrigen Augen schaute sie in die Kamera. Dann schlief sie ein. Ich wollte noch ein letztes Bild von ihr machen. Ich wollte ihr Profil vor dem Kopfkissen. Ich stieg in Strümpfen aufs Bett und knipste. Es war bereits sechs Uhr früh, die Sonne ging langsam auf." Als die Nachricht von ihrem Tod verkündet wurde, waren die Fotos gerade bei der "Vogue" in Druck gegangen. So wurden Sterns Bilder ein Requiem: auf die Jahrhundertschönheit M. M. und auf ein trauriges Mädchen namens Norma Jean.
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